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"Nerd Attack": Christian Stöcker hat der Generation C64 ein Denkmal gesetzt

Wenn man so will, ist Christian Stöcker Deutschlands meist gelesener Techblogger. Er ist Leiter bei Spiegel Online Netzwelt, einem Ressort, das sich von Techblogs kaum noch unterscheidet. Da er außerdem Mitglied der Generation C64 ist, hat er jetzt ein Buch namens „Nerd Attack“ darüber geschrieben, das es seit heute zu kaufen gibt.

Stöcker, Jahrgang 1973, beschreibt darin auf 320 Seiten, wie er in den 80er Jahren mit seinen Freunden C64-Spiele tauschte und wie zur gleichen Zeit erste Hacker damals Netze infiltrierten. Zu Zeiten des Kalten Krieges noch unter ganz anderen Vorzeichen als heute. Von damals schlägt er den Bogen zu Anonymous und den Hacks der heutigen Zeit. Er räumt darin mit dem Klischee der Hacker als gewissenlose Bösewichter auf und beschreibt vielmehr, wie sich die Nerdkultur bis heute entwickelt hat. Seine These: Der Graben zwischen denjenigen, die mit einem Rechner aufgewachsen sind, und den älteren, die noch heute Computer und das Internet verteufeln, bleibt schwer überwindlich.

Wird das Buch auch Offliner umstimmen?


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Die heutige deutsche Politik werde maßgeblich von Menschen gemacht, die erst sehr spät in ihrem Leben mit der digitalen Welt in Berührung gekommen sind und vieles nur von äußeren Beschreibungen her kennen. Das führe unweigerlich zu Spannungen mit jungen Menschen von heute, die sich mit oft kaum nachvollziehbaren Gesetzespaketen der „Unwissenden“ wie Netzsperren oder Vorratsdatenspeicherung herumschlagen müsse. Falschdarstellungen in den Medien – bestes aktuelles Beispiel ist die stark kritisierte RTL-Reportage über die Gamescom – verbreiterten den Graben nur noch. Stöcker beschreibt, wie er früh mit den Medien E-Mail und MP3 in Berührung kam und wie er in einem Auslandsjahr in Bristol in England gelernt hat, dass das Internet dort seit jeher viel selbstverständlicher und mit weniger Vorurteilen genutzt wird.

Der Autor stellt sich aber nicht vorbehaltlos auf die Seite der Computerfreaks, sondern beschreibt vor allem die Szene der Cracker kritisch. Er beschreibt, wie er mit 3rd-Person-Shootern in Berührung kam, wie man ihm seinerzeit den ersten Mosaic-Browser präsentierte und wie er selbst das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 erlebt hat. Erfreulich ist dabei, dass Stöcker die Hintergründe gut recherchiert, mit „Zeitzeugen“ gesprochen hat und in seine Erzählung immer wieder eigene Erlebnisse einstreut. Nach der Lektüre der 320 Seiten hatte ich Nackenschmerzen vom Kopfnicken.

„Nerd Attack“ ist eine schöne Erinnerung derjenigen von uns, die selbst in ihrer Jugend mit C64 oder dem Amiga erste Erfahrungen mit Computern gesammelt haben. Wer in dieser Zeit groß geworden ist oder einfach noch einmal lesen will, wie das Internet seit seiner kommerziellen Öffnung trotz aller Widerstände diese rasante Entwicklung nehmen konnte, dem hilft das Buch, die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Stöcker hat in seiner Position als Ressortleiter bei Spiegel Online fast schon die Pflicht, das Scharnier zwischen Online-Fans und -Skeptikern zu bilden. Das einzige, was ich an dem Buch deswegen kritisieren muss, ist, dass Stöcker das leider nicht gelingt. Es ist ein Buch, das für Nerds und Geeks geschrieben wurde. Wer nach wie vor Angst vor dem Internet hat, den wird „Nerd Attack“ nicht reizen. Er wird die „Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook“ aus Desinteresse gar nicht erst lesen.

(Jürgen Vielmeier, Grafik: DVA)

Über den Autor

Jürgen Vielmeier

Jürgen Vielmeier ist Journalist und Blogger seit 2001. Er lebt in Bonn, liebt das Rheinland und hat von 2010 bis 2012 über 1.500 Artikel auf BASIC thinking geschrieben.

10 Kommentare

  • Das Fazit ist irgendwie komisch. Es sollte doch kein Buch werden was Oma und Opa davon überzeugt das dass Internet etwas Gutes ist. Es soll doch ein Buch sein was die alten Erinnerungen aufleben lässt und die schöne Zeit nochmal reveu passieren lässt. Von daher kann ich die Kritik nur so verstehen das es vielleicht schade ist das er die Chance nicht genutzt hat. Wobei wer will Oma und Opa zum Internet überreden … die sind alt genug zu entscheiden ob Sie es mal testen wollen oder nicht … gibt doch genügend positive Beispiele … mfg

  • @Björn: Na, anders ausgedrückt: Wenn er die Offliner hätte erreichen wollen, hätte er das Buch anders nennen müssen. Wer sich damit nicht auskennt, weiß wohl nicht einmal, was ein C64, Twitter und Facebook sind, und wird sich das Buch deswegen gar nicht erst kaufen. Wäre aber schwer geworden, es allen recht zu machen. Von daher eine Mission Impossible.

  • Das Fazit verstehe ich auch nicht..
    „Stöcker hat in seiner Position als Ressortleiter bei Spiegel Online fast schon die Pflicht, das Scharnier zwischen Online-Fans und -Skeptikern zu bilden. Das einzige, was ich an dem Buch deswegen kritisieren muss, ist, dass Stöcker das leider nicht gelingt.“

    Kann er also kein Buch schreiben, ohne einem solchen Anspruch gerecht zu werden? – Warum? Und woher leitet sich ab, dass er die Pflicht hat da vermittelnd zu wirken??

  • @Anonymous @Björn: Hab mich da vielleicht ein bisschen schwammig ausgedrückt. Ich hab damit gemeint: Er schreibt für Spiegel Online, eins der wenigen Online-Medien, das – dank des Namens „Spiegel“ im Namen – Vertrauen auch bei Offlinern genießt. Von daher hat man dort prizipiell die Möglichkeit und m.E. auch die Pflicht, Internetneulingen das Web näher zu bringen.

    Dann ist „Nerd Attack“ aber ein Buch, dass sich Online-Verweigerer aufgrund des Titels, der Aufmachung und der Beschreibung wohl niemals selbst kaufen würden, wenn sie es im Buchladen liegen sehen. Von daher wurde hier die Chance verpasst, Offliner für das Web zu begeistern. Allerdings ist das ohnehin schwer bis unmöglich, und Stöcker kann man inhaltlich keinen Vorwurf machen: Der Online-Skeptiker, der das Buch denn schlussendlich liest, vielleicht, weil es ihm geschenkt wird, der wird danach weniger Angst vor dem Internet haben.

  • Damn, als dieser „Nerd“ mit Computern spielte, hatte ich schon erste Versuche am Commodore VC20 hinter mir gehabt, ein Vampiradventure zu programmieren – inklusive Speicherung auf einer „Datasette“.
    😉

  • Ich rätsele ja immer noch, was für eine Generation ich denn nun bin. Generation North Star habe ich noch nicht gehört. Frust.

  • @Vera:
    „Generation North Star“ habe ich auch noch NIE gehört oder gelesen. Verwendet Stöcker den Ausdruck in seinem Buch ? (Hab’s bislang nur angelesen.)

    Recht gebe ich Dir, was das Gefühl der Generationen-Zugehörigkeit anbelangt: Ich bin Baujahr ’74, in der IT-Branche tätig, und technik-affin seit frühen Jugendjahren; auf der anderen Seite aber in vielen Dingen eher altmodisch und „bewahren-wollend“. Bin ich nun „Generation X“ oder „Y“ oder keins von beidem..?
    – Ein Grund, warum ich mich auch immer mit diesem zwangs-umarmenden „WIR“ schwertue, das viele Autoren so gerne verwenden, wenn sie mal wieder neue „Generationen“ ausgemacht zu haben glauben. Etwas, wovon sich Christian Stöcker aber ganz wohltuend abhebt, da er sich selber auch nicht als typischen Nerd etikettieren würde.