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Jugendschutzprogramm überwacht und verkauft die Jüngsten

sentry

Bei aufgeklärten Internetnutzern dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass Behavioral Targeting ein zweischneidiges Schwert ist: Auf der einen Seite bekomme ich bei Streifzügen im Netz nur noch halbwegs relevante Werbung vorgesetzt. Auf der anderen Seite muss ich damit leben, dass irgendwo irgendwer sitzt, der meinen Pfad von Seite zu Seite überwacht, aufzeichnet und auswertet. Mittels anonymisierter Daten, hoffentlich.

Das Image der auf das Verhalten abgestimmten Tracking-Technologie hat in vergangener Zeit ordentlich an Image einbüßen müssen. Datenschützer drängen Google dazu, endlich eine globale Opt-Out-Funktion zu integrieren, damit die Entscheidung zur Überwachung wieder beim Nutzer liegt. Doch man kann dieses ganze Theater als Werber auch umgehen. Wie? Nun, man stürzt sich einfach auf die Schwächsten der Gesellschaft – die Kinder. Und deren Eltern, die aus Sorge um ihre Kleinen, offensichtlich heute alles unterschreiben.

Sentry Parental Control ist ein Jugendschutzprogramm, für das mit folgenden Argumenten geworben wird:


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Eltern können mittels Total Family Protection jede Instant Message-Unterhaltung, besuchte Websites und aufgerufene Anwendung am Rechner des Kindes überwachen. Eltern können auch bestimmen, wie lange das Kind den Computer benutzen oder sich im Internet bewegen darf. Eltern können sogar das Keyboard und die Maus des Kindes kontrollieren, Dateien übertragen und den Rechner von jedem Ort aus sperren oder rebooten.

Während Frau von der Leyen und Herr Schäuble bei dieser Beschreibung vor Freude wohl vom Sitz aufspringen in lauten Jubel ausbrechen würden, frage ich mich, welche Eltern ihrem Kind so wenig zutrauen und stattdessen auf die totale Überwachung setzen. Immerhin, einen Vorteil hat die Sache: Da das Kind von Anfang das Internet mit einem schlechten Gewissen und dem Damokles-Schwert der Sanktion in Verbindung bringt, wird es sich später prächtig an das deutsche Netz mit Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung und Seitensperren anpassen können.

Doch das eigentlich Skandalöse kommt erst noch: um die Eltern rechtzeitig warnen zu können, werden die kindlichen Web-Sitzung nicht nur komplett aufgezeichnet, sondern auch analysiert. Schreibt der Sohnemann ein schändliches Wort im Chat, klingelt bei Papa das rote Telefon und er kann sofort ins Kinderzimmer stürmen, um schützend einzugreifen. Dazu legt Sentry Parental Control eine gigantische Datenbank mit Schlüsselwörtern an. Laut Cnet zählt dazu sogar „POS“ („Parent over Shoulder“) und weiterer Ausdrücke des Kiddie-Online-Slangs. Der Anblick der riesigen Wortsammlung muss Echometrix, der Urheber der Software, auf die Idee gebracht haben: „Eigentlich könnten wir ja doppelt abkassieren. Bei den Eltern und bei den Werbern.“

Kurzerhand wurde das neue Produkt „Pulse“ gelauncht, dass Werbern einen völlig neuen Zugriff auf den „190 Milliarden Dollar schweren Teenager-Markt“ erlaubt. In der Anpreisung heißt es weiter:

Pulse […] erhält seine Daten von verschiedenen Quellen im Netz, unter anderem: Instant Messaging, Blogs, soziale Netzwerke, Foren und Chat-Rooms. Pulse analysiert die Inhalte und liefert unbearbeitete Konversationen in Echtzeit. Dies gibt der Marketingabteilung direkte und einzigartige Informationen darüber, was die Teens in ihren eigenen Worten mitteilen – echte und nützliche Informationen, die durch traditionelle Marktforschung nicht ermittelt werden können. Pulse deckt das Positive und Negative auf – über ein Produkt, eine Markte, einen Trend, einen Unterhalter, einen Film, TV-Shows, einen Sportler, Händler und so weiter.

Nachdem die Virenjäger von Trendmicro das Ding eindeutig als gefährliche Spyware deklarierten und auf die Barrikaden gingen, hat CNet den Echometrix-Chef Jeffrey Greene um klärende Worte gebeten. Der gab sich locker: „Wir können nie, niemals, nimmer das Kind identifizieren, das gerade spricht.“ Dennoch wurde nun als Folge des Interviews eine Opt-Out-Möglichkeit geschaffen.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass dies kein Einzelfall ist – im Gegenteil: Wo Daten gesammelt werden, finden sie früher oder später auch Verwendung, wie wir sehen. Wer weiß? Jetzt, wo die Bundesregierung schon die Gesetzschreibung an private Unternehmen outsourct, könnte sie doch in Zeiten klammer Kassen noch näher an die Wirtschaft rücken. „Hey, wir haben da für das vergangene halbe Jahr die Surfprotokolle von 80 Millionen Deutschen – anonymisiert natürlich. Na? Was sagt ihr?“

Via: Die Presse

(André Vatter)

Über den Autor

André Vatter

André Vatter ist Journalist, Blogger und Social Median aus Hamburg. Er hat von 2009 bis 2010 über 1.000 Artikel für BASIC thinking geschrieben.

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