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Blogs anderswo: Die (virtuelle) Mauer muss weg

sanchezKnackiger Titel für ein deutsches Blog in diesen Tagen, in denen wir feiern, dass die Mauer zwischen Ost und West vor exakt 20 Jahren eingerissen wurde, was? Aber keine Angst, ich will jetzt hier nicht auf irgendwelche Ost-West-Konflikte anspielen, oder den Mauerfall generell irgendwie thematisieren. Ich denke sowieso, dass es diese angeblich in den Köpfen noch vorhandene Grenze bei uns Digital Natives nicht gibt.

So, wie wir vor über 20 Jahren kaum zu träumen gewagt hätten, dass Reise- oder Meinungsfreiheit für die DDR-Bürger einmal selbstverständlich sein würde, so gibt es auch heute noch Menschen in einigen Nationen, die nur im stillen Kämmerlein darauf hoffen dürfen, eines Tages ähnlich frei agieren zu können, wie es für uns alle hier üblich ist. Auch dort müssen Mauern überwunden werden, wenngleich sie nicht immer aus Stein und Mörtel sind.

Die Methoden der Untergrundbewegungen in diesen Ländern sind sowas wie ein Hybrid aus den alten, etablierten Protestmöglichkeiten und den neuen, technisch gearteten Wegen, seiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Der Iran hat es vorgemacht, in dem man – der klassische Weg – auf die Straßen gegangen ist und gegen ein Unrechts-Regime protestiert, um es dann später – der neue Weg – via Twitter und Blogs in die ganze Welt zu verbreiten.

Iran, China, Nordkorea – die Liste der Länder ist leider immer noch zu lang. Ein eben solches, von der freien Welt isoliertes Land ist auch Kuba. Während ich mich gleich an eine Reihe verschiedener Staats-Chefs hierzulande erinnern kann, kennen dort mittlerweile zwei Generationen kein anderes Staatsoberhaupt als Fidel Castro. Wie zu erwarten, hat die kubanische Regierung nicht wirklich viel Interesse daran, seinen Bürgern Internet – und damit freien Zugang zu Information und die Möglichkeit der Meinungsäußerung – zu gewähren und so ist es dem Volk von Kuba nicht möglich, einen eigenen Internetzugang zu besitzen.

Wer also dort surfen, bloggen oder twittern möchte, ist auf die Internet-Cafés angewiesen, die sich in einigen Hotels finden, und für die man dann aber auch horrende Stundenpreise zwischen fünf und sieben Euro hinblättern darf.

Könnt ihr euch vorstellen, dass jemand, der unter diesen Voraussetzungen ein Blog betreibt, monatlich bis zu vier Millionen Menschen erreichen kann? Ist auch wahrlich schwer vorstellbar, aber Yoani Sánchez schafft dieses Kunststück mit ihrem Blog Generation Y (deutsche Version)!

Mit ihrem Blog ist sie sowas wie die heimliche Stimme der Nation, die Stimme einer friedlichen Revolution geworden und das Time-Magazin kürt sie gar zu einer der 100 einflussreichsten Personen unseres Planeten. Sie legt ihren virtuellen Finger in die Wunden eines ganzen Landes und ist damit natürlich ein Dorn im Auge ihres Staats-Chefs – unabhängig davon, ob er Raúl oder Fidel heißt. Das äußerte sich zum Beispiel darin, dass ihr bereits mehrfach die Ausreise verweigert wurde anläßlich ihr verliehener Preise.

Vor etwa einem halben Jahr äußerte sie auch ihre Bedenken in einem dpa-Interview, dass man sie jemals ausreisen lassen wird:

Wir Kubaner sind wie kleine Kinder, die die Genehmigung vom Papa einholen müssen, um das Haus zu verlassen. Ich habe im vergangenen Jahr dreimal versucht, eine Reiseerlaubnis zu bekommen. Sie wurde jedes Mal abgelehnt. Aber ich werde es weiter versuchen und ich werde mich nicht mit dem Nein zufrieden geben. Aber es gibt nur wenig Chancen. In gewisser Weise ist das Nicht-Reisen-Dürfen die Strafe dafür, dass ich meinen Blog schreibe.

Heute nun berichtet n-tv von weiteren Schikanen gegenüber Sánchez und anderen Demonstranten. Sie ist anlässlich einer Demonstration für Gewaltfreiheit in der Welt von Zivilpolizisten geschlagen und vorübergehend inhaftiert worden. Sie ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß, genau wie einige Bloggerkollegen, die ebenfalls vorübergehend festgenommen wurden.

Schaut man nun mal in die deutsche Blogosphäre, muss man zugeben, dass unsere Probleme verhältnismäßig klein sind im Vergleich. Vermutlich wäre jemand wie Yoani Sánchez heilfroh, wenn sie sich mit Themen wie vermeintlichem Blogsterben, der Wikipedia oder abmahngeilen Anwälten herumschlagen dürfte.

Die Helden unserer Zeit werden keine Kriege gewinnen und – hoffentlich – auch keine Märtyrer sein. Im günstigsten Fall werden die kommenden Helden noch nicht einmal mehr auf die Straße gehen müssen, sondern einfach nur dafür sorgen müssen, dass ihr Wort in der ganzen Welt gehört bzw gelesen werden kann. Darüber sollten auch die Menschen mal nachdenken, die immer noch damit beschäftigt sind, im Internet nichts anderes als einen rechtsfreien Raum und einen Sündenpfuhl zu sehen.

(Carsten Drees)

Über den Autor

Ehemalige BASIC thinking Autoren

Dieses Posting wurde von einem Blogger geschrieben, der nicht mehr für BASIC thinking aktiv ist.

3 Kommentare

  • „Ich denke sowieso, dass es diese angeblich in den Köpfen noch vorhandene Grenze bei uns Digital Natives nicht gibt.“

    Doch gibt es. Sie drückt sich nur nicht in einem „Ost-West-Denken“ Sondern in einer Abgrenzung des „Nerds“ vom Nicht- oder Gelegenheits-Internet-Nutzer. Diese Abgrenzung einer Gemeinschaft von einer anderen ist eine „natürliche“ Reaktion um Grenzen abzustecken, doch werden die Grenzen auch oft mit einer unüberwindbaren Mauer bestückt, die einen normalen Meinungsaustausch von Mensch zu Mensch (fast?) unmöglich macht (Siehe Fallbeispiel Eva Schweitzer vs. Philipp. Wer dabei den Grundstein für gelegt hat, sei hier irrelevant).

    Aber auch die schlechte „Datenübertragung“ von Mimik und Ton bauen eine zwar nicht vollständig, aber doch nur mit Mühe überwindbare Mauer dar.

  • „sie und eine Begleitperson seien am Freitag von zwei Agenten in Zivilkleidung gestoppt und aufgefordert worden, in ein ein Auto zu steigen.

    Als sie sich geweigert habe, seien die Agenten handgreiflich geworden und hätten sie an den Haaren in das Auto gezerrt worden.“

    http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/2009/11/7/news-139947611/detail.html

    Wenn bei uns sich jemand der Polizei oder sich ausweisenden Zivilpolizisten widersetzt bekommt er regelmäßig Blumen geschenkt.

    Wenn dieser Vorfall in einem anderen lateinamerikanischen Land geschehen wäre, hätte in Europa niemand darüber berichtet. Es wird ja nicht einmal darüber berichtet, dass zb in Kolumbien regelmäßig (regierungs)kritische Journalisten von paramilitärischen Gruppen hingerichtet werden.

    In Kuba herrscht keine Meinungsfreiheit, aber „unabhängige“ Journalisten müssen nicht befürchten, dass sie ihren Job mit ihrem Leben bezahlen müssen.