Wirtschaft

„Das Wolfram Alpha der Rechtsbranche“: Jürgen fragt… Veronika Pratzka von Kelsen

geschrieben von Jürgen Kroder

frag-kelsen

„Ich zahle seit vier Monaten keinen Unterhalt. Welche Folgen kann das haben?“oder „Wie teuer ist ein Testament?“ – Wem solche oder ähnliche Fragen auf der Zunge liegen, dem könnte mit ask-kelsen.com geholfen werden, einem selbstlernenden Algorithmus für Rechtsangelegenheiten. 

Hinter Ask-Kelsen, kurz: Kelsen, steckt ein Berliner Start-Up, das mit Hilfe von Microsoft und IBM mehr als nur eine Suchmaschine entwickelt hat. Wie Kelsen funktioniert und welche Pläne die Erfinder damit haben, verriet mir Mitgründerin Veronica Pratzka im Interview.

Gleich mal provokant gefragt: Braucht die Welt noch eine Suchmaschine? Hat nicht Google schon die Antworten auf alles, was man wissen muss?


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Kelsen ist keine Suchmaschine, sondern ein selbstlernender Algorithmus, der automatische Antworten basierend auf bereits vorhandenen Rechtsfällen generiert. 70-80 Prozent* der weltweiten Online-Daten sind sehr unstrukturiert. Und Suchmaschinen suchen nur nach Keywords. Google hat viele Antworten, jedoch muss man sich diese selbst aus tausenden von Suchergebnissen zusammen suchen und hoffen, dass man zuvor die richtigen Keywords eingegeben hat. Kelsen dagegen ist eher ein kostenloser Online-Anwalt, der natürliche Sprache versteht, sich in allen Rechtsgebieten auskennt, 24/7 arbeitet und immer up-to-date ist.

Wie funktioniert Kelsen? Welche Besonderheiten hat es zum Beispiel im Vergleich mit Google oder Wolfram Alpha?

Zunächst versteht Kelsen im Vergleich zu Google natürliche Sprache! Das heißt, auch mit der Eingabe von langen Sätze und Fragen, nicht nur Keywords, findet Kelsen passende Antworten. Darüber hinaus durchsucht Kelsen „nur“ relevante rechtliche Datenquellen und stellt dem User eine Auswahl an passenden Antworten bereit, die er zudem bewerten kann.

Man könnte Kelsen leicht überschwänglich als „das Wolfram Alpha der Rechtsbranche“ bezeichnen. Wir fokussieren uns mit Kelsen auf rechtliche Daten, strukturieren und analysieren sie, um sie schließlich zur Verfügung zu stellen. Von dieser Strukturierung und Visualisierung der rechtlichen Daten können nicht nur Ratsuchende und Rechtsanwälte profitieren, sondern auch Gesetzgeber, Gerichtshöfe und Forschungseinrichtungen.

In eurer Beschreibung verwendet ihr die Begriffe „Machine Learning“ und „Cognitive Computing“. Bitte beschreibe etwas genauer, was hier dahintersteckt.

Veronica Pratzka

Veronica Pratzka

Kelsen ermöglicht die automatische Generierung von passenden Antworten auf rechtliche Fragen und versteht natürliche Sprache: Mithilfe von NLP (Natural Language Processing) Technologien versteht Kelsen die in natürlicher Sprache eingegebenen Fragen und klassifiziert sie je nach Rechtsgebiet. Kelsen nutzt rechtliche Datenbanken, um die Fragen zu analysieren und zu interpretieren. Durch die Anwendung von semantischen Strukturen und der Gewichtung von Informationen findet Kelsen ähnliche Fälle und bewertet diese bezüglich der Anwendbarkeit. Schließlich filtert Kelsen alle relevanten Informationen heraus und stellt eine passende Antwort bereit. Darüber hinaus ist Kelsen ein kognitives System, dass kontinuierlich lernt und seine Ergebnisse durch evidenzbasierte, menschliche Interaktion verbessert.

Neben den genannten Begriffen verwendet ihr auch „Big Data“ als Schlüsselwort. Da dürfte bei manchen Leuten die Alarmglocken losgehen. Wie geht ihr mit dem heiklen Thema um?

Bei uns ist Big Data kein heikles Thema, sondern ein ungenutztes Potential zur Lösung verschiedener Probleme. Mit Kelsen strukturieren und analysieren wir öffentlich zugängliche rechtliche Datenbanken wie z.B. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Fachartikel. Damit ermöglichen wir eine bessere Zugänglichkeit und effizientere Nutzung dieser großen Datenmengen.

Welche Rolle spielten Microsoft und IBM bei der Entwicklung von Kelsen? Welche Vorteile hattet ihr dadurch?

Mit der Unterstützung von Microsoft Ventures haben wir während des Accelerator Programms (batch #2) Kelsen entwickelt und zum Abschlussabend im Dezember 2014 gelauncht. Der Vorteil war hier ganz klar das große Netzwerk aus Experten, Investoren und Partnern. Auch über den Accelerator hinaus bietet uns Microsoft vor allem technische Unterstützung durch erfahrene Evangelisten aus dem Bereich des Machine Learning und steht uns jederzeit bezüglich Business Development und Customer Acquisition beratend zur Seite.

Als Teil des IBM Entrepreneur Programms haben wir kostenlosen Zugang zu zahlreichen Machine Learning Technologien von Blue Mix sowie einem weiteren großen Netzwerk aus Experten.

Welches Geschäftsmodell werdet ihr implementieren, um Kelsen zu monetarisieren?

Im B2C Bereich planen wir in Zukunft eine Premium-Mitgliedschaft, die unseren Usern Zugang zu erweiterten Funktionen bietet, wie stärkere Personalisierung, in natürlicher Sprache aufbereitete und präzise Antworten, wertvolle Statistiken sowie eine Auswahl an automatisierten Lösungen zur finalen Bearbeitung des Rechtsproblems.

Im B2B Bereich werden wir Kelsen als SaaS Anwaltskanzleien als alternatives Rechtsinformationssystem zur Recherche nach relevanten Rechtsprechungen, Gesetzen und anderen Rechtstexten anbieten. Rechtsanwälte verbringen häufig 30% ihrer Zeit nur mit Recherchen. Mit Kelsen aber werden sie viel Zeit einsparen, da sie bessere Suchergebnisse erlangen und relevante Zusammenhänge zwischen den rechtlichen Fällen aufdecken können.

Darüber hinaus soll Kelsen ein effektives Daten Management Tool für Anwaltskanzleien sowie öffentliche Institutionen werden, die mit großen Mengen an rechtlichen Daten arbeiten.

Wie geht es in naher Zukunft für euch und Kelsen weiter?

Kelsen muss jetzt vor allem lernen, d.h. so viele Menschen wie möglich müssen Kelsen Fragen stellen und die Ergebnisse bewerten, damit der Algorithmus lernt. Gleichzeitig arbeiten wir stetig an der Erweiterung der Datenbank und der Strukturierung der großen Datenmengen. Wir wollen mit Kelsen einen Großteil der rechtlichen Datenbanken in Deutschland zugänglich machen.

Außerdem beschäftigen wir uns mit der technischen Weiterentwicklung zur Verbesserung und Integration neuer Technologien, z.B. Statistical NLP, Automatic Taxonomy, Topic Modelling, Clustering, Linguistic Trees. Unser Ziel ist es, dass Kelsen eigenständig Informationen aus Daten gewinnt und daraus Schlüsse ziehen sowie präzise Antworten auf Fragen in natürlicher Sprache geben kann.

Schließlich sind wir zur Zeit auf der Suche nach einer ersten Finanzierungsrunde, um die oben genannten Vorhaben erfolgreich abzuschließen und Kelsen zu etablieren.

Viel Erfolg und vielen Dank für das Interview!

Bilder: Kelsen

* Quelle: Holzinger, Andreas; Stocker, Christof; Ofner, Bernhard; Prohaska, Gottfried; Brabenetz, Alberto; Hofmann-Wellenhof, Rainer (2013). „Combining HCI, Natural Language Processing, and Knowledge Discovery – Potential of IBM Content Analytics as an Assistive Technology in the Biomedical Field“. In Holzinger, Andreas; Pasi, Gabriella. Human-Computer Interaction and Knowledge Discovery in Complex, Unstructured, Big Data. Lecture Notes in Computer Science. Springer. pp. 13–24.

Über den Autor

Jürgen Kroder

Jürgen bezeichnet sich als Blogger, Gamer, Tech-Nerd, Autor, Hobby-Fotograf, Medien-Junkie, Kreativer und Mensch. Er hat seine unzähligen Hobbies zum Beruf gemacht. Und seinen Beruf zum Hobby. Obwohl er in Mainz wohnt, isst er weiterhin gerne die Maultaschen aus seiner Heimat.

3 Kommentare

  • Dies hatte Gunter Dueck vorausgesagt.
    Die Maschine übernimmt 80% der Arbeit. Dadurch werden wir in Zukunft nicht genug Arbeit für die restliche Bevölkerung haben.

    Industrialisierung des Arbeitsmarktes nette es sich. Ist allgemein Bekannt.

  • @All Free website
    Zitat „Kelsen ist kein Killer-Startup, nur ein großes Luftschloss“ Dem widerspreche ich. Kelsen ist weder das Eine, noch das Andere. Kelsen ist vielmehr ein Vertreter der nächsten Stufe von, sich autodynamische weiterentwickelnden Beratungslösungen, in vorliegendem Falle als sogenannter Legal-Bot die Rechtdienstleistungsbranche betreffend . In dieser Branche sind Legalbots logisch betrachtet der konsequente nächste Schritt der Automatisierung.

    @Paul
    Ich modifiziere: Die Maschine übernimmt 80% der bisher üblichen Arbeit. Die freiwerdenden Human-Kapazitäten stehen dadurch neuen, sich derzeit neu, bzw, sich weiterentwickelnden Tätigkeitsgebieten zur Verfügung. Durch diese Tatsache werden wir in Zukunft nicht genug Arbeit für einen nicht, bzw. einen ungenügend oder wenig gebildeten / gering qualifizierten Teil der Bevölkerung haben. Diese Problemstellung zu meistern ist m.E. eine der gesellschaftlichen Hauptaufgaben – die wir aber sicher meistern werden.