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Das Jahr 2009: Blogs werden endlich wahrgenommen

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Es ist noch gar nicht so lange her, da knüppelte die bundesrepublikanische Öffentlichkeit auf die deutsche Blog-Szene ein – allen voran die Journalisten: „Polemisch bis rechthaberisch“ seien die Blogger hierzulande, „ein bisschen in Nebensächlichkeiten abgleitend“. Woher soll denn die Kompetenz kommen? Wie sieht es mit der Glaubwürdigkeit aus? Und überhaupt: Wo bleiben die vielbeschworenen Leser? Unterstützung bekamen die Kritiker in erster Linie von den Amerikanern, wie zum Beispiel vom US-Redakteur Sean Sinico, der sich in seinem Aufsatz „Blogs Making Baby Steps in German Politics“ vor Lachen über die Null-Relevanz deutscher Blogs im Wahlkampf 2005 schüttelte.

Und vielleicht hatten sie ein wenig Recht: es gab keine „deutsche Blogger-Kultur“. Der Radius der Insider-Gemeinde war lange Zeit gering, sowohl bei der Zahl der Themen als auch bei der Leserschaft. In Amerika sah es seinerzeit schon anders aus, Politiker fürchteten sich vor der Schreibe der Blogger und noch mehr noch vor Trackbacks, die die kritischen Worte in Windeseile in das ganze Land brachten. Gelobt und geschätzt wurden hingegen die etablierten Medien, die ihr Tagesgeschäft traditionell reserviert abspulten.

Das Blatt hat sich gewendet


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Doch die deutsche Blogosphäre hat sich verändert – nicht graduell, sondern beinahe schlagartig. Unsere Blog-Autoren haben innerhalb der vergangenen Monate zu einer nie gekannten Mündigkeit gefunden, das Selbstbewusstsein und vor allem der Einfluss sind gewachsen. Heute sind es die Journalisten, die regelmäßig in Blogs schnüffeln, sie zitieren und ihre Betreiber zum Interview bitten. Auch die Politik hat mittlerweile das Internet entdeckt und bloggt, twittert, chattet und produziert Podcasts – mehr schlecht als recht – was das Zeug hält. In diesem Jahr der Bundestagswahl gibt es keinen Weg an den Blogs vorbei.

Wie es dazu gekommen ist? Sicher spielt der Zeitgeist eine Rolle. Es gibt keinen abgeriegelten Zirkel voller Early Adopters mehr, die allgemeine Medienkompetenz hat zugenommen, die Mehrheit der regelmäßigen Blogleser betreibt eigene Projekte im Netz. Offenkundig ist auch die Wirtschaftskrise ausschlaggebend, die Hand in Hand mit der unvermeidbaren Printkrise geht. Die finanziellen Engpässe haben die Verlagshäuser erreicht, wo von nun ein strikter Sparkurs den Weg vorgibt: Redaktionen werden abgebaut oder zusammengelegt, Ressorts zurechtgestutzt, Agenturmeldungen ersetzen die kostspielige Recherche.

Vom bundesweiten Streamlining der Meinungsvielfalt sind Blogger die Profiteure, da sie von Natur aus finanziell wie thematisch schon immer unabhängig und damit krisenresitent operierten. Während die Medien derzeit orientierungslos und mit großer Verspätung im Web 2.0 ankommen, haben Blogs ihr Publikum bereits empfangen.

(André Vatter)

Über den Autor

André Vatter

André Vatter ist Journalist, Blogger und Social Median aus Hamburg. Er hat von 2009 bis 2010 über 1.000 Artikel für BASIC thinking geschrieben.

22 Kommentare

  • Die Politik und vor allem die alten Eisen und das Web 2.0 werde sich noch eine Weile schwer tun. Für mich sind Blogs eine wichtige Anlaufstelle für Informationen im Internet geworden. Gerade auch für mein eigenes Projekt!

  • Über Blogs hat man endlich die Möglichkeit die Aufmerksamkeit der Politiker auf den „kleinen Mann“ zu richten. Eine tolle Möglichkeit der berliner Rentnerbande ein Statement zukommen zu lassen. 🙂

  • Der Hauptgrund ist wohl eher dass es bisher, anders als z.B. in den USA, keiner wirklichen „Gegenöffentlichkeit“ bedurfte, da die etablierten deutschen Medien trotz allem immer ausreichend Kritisch waren. Insbesondere die Debatten über Internetsperren hat gezeigt, dass die Ansichten der sog. Netzgeneration von der konventionellen Presse nicht nicht ausreichend vertreten werden.

  • Außerdem ist die reine Beschränkung auf Blogs viel zu künstlich und schadet eher. Es ist die gesamte Netzcommunity, die sich gegen Internetsperren gewendet hat und nicht nur die Blogger. Die Petition verbreitete sich auch durch fast alle Internetforen, über Chats, IM und Emails. Das Netz nur auf Blogs und Twitter zu reduzieren wird gerne gemacht, ist aber falsch. Andere Internetseiten haben auch noch ein Wörtchen mitzureden und beispielsweise gulli.com hat mehr Einfluss als so manches Politblog.

  • Bei aller Euphorie bitte nicht vergessen, dass es hier in den letzten Wochen ein überaus netzaffines Wahlkampfthema (KiPo) gab. Ich will nicht sagen, dass es keine guten Blogs z.B. zu Wirtschafts- und Sozialthemen gäbe. Aber ob Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik etc. in der Blogosphäre soooo stark und fundiert (über den persönlichen Rant hinausgehend) vertreten sind, wage ich ein wenig zu bezweifeln.

  • Viele Menschen in Deutschland, die Blogs bereits kennen und oft auch nutzen, unterschätzen noch frappant, welch ein ungeheures Demokratisierungspotenzial im Genre ‚Blog‘ schlummert. Man überlege nur, was es bedeuten könnte, wenn die keineswegs hinreichend demokratischen Machtstrukturen des Mediensektors ernsthaft ins Rutschen gerieten. Und sie werden es. Man überlege auch, welchen Einfluss Blogs auf die konkrete Ausgestaltung unserer Demokratie (Parteienstaat etc.) haben könnten. Man denke daran, das Blogs (nicht nur Blogs) im Grunde Verlage als Vermittler zwischen Autoren und Lesern überflüssig machen könnten und so weiter. Blogs haben Zukunft, selbst in Deutschland.

  • Ich glaube das die „Generation der C64“ und jünger gerade in der letzten Zeit gezeigt haben, dass Politikverdrossenheit da aufhört wo die Auswirkungen der Politik den eigene Wirkungskreis erreichen…

    Nachdem jedoch das Medium dieser Generation in das Blickfeld der Politiker geraten ist – sei es jetzt durch Zugangssperre, Printmedien, Killerspiele oder KiPo-Sperre – ist das, was bisher selbstverständlich war in Gefahr von den Politikern verändert zu werden… Jetzt setzt sich die „Grasnarbe“ in Bewegung und sagt so nicht…

  • „Doch die deutsche Blogosphäre hat sich verändert – nicht graduell, sondern beinahe schlagartig. Unsere Blog-Autoren haben innerhalb der vergangenen Monate zu einer nie gekannten Mündigkeit gefunden, das Selbstbewusstsein und vor allem der Einfluss sind gewachsen.“

    Was auch richtig so ist … denn die Journalisten schreiben in der Regel nur dass, was sie dürfen.Blogger hingegen schreiben Ihre Meinung und Ihre Impressionen, was die Jorunalisten nicht machen. Sie schreiben zumeist nur über Fakten, was in meinen Augen zwar auch wichtig ist… aber die sollten mal lieber auf sich selber einprügeln, anstelle die Blogger Szene anzuprangern!

  • […] Doch auch in Deutschland haben nun Blogs langsam eine Reichweite erreicht, die die öffentliche Meinung beeinflusst. So haben die Petition und der Protest der hauptsächlich durch Blogs getragen wurde, rund um das Zensurula-Gesetz dazu geführt, die Öffentlichkeit über dieses sinnfreie Gesetz aufzuklären und deren Meinung zu kippen. Dies zeigt die wachsende Stärke der politischen Blogs in Deutschland. Das hat gezeigt, Blogs werden in Deutschland von einer immer stärker wachsenden Masse wahrgenommen. […]

  • Muß man den ‚Erfolg‘ der Weblogs nicht erst dann feiern wenn sich die Artikel, Einträge und Kommentare in praktischer Weise, also in Wählerstimmen niedergeschlagen haben?

    Erst wenn jede/-r Blogger/-in mindestens einen, besser drei Nicht-Internet-Aktive(-n) überzeugt hat kann sich doch an den Mehrheitsverhältnissen etwas ändern ….

    Ich bin seit dem Zensurgesetz ganz dreist:
    Wo immer die Rede auf Politik kommt mache ich Werbung für die Piraten – wenn sich Widerstand auftut bringe ich das Beispiel der Grünen, die anfangs ja auch eher ein kleines Häuflein von Öko-Freaks waren …. es ist die Idee, die vermittelt werden muß.

  • Fortschritte hat es gegeben. Aber von einer schlagartigen Veränderung, wie es im Artikel gesagt wird, kann nicht die Rede sein. Und die angebliche Relevanz, die Blogs jetzt erreicht hätten, ist wohl Wunschdenken.

    Mein Wunsch ist das auch, aber davon sind wir noch weit entfernt. Die Diskussion um die Internet-Sperren hat einen gewissen Schub gegeben, aber bevor die Blogosphäre hierzulande tatsächlich solchen Grad an Einfluss erlangt, muss noch was passieren.

    Ich sehe 2009 aber durchaus positiv. Nach der Performance von CDU und SPD in den letzten Wochen sind eine Menge Blogger motiviert, etwas zu verändern.

    Nach der Bundestagswahl könnten Blogs daher wieder einen Level weiter gekommen sein.

  • Schade ist einfach die Entwicklung in der Schweiz. Hier werden von den etablierten Medien vorallem Blogs von Journalisten und Redakteuren (also Leuten aus den eigenen Reihen gefördert). Die anderen müssen selber sehen wo sie bleiben.

  • Finde Blogs nicht nur als Informationsquelle gut, so kann man auch selber so etwas ähnliches wie ein Tagebuch führen wo andere dran teilhaben können wenn sie wollen. Sinnvolles sollte natürlich auch enthalten sein.