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Raus aus dem Keller: Ein Streifzug über die Gamescom

„Du siehst überhaupt nicht aus wie ein Gamer“, scherzt der Rastafari-Typ, der mir als „eine Art Künstler“ vorgestellt wird. „Du bist nicht blass genug dafür.“ Da hat er mich erwischt, denn das bin ich wirklich nicht. Trotzdem war ich gestern in Köln vor Ort am Pressetag der Spielemesse Gamescom, die heute mit einem riesigen Ansturm für den Publikumsverkehr geöffnet hat. Es ist mein erster Besuch auf der Gamescom und da stehe ich nun also als Mittler zwischen den Welten, streife in einer kleinen Pause gedankenverloren durch die Hallen, als plötzlich eine schöne Frau vor mir steht und aufgeregt auf Englisch auf mich einredet. Ehe ich mich versehe, hat sie mich in den kleinen Stand von Dontnod hinein komplimentiert, den sie als PR-Assistentin vertritt, und mich dem ganzen Team mit seinen Entwicklern und eben auch Künstlern vorgestellt.

So etwas ist mir noch auf keiner Messe passiert. Egal, wem ich an diesem Tag begegne, die erste Frage lautet stets, ob man nicht „Du“ sagen könne, falls sie überhaupt noch gestellt wird. Einige meiner Interviewtermine kamen erst einen Tag vorher oder gar noch am selben Tag zustande. Hier ist man unkompliziert, hier legt man keinen Wert auf unnötige Formalitäten, hier macht man einfach. Liest man hierzulande etwas über Games, gibt es für gewöhnlich nur zwei Richtungen: die Seite der Kritiker, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit gerne einmal auf das Gewalt- und Suchtpotenzial der Spiele hinweisen. Und die Gamer selbst, die Spiele lieben und detailliert und in einer Fachsprache darüber schreiben, in der Außenstehende oft nicht kommunizieren können. Ich stehe dem Thema seit jeher ambivalent gegenüber.

Der typische Gamer ist Single, gebildet und treibt Sport


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Gespielt habe ich sehr viel in meiner Jugend mit dem C64 und später hauptsächlich Strategiespiele mit dem PC, aber nie mehr in dem Maße wie früher. Ego-Shooter haben mir immer Spaß gemacht, wenn ich damit direkt gegen meine Freunde spielen konnte, aber es ist nie zu einem Hobby geworden. Mario Kart, Golfen und Bowlen auf der Wii (ja, nennt mich einen Langweiler) oder meine Lieblingsspiele der vergangenen Jahre, GTA San Andreas, Liberty City und NBA Jam auf der Playstation 3, habe ich immer nur bei Freunden gespielt. Und natürlich bin ich Angry-Birds-Fan und spiele auf meinem iPhone gerne das – meiner Ansicht – viel zu unbekannte The Creeps. Ich bin nur Gelegenheitsspieler und schaue mir deswegen an diesem Tag fasziniert an, wie sich die Branche in den letzten zehn Jahren entwickelt hat.


Szenerie aus dem Dontnod-Spiel „Adrift“

Am Business-Stand von Electronic Arts im Untergeschoss (wie passend) von Halle 4 etwa gibt es nur Einlass nach Terminabsprache. In den Kabinen sitzen Gamer, die Journalisten die jeweils neuesten Spiele wie „Battlefield 3“ vorführen. Der Hersteller hat für die Gamescom ein Live- und ein Videoblog gestartet. Das EA-Personal hängt Uhren vor die Kabinen als Hinweis darauf, wann die jeweils nächste Vorführung beginnt. Schon eine Viertelstunde vor Beginn einer Vorführung ist praktisch kein Durchkommen mehr.

Gestern Vormittag stellte die Electronic Sports League (ESL) in Zusammenarbeit mit der Uni Bonn eine Studie über den typischen Gamer vor. Während die beiden Vortragenden ihre Präsentationen mit Headset über die Lautsprecheranlage halten, haben nebenan bereits die ersten Wettkämpfe der Intel Extreme Masters Global Challenge begonnen. Es ist der Saisonstart der weltweiten E-Sports-League der wohl besten Gamer der Welt in den Spielen „League of Legends“ und „StarCraft 2“. Letzteres sei das beste Spiel der Welt, meint eine Hostess aus Singapur, mit der ich mich später unterhalte. Die ganze Welt ist präsent auf dieser Messe. Die Kommentatoren und die Spielgeräusche übertönen die Pressekonferenz. Was die ESL darin bekannt gibt, birgt ebenso Überraschendes wie Erwartetes: 90 Prozent der 26.000 befragten Gamer sind zwischen 14 und 25 Jahre alt. Über 40 Prozent der Schüler unter den ESL-Teilnehmern besuchen das Gymnasium. Aber auch 59 Prozent sind Single. Das, beeilen sich die beiden Präsentatoren aber zu sagen, seien zehn Prozent weniger als 2009. Immerhin: 80 Prozent der Gamer treiben ganz herkömmlichen Sport mit Bewegung und allem Drum und Dran, rund jeder Zweite davon sogar regelmäßig.

Panzer neben Online-Brettspielen

Am Stand nebenan werben Hostessen in Armeekleidung gepaart mit aufreizenden Netzstrümpfen für das Panzerspiel „World of Tanks“, dessen Werbung im Vorfeld der Messe in Köln für Kritik gesorgt hat, ebenso wie die Anlieferung eines ausrangierten Original-Kampfjets. Direkt am Stand gegenüber stellt Ubisoft das Spiel „Die Siedler Online“ vor. Spielen bedeutete immer schon eine große Bandbreite und die Gamescom scheint das zu bestätigen. So setzt der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) in diesem Jahr den Trend beim Mobile und Online Gaming.


Fast zu süß um wahr zu sein: Wooga schreibt Erfolge

Und diesen Trend verkörpert der deutsche Social-Games-Anbieter Wooga besser als kaum ein anderer. PR-Chefin Sina Kaufmann präsentiert mir bei unserem Gespräch am Stand des GAME-Bundesverbandes stolz ein iPhone mit einem noch unveröffentlichten Social Mobile Online Game. Wir müssen laut reden, elektronisches Maschinengewehrfeuer dröhnt von einem der Nachbarstände herüber. Die Berliner sind mittlerweile die Nummer 2 der Social-Games-Anbieter auf Facebook und einer der ersten Social-Games-Anbieter auf Google Plus. „Und das mit nur hundert Mitarbeitern“, sagt mir Kaufmann, Pardon: Sina, nicht ohne Stolz. „Eine schöne Messe, aber eigentlich sind wir ja gar nicht hier.“ Wooga hat keinen eigenen Stand auf der Gamescom. „Wir betreiben kein aktives Business Development, die Spieler finden uns da, wo sie suchen“, sagt Sina. Da ist was dran: Ein eigener Messestand ist für einen Social-Games-Anbieter nicht zwingend notwendig auf dieser Spielemesse.

Dontnod hat noch einen solchen, wenn auch einen kleinen. Nachdem die PR-Assistentin mich der Runde vorgestellt hat, besteht sie darauf, dass ich ein Memory Pack mitnehme, das Screenshots des Spiels „Adrift“ enthält. Die Szenerie eines „Neo-Paris“ aus dem Jahr 2084 erinnere mich an den Film „Blade Runner“, sage ich dem Game-Designer. Er lacht, als ich das sage: „Du fällst hier auf, wenn du sowas erzählst. Du solltest weniger Filme gucken und mehr Spiele spielen.“ Ich glaube, das sollte ich wirklich.

(Jürgen Vielmeier, Bild: Dontnod, Cartoon: Wooga)

Über den Autor

Jürgen Vielmeier

Jürgen Vielmeier ist Journalist und Blogger seit 2001. Er lebt in Bonn, liebt das Rheinland und hat von 2010 bis 2012 über 1.500 Artikel auf BASIC thinking geschrieben.

20 Kommentare

  • „… Immerhin: 80 Prozent der Gamer treiben ganz herkömmlichen Sport mit Bewegung und allem Drum und Dran, rund jeder Zweite davon sogar regelmäßig …“

    Was denn nu? Sport, der nicht regelmäßig betrieben wird, ist kein Sport. Und warum sieht sich die Gamerszene immer wieder genötigt, lautstark zu verkünden, dass nicht alle Spieler faule Schluppis sind, die ihren Hintern kaum vom Sofa hochkriegen?

  • „Am Business-Stand von Electronic Arts im Untergeschoss (wie passend) von Halle 4 etwa gibt es nur Einlass nach Terminabsprache.“

    Entschuldigt die Frage, aber warum ist das passend?

  • @Simon: Glaube, darin ging es um Vereinssport (regelmäßig) und Freizeitsport (also alleine Laufen, Radfahren und Co.)

    @Sanguis: Sollte ein Scherz sein, Kellerkinder und so. Nicht lustig? 😉

  • Nett geschriebener Artikel, mal mit einer etwas anderen Sicht auf die Spielemesse als man sonst so liest.

    Insbesondere am Ende (Stichwort: Bladerunner) mußte ich lachen. 🙂

  • „Der typische Gamer ist Single, gebildet und treibt Sport“ 😀

    Is klar 😉

    Ja die Gamescom ist schon cool, leider kann ich dieses Jahr nicht hin.

    Aber allen viel Spaß 🙂

  • „Du solltest weniger Filme gucken und mehr Spiele spielen.“
    Ich glaube das sollten wir alle. In letzter Zeit schaue ich viel zu viele schlechte Film und die Storys werden immer dünner.

  • Ich hatte und oder habe dieses Jahr leider auch nicht die Möglichkeit zur messe zu fahren. die Gamescom ist schon immer eines der Messe highlights des Jahres für mich den ehemaligen sucht Gamer welcher aus dem Laster eine Tugend gemacht hat.
    Ich für meinen Teil kann zum Tema sind diese Games suchtgefärdent nur sagen, diese Games machen süchtig… verdammt süchtig sogar, aber nur dann wenn man es sehr unkontrolliert macht. Also an die Eltern ein kleiner Apell: Passt auf eure Kinder auf, spielen ist nicht schlecht ganz im gegenteil aber die zeit sollte in grenzen gehalten werden. Ich zocke heutzutage keine 18h am tag mehr aber ich gönne mir abends immer noch meine 2-4stunden und ich finde das dies wirklich ok ist und es so meinen Alltag auf jeden Fall bereichert.

  • (sarkasmus)Nur noch zwei bis vier Stunden??? Da hat man doch kaum Zeit sich ins Gameplay einzufinden…
    (/sarkasmus)

    Echt, ich hätte gern mal so viel Zeit.

  • @Jürgen: Da hab ich gar nicht dran gedacht, weil die ‚Kellerkinder‘ ja auf jeder Etage sind. Muss wohl mal wieder den Mittagskaffee einführen, um die Denkfähigkeit zu pushen. 😀

  • “Du fällst hier auf, wenn du sowas erzählst. Du solltest weniger Filme gucken und mehr Spiele spielen.”

    Tatsächlich, mit soetwas fällt man auf?

    Es ist interessant, auch mal einen Artikel eines CasualGamers zu lesen, der nicht nur über Spiele zu berichten weiß, sondern auch über das Drumherum.

    Mir selber hat die Gamescom sehr gut gefallen, auch wenn ich viel zu unvorbereitet an die Sache herangegangen bin. Du scheinst da etwas organisierter gewesen zu sein, liest sich besser 😉

  • „Der typische Gamer ist Single, gebildet und treibt Sport.“

    Und die typische Gamerin würde sich freuen, wenn es auch mal Hosts gäbe und nicht nur Hostessen. 😉

    Gut jedenfalls, dass du aufgefallen bist – ich finde, erst die Verankerung im echten Leben macht’s möglich, das Gamen zu genießen und die vielen Facetten eines durchdachten Spiels zu erkennen.

  • @Tanja Handl: Damit unterstellst du mir, dass ich im echten Leben verankert wäre. Ob das so ist… Puh, wer weiß. 😉

    @Zeitzeugin: Merci. Ach, im Chaos ist die Ordnung schon mit drin. Ich bin nur froh, dass ich nicht gestern oder heute hin musste. Ich hab die Bilder gesehen. Was da an Menschenmassen sind. Du lieber Himmel! 🙂

  • Ich hab es dieses Jahr leider nicht zur Gamescom geschafft, nur bei den Sideevents konnte ich kurz mal vorbeischauen.
    Die Studie über Gamer find ich ja ganz interessant: „Immerhin 80% treiben ganz herkömmlichen Sport…“ LOL!

  • @Simon:
    Sie sieht sich genötigt, weil das doch immer noch das vorherrschende Bild der Spieleszene in der Öffentlichkeit ist. Und das ja nicht ohne Grund, aber dennoch halte ich diese Ansicht für überholt. Davon wollen sich die Gamer eben befreien, die Zusammensetzung von Spielern ist mittlerweile extrem divers.
    Ob 40, verheiratet, mit Kinder und Job oder 20, single, arbeitslos, wohnt bei Mutti … allem schon begegnet, den typischen Gamer gibt es eben nicht mehr, daher sehe ich nichts schlechtes in dem Versuch der Szene, sich von einem altbackenen Image zu befreien.

  • Heute ist es nicht mehr wie vor 25 Jahren wo Gaming noch was besonderes war. Heut zu Tage spielt doch jeder Jungendliche zumindest irgendwann mal games. Finde solche Verallgemeinerungen nicht gut aber sonst ist der Artikel echt Klasse

    liebe grüße eure Maus 🙂