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Mediendschungel: 08/15 statt innovativ – Der Medienkonsum der scoopcamp-Teilnehmer

Mediendschungel
geschrieben von Hendrik Geisler

Es gibt unzählige Arten, Nachrichten online zu konsumieren. Zwischen Nachrichtenapp, Digitalkiosk, Instant Article, Datenjournalismus, Clickbait, Twitter und E-Paper findet man sich nur schwer zurecht. Hendrik Geisler führt in seiner Kolumne durch den Mediendschungel und schreibt über Apps, Tools und Services für Leser und Medienmacher. Diesmal: Der Medienkonsum der scoopcamp-Teilnehmer.

Was erwartet man, wenn man Teilnehmer einer Konferenz, bei der es um Trends und Innovationen im Journalismus geht, zu ihrem Medienkonsum befragt? Die Antwort liegt auf der Hand: Trendiges und Innovatives. Ich spreche von Hinweisen auf Apps, die mir genau das Stück Information liefern, was ich lesen oder anschauen möchte, und Empfehlungen zu Start-ups, die die Art, wie Nachrichten uns erreichen, ganz neu aufziehen, gar revolutionieren.

Mit dieser Erwartungshaltung habe ich mich auf den Weg nach Hamburg gemacht, um dort am 1. Oktober am siebten* scoopcamp teilzunehmen und ganz nebenbei mal zu erfahren, wie Journalisten und andere Medienmacher ihre Nachrichten erhalten. Die Ergebnisse dieser – wohlgemerkt nicht repräsentativen – Umfrage haben mir gezeigt, dass sich auch die Teilnehmer einer Medientagung mit dem Untertitel „new storytelling“ nur selten vom 08/15-Nachrichtenkonsumenten unterscheiden.


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Facebook und Twitter – klassische Nachrichtenlieferanten?

Im ersten Teil des Mediendschungels hatte ich Webseiten wie etwa Spiegel Online, Zeit Online als klassische Nachrichtenseiten bezeichnet. Facebook und Twitter gehörten für mich zu den Anführern der Aggregatoren – Seiten, Apps und Services, die für mich – bestenfalls relevante – Nachrichteninhalte kuratieren. Sie waren ein Sinnbild der neuen Art, Medien zu konsumieren. Frisch und innovativ. Sind sie das noch? „Ich bekomme meine Nachrichten neben dem Agenturticker hauptsächlich über die Newsfeeds bei Twitter und Facebook“, berichtet Simon Nagel, Technik-Redakteur beim dpa-Themendienst, und steht damit nicht alleine da.

Lina Timm, Program Manager beim Media Lab Bayern, das digitale Medien- und Journalismusprojekte fördert, betont, sie verfolge nicht täglich ein großes Nachrichtenformat. „Für Nachrichten bin ich fast nur noch auf Facebook und Twitter unterwegs“, gibt sie zu, und erklärt, warum sie Facebook Twitter gegenüber bevorzugt: „Wenn ich bei Facebook reinschaue, sehe ich fast nur Nachrichten. Bei Twitter sehe ich alles mögliche. Dort läuft es so schnell durch, dass ich vieles gar nicht mitbekomme. Das gibt mir das Gefühl, dass ich bei Facebook besser informiert werde“. Carline Mohr von bild.de favorisiert hingegen Twitter. „Das kann ich viel besser organisieren“, sagt sie und erklärt, dass sie dort besser bestimmten Themen nachgehen oder beispielsweise Nachrichten aus ihrem Heimatbezirk Neukölln verfolgen könne.

Auch die anderen Befragten erklären ausnahmslos, dass sie mit zumindest einem der beiden Netzwerke am liebsten ihren Nachrichtenhunger stillen. „Ich bin eher ein klassischer Nutzer“, sagt Roland Julius Endert, Geschäftsführer der Journalismusagentur Netz-Lloyd. Damit meint er aber mitnichten die von mir als klassisch betitelten Nachrichtenseiten der großen Medienhäuser. Stattdessen schiebt er hinterher, dass er sich zahlreiche Linkempfehlungen unter anderem auf den sozialen Netzwerken besorge. Kann man aus all diesen Äußerungen nun entnehmen, dass Facebook und Twitter ebenfalls als klassische Nachrichtenlieferanten eingestuft werden müssen, da sie jeder nutzt? Das ist natürlich Blödsinn. Selbstverständlich haften ihnen mittlerweile nicht mehr die Etiketten „frisch“ und „innovativ“ an, statt klassisch muss man sie jedoch eher als etabliert bezeichnen. Doch was sind dann die Apps, Tools und Services, die, wenn auch nicht revolutionär, aber doch im Kommen sind? Die neuen frischen und innovativen Nachrichtenwege? Was ist der nächste Schritt, der nach den sozialen Netzwerken kommt?

Apps, die Apps kuratieren

Viel zu oft ist die Twitter Timeline vollgespamt mit Zeug, das man eh nicht anklickt und das den Blick auf das wirklich Interessante versperrt. Statt es radikal wie Tobias Schwarz bei Twitter oder Ian C. Rogers bei Instagram zu machen und erst einmal allen Gefolgten zu entfolgen, um dann bei Null zu beginnen und nur Interessantes in die Timeline zu holen, geht der Trend vor allem dahin, Apps mit anderen Apps zu kuratieren. Über den mittlerweile Twitter-eigenen Service TweetDeck haben wir bei basicthinking.de bereits mehrfach geschrieben. Und auch bei den befragten Scoopcampern steht TweetDeck hoch im Kurs.

Neben dpa-Redakteur Nagel geben auch Lars Wienand, Leiter Social Media der Funke-Zentralredaktion, und Christine Badke, leitende Redakteurin bei ksta.de, TweetDeck als einen ihrer meistgenutzten Services an. Sie könne sich dort Twitterlisten zu zu den verschiedensten Themengebieten erstellen, betont Badke. Luca Caracciolo, der das t3n-Magazin leitet, verhilft sich ebenfalls mit nach Interessen geordneten Twitterlisten zum besseren Durchblick: „Ich habe bei TweetDeck etwa zehn eigene Spalten erstellt, zum Beispiel eine mit Journalisten oder eine mit US-amerikanischen Tech-Seiten.“

Nuzzel bringt Ordnung ins Gewusel

Lars Wienand benutzt noch eine andere App, die hilft, das Gewusel bei Twitter und Facebook zu ordnen. Als scoopcamp-Moderatorin Jennifer Schwanenberg während der abschließenden Podiumsdiskussion die rund 260 versammelten Journalisten und Medienmacher fragte, wer denn Nuzzel nutze, waren im Theater Kehrwieder fast nur fragende Gesichter zu sehen. Neben mir meldeten sich lediglich drei andere Nutzer der tollen App, darunter auch Wienand. Nuzzel sammelt, was die Leute, denen man folgt, teilen, und präsentiert das Geteilte angenehm ruhig mit Fokus auf die Beiträge. „Nuzzel liefert mir, was unter meinen Followings am meisten verbreitet wurde. Das ist ein guter Einstieg nach einer Offline-Zeit“, erklärt der Journalist.

Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Wer schnell sehen möchte, was gerade in den Netzwerken die Runde macht, sollte Nuzzel nutzen. Ich kann entscheiden, ob mir die Beiträge nach Aktualität oder Zahl der Nutzer, die sie geteilt haben, angezeigt wird. Fantastisch ist die Möglichkeit, die Newsfeeds anderer Leute zu erkunden. So kann ich beispielsweise auch sehen, was der amerikanische Internet-Guru Jeff Jarvis in den sozialen Netzwerken angezeigt bekommt oder was gerade im Newsfeed des Dallas Mavericks-Besitzers Mark Cuban heiß läuft. Cool ist auch die Kategorie „News from Friends of Friends“, die mir präsentiert, was die von mir Gefolgten selber in ihrer Timeline sehen. Man ahnt es vielleicht: ich bin ein Nuzzel-Fanboy, der hiermit die unbedingte Empfehlung ausspricht, sich die App sofort zu laden, wenn man Interesse daran hat, den Überblick zu bewahren und sich nicht von den Nebengeräuschen der Netzwerke ablenken zu lassen. Dass die App selbst im Kreis der scoopcamp-Teilnehmer bisher kaum Anwendung findet, hat mich doch sehr überrascht.

Newsletter sind im Trend

Neben den Netzwerken, die Nachrichten aggregieren, sind auch Newsletter wieder im Trend. Roland Julius Endert ist ein fleißiger Nutzer dieser Informationsform, deren Übertragungsweg schon so oft für tot erklärt wurde. „Es gibt bestimmt 30, 40 verschiedene Newsletter, die mir relevante Informationen zur Netzpolitik und -kultur liefern“, sagt Engert und nennt beispielhaft den Business Insider-Newsletter. Funke-Mann Wienand sagt, er erhalte oft interessante Informationen, die an ihm vorbeigegangen sind, in Newslettern. „Vor allem im Social Media Watchblog und im Xing-Newsletter finde ich immer wieder etwas.“

Gerade beim Social Media Watchblog muss ich ihm zustimmen. Das Angebot, das derzeit von einem sechsköpfigen Team betreut wird, liefert auch mir täglich kuratierte Beiträge zu Social Media. Derzeit hat der Newsletter nach eigenen Angaben rund zweitausend Abonnenten. Ich finde, dass er mehr verdient hat. Ich persönlich halte noch immer die Krautreporter-Morgenpost von Christian Fahrenbach für den besten Newsletter, insbesondere, weil er es immer wieder schafft, mich aus der Filterblase zu holen und mich dazu bringt, über meinen eigenen Horizont hinauszuschauen. Ebenfalls klasse ist die Blendle-Zeitungsübersicht und – nein, ich mache nicht mit bei all dem bento-Bashing – auch die News zum Wachwerden der bento-Redaktion bringen mir hin und wieder einen relevanten Lesetipp. Übrigens: Hier gibt es auch unseren Newsletter.

Die üblichen Verdächtigen und Niuws

Und wie sieht es mit Nachrichten-Apps aus? Viel habe ich von den scoopcamp-Teilnehmern gehört von Facebook und Twitter und wie diese Kanäle geordnet werden, Medien-Apps scheinen aber auch noch eine Rolle zu spielen. Thomas Wallner, 360-Grad-Filmemacher und Gründer von Deep Inc., der auf dem scoopcamp über Virtual Reality sprach, benutzt „sehr viel die BBC News App“. Jens Deward, Geschäftsführer bei YourFundi, betont, auf keinen Fall könne er auf Spiegel Online verzichten. Und Lina Timm nutzt die großen Medien-Apps vor allem dafür, zu schauen, welche von den „üblichen Verdächtigen“ die Push-Meldungen zu Breaking News am schnellsten versendet. Netz-Loyd-Mann Endert hingegen sagt, er sei weniger mit Apps unterwegs.

Luca Caracciolo greift, wenn es um Nachrichten-Apps geht, vor allem auf Niuws zurück: „Es gibt immer eine Person, die für einen bestimmten Themenbereich News kuratiert und einen kurzen Kommentar dazu abgibt.“ Niuws gehöre zu seinen wichtigsten Apps, betont der Journalist. Ich persönlich habe die App noch nicht ausgiebig genutzt, die Idee ist aber vielversprechend. Was mir bislang gefällt sind die sehr detailliert unterteilten Kategorien, trotz des einfachen Designs finde ich die App aber relativ unübersichtlich.

Journalisten sind auch nur normale Nutzer

Weitere Ausreißer gibt es nur wenige beim üblichen Medienkonsum. Caracciolo nutzt viel die Read-Later-App Pocket, um Artikel zu archivieren, Thomas Wallner ist genau wie ich ein Fan von Flipboard und Lars Wienand schaut neben Apple News hin und wieder auch gerne auf 10000flies.de, eine Seite, die täglich Social-Media-Charts veröffentlicht. Im Großen und Ganzen unterscheiden sich die befragten Journalisten und Medienmacher in ihrem Medienkonsum nicht stark vom normalen Nutzer. Dass ein Großteil der Menschen in sozialen Netzwerke dort auch und vor allem Nachrichten liest, ist schon lange kein Geheimnis mehr.

Was ich mir erhofft hatte, war, Hinweise auf Neues, Spannendes, Bahnbrechendes zu bekommen. Apps, die erst kürzlich ins Nachrichten-Repertoire aufgenommen wurden und schon jetzt begeistern. Services, die eine neue Art, Nachrichten zu übermitteln, anwenden. Tools, die von wenigen genutzt werden und doch so fantastisch sind. Vielleicht sind ja auch unter den Vielen, die ich nicht befragt habe, gerade die, die Neues ausprobieren und vorantreiben, ich weiß es nicht. Doch die Umfrage hat gezeigt: Die meisten der befragten Journalisten sind Leser, die sich hauptsächlich bei den großen und bekannten Angeboten bedienen. Das ist nichts per se Schlechtes, eher enttäuschend für mich. Bei einer Konferenz, auf der über Trends und Innovationen im Journalismus gesprochen wird, hatte ich mir mehr erhofft.

Der Nachwuchs zeigt, wo’s langgeht

Selten wird über den Tellerrand geblickt. Netzwerke wie Instagram und Snapchat, Nachrichtenaggregatoren wie upday oder Livestreaming-Apps wie Periscope wurden überhaupt nicht erwähnt. Auch Blendle, der Digitalkiosk für einzelne Artikel vom mit dem scoop-Award ausgezeichneten Gründer Marten Blankesteijn, ist scheinbar noch nicht durchdringend im Medienkonsum der Leser angekommen. Das scoopcamp hat mir vor allem gezeigt, dass diese Kolumne ihre Daseinsberechtigung hat. Ich werde auch in Zukunft versuchen, unbekannte und bislang kaum erprobte journalistische Innovationen zu finden und die Leser dieser Kolumne darauf hinzuweisen.

Wie etwa auf drei Beispiele, die ich ebenfalls beim scoopcamp kennengelernt habe. Studenten der Hamburg Media School haben vor dem scoopcamp in einem Hackathon Konzepte für neue Nachrichten-Apps erarbeitet. „News it!“, durch unterhaltsame Tests lernt die App, welche Nachrichteninhalte und -formate man sehen möchte, „Poly/Mono“, die App, die mir zeig.t, ob ein Artikel einer bestimmten Fragestellung gegenüber pro oder contra eingestellt ist, und „Heard.it“, das Nachrichtenmuffeln in fünf Audiostücken verständlich Nachrichten erklären möchte, könnten alle drei eine große Zukunft haben, wenn die Ideen, die dahinter stecken, verfolgt werden. Der Nachwuchs zeigt mal wieder wo’s langgeht. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

*Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, ich habe das fünfte scoopcamp besucht. Natürlich fand es 2015 schon zum siebten Mal statt. Der Fehler wurde berichtigt.

 

Über den Autor

Hendrik Geisler

Nachwuchsjournalist. Freigeist. Idealist. Interessiert sich für digitale Innovationen in der Nachrichtenwelt und schreibt darüber im Mediendschungel. Freut sich auf die Zukunft der Medien und will diese aktiv mitgestalten.

1 Kommentar

  • Niuws ist wirklich genial, auch wenn man davon ausgehen kann, dass die meisten News aus der Großpresse kommen werden und darum nicht immer so glaubwürdig, wie es private News-Blogs beispielsweise sind. Trotzdem eine klasse Idee mit Zukunft. 🙂