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Demi Moores Hintern und die Massenhysterie im Zwitscherland

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Es gab gute Gründe, weshalb gestern auf dieser Seite kein Wort über Ashton Kutcher und CNN Breaking News zu lesen war: es war langweilig und gleichzeitig bedenklich. Die Tatsache, dass ein 31-jähriger Halb-Celebrity (seien wir ehrlich, Streifen wie „Ey Mann, wo is‘ mein Auto“ oder „Texas Ranger“ waren nicht wirklich Leinwandknüller) gegen das Bollwerk des US-amerikanischen Nachrichtenjournalismus eine Twitter-Wette gewann, ist eigentlich keinen Zweizeiler wert – zumal gestern wirklich wichtigere Dinge auf der Tagesordnung standen. Dennoch hat sogar die dpa sich hinreißen lassen, über das Ereignis zu berichten.

Was war passiert? Kutcher hatte CNN auf Twitter den Krieg erklärt: Wer schafft es zuerst, die Millionenmarke bei den Followern zu knacken. Stunden später stand Kutcher auf dem Siegertreppchen. Der Schauspieler streamte die letzten Minuten live über das Internet (hier die Aufnahme). Wir sehen ihn stylisch mit weißem Hut bekleidet, jubelnd, während Ehefrau Demi Moore mit einem Hündchen auf dem Arm versucht, beruhigend auf den Gatten einzureden. Glückwünsche, Champagner – Amen! Und jetzt?

„Es gibt keine Könige auf Twitter.“


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Kutcher und Co. standen im privat installierten Rampenlicht. „Wir können und werden unsere eigenen Medien redigieren und verbreiten“, sagt er. „Unsere eigenen Medien?“ Dann muss man sich fragen, was das überhaupt bedeutet. Er zählt augenscheinlich sowohl die Plattform Twitter als auch den Inhalt dazu. Bleiben wir aber beim Inhalt: Kutcher gewann seine ersten 500.000 Follower durch indiskretes Gezwitscher aus dem Ehealltag, dann kamen die Fotos hinzu, die Frau Moore bügelnd im Bikini zeigten oder auch einmal ihr knapp verhülltes Hinterteil offenbarten (nein, es gibt an dieser Stelle keinen Twitpic-Link) und die Verfolgerliste schwoll rasch an. Was wir hier haben, ist Unterhaltung statt Information, Nonsens statt Mehrwert. Kutcher räumt selbst ganz offen ein: „Es gibt keine Könige auf Twitter – nur Possenreißer.“

Das war schon einmal so. Ganz am Anfang, als Twitter für die meisten Deutschen noch aus kryptischen Symbolen (RT @, #) bestand und die wenigen, die es verstanden, den Dienst als Bühne für die Selbstinszenierung nutzten: „Heute morgen ein großes Geschäft abgeschlossen. Dann lief das Wasser über und ich musste einen Klempner rufen“, hätte etwa ein Banker aus Frankfurt schreiben können. Seitdem News-Institutionen und Blogger aber die Plattform entdeckt haben, hat sich etwas geändert: es kam plötzlich Qualität hinzu. Und mit ihr auch ein Dialog, der den Nutzern verständlich machte: „Ja, ich kann hier von echt profitieren.“ Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass Blogger aufgrund der Einfachheit und Spontaneität von Twitter ein neues Zuhause gefunden und damit die Plattform ihres Tagesgeschäfts verrückt haben.

„Danke für’s Freundesein! Lol.”

Was nun wieder droht, ist das wortwörtliche Geschwätz. Kutchers Sieg provozierte Hunderttausende von „Weiter so!“- und „Glückwunsch!“-Tweets. Ein Trend, der vergleichbar ist mit dem einstigen MySpace-Hype, der abflachte, als auf den Profilseiten nur noch selbstreferenzielle Bezüge („Hier, dieser Musikclip drückt meine Individualität aus.“) und hinterlassene Nachrichten à la „Danke für’s Freundesein! Lol.“ zu finden waren.

Seit gestern scheint dieser Trend unumkehrbar. Das liegt natürlich nicht nur an Kutcher, sondern vornehmlich an der crossmedialen Bekanntmachung von Twitter. Gestern war auch der Tag, an dem die unumstrittene Göttin der amerikanischen Nachmittagsunterhaltung, Oprah Winfrey, einen dicken Ast im Zwitscherbaum einnahm: „HI TWITTERS . THANK YOU FOR A WARM WELCOME. FEELING REALLY 21st CENTURY.“ Halten wir fest, Capslock-Schreibweisen stehen für lautes Schreien. Selbst der „New York Times“ war dieser Ruf einen Tick zu laut:

Ms. Winfrey’s endorsement is only likely to draw more attention to the San Francisco start-up and propel it beyond its niche audience.

Den Twitter-Experten und TwitterMoms-Gründer Megan Calhoun daraufhin angesprochen, gab dieser zur Antwort: „Twitter ist offiziell im Mainstream angekommen. Leute, die zuvor niemals davon gehört haben, sind nun angesteckt und werden mitmachen. Eine komplett neue Demographie wird in Twitter Einzug halten.“

„Too many Tweets“

Das klingt bedrohlich vor dem Hintergrund, dass unser Vorgänger Robert Basic gerade eine Umfrage abgeschlossen hat, bei der 62 Prozent aller Teilnehmer angaben, bei ihren ersten Schritten auf Twitter keine Ahnung davon gehabt zu haben, was sie da eigentlich machten. Kurzum: Wir können davon ausgehen, dass in Kürze nicht nur die Meldung „Twitter is over capacity. Too many Tweets“ aufleuchtet, sondern auch, dass das Stimmengewirr deutlich zunehmen wird. Noch einmal die „New York Times“:

Some power users, like Andrew Davis, chief strategy officer for TippingPoint Labs, an online marketing company, worry that Twitter’s potential to transform how millions of people communicate online is diminishing as more people use it. (…)

Mr. Davis said the service was overflowing with messages, known as tweets, making it hard to filter out the important ones. Indeed, within moments of Ms. Winfrey’s first post, thousands of tweets began flowing through the system each second, welcoming the media mogul to the service. “People can no longer digest the content,” Mr. Davis said. “You start to think, what am I really getting out of this service?”

Ich wollte mit diesem Beitrag keine Qualitätsdebatte für Twitter anstoßen. Eher Gedankengänge, bei denen überlegt werden soll, wie sich die 140 Zeichen künftig auf den digitalen Kommunikationsalltag auswirken könnten. Unter Umständen auch einen Blick auf die Medienkompetenz der Leute werfen, die nun von Twitter angefixt worden sind. Vielleicht hat das alles auch etwas Gutes. Wenn Twitter in diesem Tempo weiter verwässert – wer weiß: vielleicht kehren dann auch die Blogger wieder zu WordPress zurück.

(André Vatter)

Über den Autor

André Vatter

André Vatter ist Journalist, Blogger und Social Median aus Hamburg. Er hat von 2009 bis 2010 über 1.000 Artikel für BASIC thinking geschrieben.

25 Kommentare

  • Dafür, dass es nicht mal einen Zweizeiler wert war, ist ja doch ziemlich viel bei rausgekommen. Ich glaub, hier hat einer das alles ein wenig zu ernst genommen.
    Der Informationsgehalt bei Twitter meistens sowieso Nebensache und die, die es tatsächlich ausschließlich zum Erlangen von Information benutzen, können ja immer noch CNN, Spiegel und co. folgen.
    Mal abgesehen davon sind die Twitter-Profile von Ashton Kutcher und CNN beim Registrieren eines neuen Twitter-Accounts in der Regel sowieso bei den 10 beliebtesten Usern oder wie das heißt dabei, aber Deine Theorie mit Demi Moores Hintern ist auch nicht schlecht.

  • @André Vatter: Ist das nicht etwas einseitig? Du schreibst sehr viel über negative Folgen und dass Twitter bald vielleicht nicht mehr so nützlich ist. Aber warum? Normal: Je mehr Leute einen Service nutzen, desto nützlicher. Sollen die Early Adopters Twitter jetzt für sich behalten? Wenn der Mainstream kommt, ist Twitter wieder schlecht??? SMS wäre auch nicht nützlich, wenn der Mainstream sie nicht nutzen würde. Twitter MUSS ja auch NICHT hochwertige Nachrichten liefern. Dazu war Twitter nie gedacht. Also kann man jetzt auch nicht sagen, dass die Qualität sinken wird.

    Allerdings sollte Twitter mal die Frage „What are you doing?“ durch etwas anderes ersetzen. Darum allein geht es bei Twitter doch gar nicht mehr. Dialoge, Entdeckungen, Links usw. machen Twitter doch erst so richtig nützlich. Da passt die Frage aber nicht mehr.

    Dass Leute jetzt anfangen, Follower zu sammeln, ist doch klar. Das war doch auch teilweise vorher schon so. @Oprah hat innerhalb von 21h über 250.000 Follower bekommen …

  • Die Feststellung, dass die dpa sich dazu „hinreißen“ hat lassen, ist ziemlich albern. Die dpa liefert täglich Hunderte Meldungen. Da ist die Schwelle, etwas für meldenswert zu halten, ziemlich niedrig. Insbesondere, weil nicht die Nachrichtenagenturen, sondern deren Kunden die Auswahl treffen sollen, was letztendlich veröffentlicht wird.

  • André, ist das nicht irgendwie ein Eigentor?
    Ok, denken wir darüber nach wie sich die 140 Zeichen künftig auf den digitalen Kommunikationsalltag auswirken könnten und schauen uns dafür mal nicht @aplusk and, sondern @basicthinking.
    In dem Fall ist Twitter für Leute gut, die es auch irgendeinem Grund nicht hinbekommen, einen RSS-Feed für diesen Blog zu abonnieren.
    Soviel zu bedenklich…
    Obwohl „bedenklich“ auch falsch ist… Jeder wie er will. Deshalb kann man nicht sagen „Unterhaltung statt Information“ – das kann man nicht trennen. Twitter ist beides, und das ist gut so.

  • @10 Marc
    Man kann RSS und Twitter doch nicht vergleichen. Und über die Sachen die Herr Basic so twittert, schreibt er ja nicht gleich einen Blogbeitrag oder?

    Aber beim 2. Punkte ich voll zu. Twitter ist beide, Information und Unterhaltung. Mal mehr und mal weniger…

  • @Stephan, ich meine nicht Robert Basic sondern den BT-Twitteraccount… Und dort sind die letzten Tweets halt Eigenwerbung zu den Artikeln hier, nicht mehr 😉

  • Ich wüsste nicht, was daran verwerflich sein sollte, die ersten 500.000 Follower „durch indiskretes Gezwitscher aus dem Ehealltag“ zu bekommen.

    Die 1 Million Follower vor dem Riesenkonzern CNN zeigen doch, dass nicht immer 100e Marketingspezialisten hinter einer Marke stehen müssen, um diese bekannt zu machen.

    Zugegeben, Ashton Kutcher ist kein „normaler Bürger“, sondern ein Star aus Hollywood, aber ich glaube es ist auch für jeden anderen möglich über andere, jedoch ähnliche, Marketingmethoden selbst ein annähernd großes Interesse an der eigenen Person zu bekommen.

    Und Aussagen wie „(seien wir ehrlich, Streifen wie “Ey Mann, wo is’ mein Auto” oder “Texas Ranger” waren nicht wirklich Leinwandknüller)“ sind rein subjektiv und sprechen vielleicht eine andere Zielgruppe an. Scheinbar ist dies jedoch auch bei Twitter angekommen.

    Meiner Meinung nach als Hut ab vor Ashton Kutcher – macht’s erstmal nach, bevor ihr Kritik loslasst.

  • Lustig, wenn das Ereignis so unwichtig war, warum schreibst du dann doch davon? Irgendwie hasse ich diese Selbstverarsche.

    Es war nämlich wichtig, insofern als dass Twitter aktuell eines der Zugpferde des WWW / Marketing ist. Woran man sieht das es eben doch interessant ist wer als erstes 1 Mio. Follower hat? Daran das auch ihr drüber schreibt und das als „Kritiker“. 😉

  • Twitter ist mit die grösste Flitzekacke die das Web 2.0 hervorgebracht hat imho. Schlimmer noch als Facebook und lokalisten zusammen ~~

  • Diese Anneliese (Analyse – anal ist nichts für prüde Leute) zusammen mit den Kommentaren liefert mir den Schlüssel dazu, warum yasni.de sich praktisch nicht um twitter kümmert. 22 Follower! Wahrscheinlich wurde der Account von einer Praktikantin eingerichtet, die vor lauter Lutschen von Lollies das Paßwort vergessen hat.

    http://twitter.com/yasni

    Meine Bemühungen, yasnider zum Folgen zu bewegen, verlaufen im Sande. Also ist es weit hergeholt, daß der Schwanz mit dem Hund wackelt.

    http://person.yasni.de/hans-kolpak-19633.htm

  • twitter ist ein kanal zur selbstvermakrtung. für jeden der von der öffenlichen aufmerksamkeit lebt ist es essentiell. nicht weil der dienst sinn macht oder nicht, sondern weil die menschen dort sind.
    celebrities haben oft drunter zu leiden, dass die medien irgendwelchen käse über sie produzieren (auch wenn sie im grunde davon leben). wenn er 1,2 oder 3 millionen menschen mit twiter erreichen kann, dann braucht er die meiden nicht mehr und jeder müll kann direkt entkräftet werden.
    dabei macht es kein unterschied, ob es nun twitter oder seine website ist. aber eine millionen feed abonenten mit einer website zu erreichen ist schlichtweg derzeit unmöglich.
    ich erwarte jeden menschen der öffentlichkeit auf zwitter. wer es nicht macht ist schlichtweg dumm und hat es nicht verstanden. wie gesagt, alleine auf dem grund, weil dort die menschen sind. und man damit die klassichen medien nicht mehr braucht.

    er besitzt nun die kontrolle über eine sendung mit 1.000.000 zuschauer, die sich für ihn interessieren.

  • Lieber André,
    vielen Dank für diesen Artikel und ich möchte deinen Schlußsatz nur zu gern unterschreiben…! Es wird wohl so kommen…

  • Dinge, die Aston zum A Promi machen:
    Film BUTTERFLY EFFECT
    seine MTV show Punk´D
    Film JEDE SEKUNDE ZÄHLT
    Film SO WAS WIE LIEBE
    Beziehung mit Demi
    Freundschaften zu allen möglichen Promis
    Aussehen
    🙂

    Ps: die richtigen Blogger verlassen für Twitter nicht WordPress oder welches Blogsystem sie auch benutzen.