Marketing Wirtschaft

Was wäre, wenn wir für unsere Daten Geld bekommen würden?

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Sollten Daten wie Arbeit bezahlt werden? (Foto: Pixabay.com / jplenio)
geschrieben von Marinela Potor

Stellt euch vor, Nutzerdaten wären eine Währung. Anstatt, dass Facebook, Google & Co. also unsere Daten als „freies Abfallprodukt“ beim Nutzen ihrer Dienste erhalten, werden wir dafür bezahlt. Das ist der radikale Vorschlag einiger KI-Vordenker. In einem Positionspapier fordern sie deshalb: Daten sollten als Arbeit bezahlt statt als Kapital gratis abgeschöpft werden. Kann das funktionieren?

Internet-Nutzer – dieser Begriff allein treibt Imanol Arrieta Ibarra, Leonard Goff, Diego Jiménez Hernández, Jaron Lanier und E. Glen Weyl wahrscheinlich in den Wahnsinn. Denn das Wort legt nahe, dass wir das Internet lediglich konsumieren. Genau das ist aber nach Meinung dieser fünf Fachleute der Anfang der Ausbeutung der „User“.

In einem radikalen theoretischen Gedankenexperiment unter dem Titel „Should We Treat Data As Labor? Moving Beyond ‚Free'“ schlagen sie daher vor: Wir Internetnutzer sollen zu Datenlieferanten werden – und dafür auch noch bezahlt werden.


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Datenmarkt als Arbeitsmarkt

Der aktuelle Deal zwischen Tech-Unternehmen und deren Nutzern sieht ja folgendermaßen aus: Wir nutzen WhatsApp, Facebook, Google & Co. gratis und stellen dafür unsere persönlichen Daten zur Verfügung – ebenfalls gratis.

Ja, es gibt Datenschützer, die das Modell kritisieren. Es gibt auch einige besorgte User, die sich fragen, was mit ihren Daten eigentlich passiert. Dabei geht es aber lediglich um die Art und Weise der Nutzung der Daten. Das Modell an sich wird aber nicht infrage gestellt.

Es erscheint uns normal, weil es sich eben so eingebürgert hat. Und weil gewisse Interessengruppen diesen Mechanismus sehr vorteilhaft finden und ihn nicht ändern wollen. Natürlich wollen die Facebooks oder Airbnbs dieser Welt mit all ihrer Datenmacht, nicht anfangen, Nutzer dafür zu bezahlen.

Die Autoren hinter dem Positionspapier „Should We Treat Data As Labor? Moving Beyond ‚Free'“ fordern nun ein radikales Umdenken von dieser Vorgehensweise. Sie fragen daher: Was wäre, wenn der Datenmarkt genauso behandelt würde die der Arbeitsmarkt?

KI ist nichts ohne unsere Daten

Der Ausgangspunkt für diese Frage ist für die Autoren die aktuelle Entwicklung in der künstlichen Intelligenz. KI wird immer ausgefeilter, immer effektiver, immer besser und ersetzt jetzt schon menschliche Arbeit.

Nicht umsonst machen sich viele Gedanken über die Zukunft der Arbeit. Wenn aber Maschinen unsere Arbeit erledigen, womit verdienen wir dann eigentlich Geld? Klar, es wird noch einige Jobs in der Tech-Branche geben, aber es ist jetzt schon absehbar, dass die meisten von uns über kurz oder lang keine Arbeit mehr haben werden.

Und dann? Einige sehen die Lösung in einem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch die Autoren des Papers glauben, dass das langfristig ein gutes Modell ist. Doch bis dahin?

Bis dahin müssen wir alle uns darüber bewusst werden, dass wir die Hauptquelle für künstliche Intelligenz sind. Denn alle KI-Systeme basieren auf Daten. Big Data, um genau zu sein. Je mehr Daten und je besser die Qualität dieser Daten, desto ausgefeilter und präziser funktioniert künstliche Intelligenz.

Doch genau hier liegt das Dilemma. Hochwertige Nutzerdaten lassen sich nicht ganz so leicht bekommen. Gerade für kleine Unternehmen oder Start-ups sind Qualitätsdaten Mangelware.

Aktuell sind es einige wenige große internationale Tech-Konzerne wie Google, Facebook oder Uber, oder auch Kommunikationsunternehmen, die den KI-Markt dominieren.

Warum?

Weil sie die meisten Nutzer auf ihren Plattformen vereinen und somit auch leichten Zugang zu den meisten User-Daten haben. Diese Daten nutzen sie einerseits selbst für die Entwicklung von AI-Systemen. Google und Uber bauen intelligente Autos, Facebook entwickelt eigene Chatbots, Airbnb arbeitet an KI-Reiseangeboten.

Andererseits hat sich der Verkauf dieser Daten selbst zu einem Milliardenmarkt entwickelt. Beispiele von Telekommunikationsunternehmen, die ihre Nutzerdaten verkaufen, gibt es zuhauf.

Und wir, die wir ja all diese wertvollen Informationen liefern, gehen dabei leer aus. Beziehungsweise, wir haben akzeptiert, dass wir die Dienste mehr oder weniger gratis nutzen, wenn wir dafür im Gegenzug unsere Daten weitergeben. „Freie Dienste gegen Dauerbeobachtung“ nennen die Autoren von „Should We Treat Data As Labor?“ das.

Internetnutzung als Konsum betrachten ist gefährlich

Während die Unternehmen also unsere Daten als Kapital nutzen, betrachten wir unsere Internetaktivitäten als Konsum. Wir sind Nutzer von Diensten, wir konsumieren sie also. Wir konsumieren Social Media, wir konsumieren Videospiele, wir konsumieren Informationen.

Das ist eine sehr passive Sichtweise. Wer seine Freizeit auf Snapchat oder Instagram verbringt, wird selten als produktives Mitglied unserer Gesellschaft angesehen. Das wirkt sich auch auf Nutzer selbst negativ aus.

Viele fühlen sich frustriert, depressiv und nutzlos. Das führe in vielen Fällen zu Cyberbullying und zu extremen politischen Sichtweisen, heißt es im Positionspapier. Ganz unlogisch ist das nicht. Wenn ich glaube, dass ich mit meinen Internetaktivitäten nichts Sinnvolles erzeuge, dann ist das lähmend.

Dieser Frust wird oft in Form von Wut-Kommentaren, Shitstorms oder Cybermobbing weitergegeben. Oder es entsteht ein kompletter Vertrauensverlust gegenüber dem Internet und allem was damit zu tun hat, was leicht zu politisch extremen Positionen führen kann.

Das Gedankenspiel der Autoren sieht daher folgende Lösung: Online-Erfahrungen sollten nicht mehr als passiver Konsum, sondern als aktive Produktion von wertvollen Daten gesehen werden.

Somit werden aus Internetkonsumenten, Datenproduzenten. Das würde Usern ihre „digitale Würde“ zurückgeben und zudem einen völlig neuen Arbeitsmarkt schaffen: den bezahlten Datenmarkt.

Internetnutzer dieser Welt vereinigt euch!

So wird aus dem aktuellen System der Daten als Kapital, oder Data as Capital (DaC), das neue System der Daten als Arbeit, Data as Labor (DaL).

All das müsste, ähnlich wie auch der Arbeitsmarkt, von unabhängigen Institutionen geregelt werden. Davon könnte nicht nur die KI-Industrie profitieren, sondern vor allem wir Internetnutzer selbst, glauben die Autoren.

Daher die klare Aufforderung: Online-Nutzer dieser Welt vereinigt euch und verlangt Geld für eure Daten!

Die Analogie zum Kommunistischen Manifest ist sicher kein Zufall. Die Autoren nutzen ganz bewusst marxistische Terminologien wie Kapital, Konsum, Produktion und Arbeit.

Völlig abwegig ist der Vergleich nicht. Schließlich musste auch ein Umdenken stattfinden, bis Menschen erkannt haben, dass ihre Arbeit einen Wert hat. So ähnlich sehen die Autoren es für uns Internetnutzer. Nur hoffen sie, dass die digitale Revolution keine hundert Jahre dauern wird.

Wir sind viele, wir haben die Macht der Masse und wir stellen wertvolle Informationen zur Verfügung – warum tun wir uns nicht zusammen und lassen uns dafür bezahlen? Denn was wären die großen Tech-Konzerne ohne unsere Daten? Wie gut würden die Marketing-Maschinen, die fahrerlosen Autos, und all die restlichen KI-Angebote ohne Big Data funktionieren? Genau, gar nicht! Warum nutzen wir also nicht diese Macht, die wir als Internetnutzer haben, um damit Geld zu verdienen?

Der Austausch wäre folgender: Wir stellen Unternehmen wertvolle, qualitativ hochwertige Daten zur Verfügung. Damit entwickeln die Unternehmen hocheffiziente, hochkomplexe KI-Systeme. Wir werden im Gegenzug dafür bezahlt.

Das Ergebnis: Künstliche Intelligenz kann das Potenzial entfalten, das der aktuelle Hype verspricht. Der Arbeitsmarkt wiederum verändert sich. Statt Geld für unsere Leistung zu bekommen, erhalten wir Geld für unsere Daten.

Kein Entweder-Oder-System

Dabei glauben die Autoren nicht, dass es ein Entweder-Oder-System ist. Sowohl DaC als auch DaL können als Systeme nebeneinander bestehen. Wichtig ist, dabei die richtige Balance zu finden. Nur: DaL gibt es bis jetzt noch gar nicht.

Dafür müssen erstmal Strukturen geschaffen werden sowie internationale Datenschutz- und Datenarbeitsregelungen. Auch müssten sich die Nutzer zusammenschließen, damit dieses Modell funktionieren kann. Denn freiwillig werden die aktuellen Profiteure dieses Systems uns nicht für unsere Daten bezahlen.

Dafür sehen die Autoren ein komplett neues System der Datenarbeit vor, mit Gewerkschaften für Datenarbeit und möglichen Datenstreiks als Kontrollmechanismen der Internetnutzer. Denn ein Nutzer alleine kann nicht viel anrichten. Doch bei Millionen von organisierten Nutzern weltweit sieht die Verhandlungsmacht schon ganz anders aus.

Das könnte die Zukunft der Arbeit komplett auf den Kopf stellen. Datenarbeit könnte ein großer Teil des nationalen Einkommens werden. Sie würde Internetnutzern eine aktive Rolle geben, künstliche Intelligenz und technische Innovationen massiv vorantreiben und Menschen in Entwicklungsländern neue, faire Einkommenschancen geben.

Eine schöne Idee, doch genau das ist das Konzept von Data as Labor bisher auch nur – reine Theorie. Glaubt ihr, dass das Modell auch in der Praxis funktionieren könnte? Und: Würdet ihr eure Daten verkaufen?

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Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.

3 Kommentare

  • Daten sind das Wichtigste Gut unserer Zeit und Viele sind sich dessen nicht bewusst oder ignorieren das Problem. Bei den meisten Dingen die in Form von Apps und Co. auf uns zukommen ist augenscheinlich alles gratis. In einer kleinen Randnotiz oder durch Zufall bemerkt man dann oft, dass die eigenen Daten die Währung sind in der bezahlt wurde oder wird. Targetted Marketing ist das Stichwort schlechthin und Unternehmen geben Unsummen dafür aus. Am Jobmarkt bedeutet es hingegen, dass hunderte BI Consultants und Data Engineers gesucht werden. Wie lange sich das Nutzer gefallen lassen? Vermutlich ewig – da die Awareness nicht gegeben ist.