Jetzt werden sich sicher einige fragen: Wer zur Hölle ist Essena O’Neill? Die 1996 geborene junge Frau war ein Social-Media-Superstar mit beeindruckender Reichweiten-Zahl unter Mädels ihres Alters. Vor wenigen Tagen hat sie heulend vor der Kamera erklärt, dass alles fake war und nutzt die Medienaufmerksamkeit für ein anderes und doch gleiches Projekt. Werden ihre Fans den Unterschied verstehen?// von Sandra Staub
Warum ist das wichtig?
Die Werbeindustrie bedient sich seit Jahren in der Instagram-Welt. Die Stars nehmen das Geld und lächeln in die Kamera. Eine verpflichtende Kennzeichnung für „Sponsored Posts“ gibt es nicht. Besonders junge Menschen vermischen so Likes mit Liebe, Photoshop mit dem Selbstwert und Reichweite mit Reichtum.
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Über 570.000 Abonnenten auf Instagram. 250.000 Abonnenten auf YouTube. 250.000 Follower auf Tumblr. 60.000 durchschnittliche ZuschauerInnen auf Snapchat bei jedem Post. Das genügte, dass Firmen sich Model und Instagram-Starlet Essena O’Neill anboten. Geld für Reichweite, um endlich die heiß begehrte Zielgruppe der jungen Frauen zu erreichen.
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Die Mädels sehen unglücklicherweise kaum noch Fern und auch die hübschen Hochglanzanzeige in den Magazinen sind ihnen egal. Also kaufen sich Unternehmen einfach einen Werbeplatz bei einem Star in Form eines Instagram-Posts. Und dann lässt man den Star einfach mit dem Produkt posieren. Fertig ist der Zaubertrank des Product Placements. Essena verdiente damit Ihr Geld und zeigte allen, wie toll Ihr Leben war.
Alte Ideen. Neue Medien. Gleicher Effekt.
Die Idee des „Product Placement“ ist ja nicht unbedingt neu. Es kommt aus den 1930er-Jahren. Irgendwelche Filmstars rauchten früher Zigaretten oder fuhren mit Wagen durch einen Film. Heute werden die Stars dafür bezahlt, ein „schwerelos, natürliches Foto“ eines Kleidungsstückes auf Instagram zu veröffentlichen und schwärmerische Produkttests auf YouTube zu stellen. Dabei sind sie selbst auch gleich die Werbefläche. Lächeln in die Kamera. Positionieren irgendwelche hippen Dinge, wie im Hochglanzmagazin.
Die Mädels sehen sich also keine Magazine mehr an, sondern produzieren den Fake-Lifestyle selbst. 20 Minuten für ein perfektes Selfie mit dem neuen Sport BH. 3 Speziallampen, damit die Wohnaccessoires so perfekt aussehen. 60 Versuche für ein Bild des perfekten Latte Macciato mit Zimt-Herz drauf. Aber nicht kostenlos. Die Firmen zahlen die Stars hübsch. Die Normalos werden nicht bezahlt und die Verlage sind auch raus aus dem Spiel.
Eure Wahrnehmung ist kaputt, Mädels
Offenbar ist die Wahrnehmung der Mädchen schon mit 12 Jahren kaputt genug, um rezitieren zu können, was sie in Mamas Magazin gesehen haben. Während die Mama aber schon verstanden hat, dass alles in der Werbung fake und Photoshop ist, verstehen die Kinder das noch nicht (alle). Auch Essena hat das offenbar nicht verstanden. Sie glaubte, dass die Likes unter ihren Fotos, ihr Selbstwert sind und Ihre Fans sie wirklich wegen ihr liken. Das tun sie übrigens nicht. Weil die Fans ja nicht nur Essena folgen, sondern auch 30 anderen Girls mit einem Smartphone, einer Nachttischlampe und Makeup-Fähigkeiten.
Sie sagt von sich selbst, dass Sie Social Media süchtig wurde. Richtiger ist: Sie definierte sich nur noch darüber, wie viele Snapchat-Views sie erreichen konnte, wie viele Tumblr-Posts repostet wurden und ob sie ihre Reichweite auf Instagram diese Woche auch wieder um 5 Prozent steigern konnte. Dass das dünnes Eis für eine Persönlichkeit ist, hätte Ihr klar sein können. Oder jemand aus ihrem Umfeld hätte ihr das sagen können. Passierte aber leider nicht.
Wer’s glaubt, wird seelig – oder nie erwachsen
Irgendwann ist der lieben Essena dann ein Licht aufgegangen. Dass das alles eventuell nicht echt sei. Vermutlich wurde sie einfach einen Schritt weiter erwachsen. Sie hatte also eine Erleuchtung, die Ihr bis heute sagt, dass das „echter als echt sein“ anstrengend ist. Dass es auch eine unangenehme Verpflichtung sein kann, ständig alles teilen zu müssen. Dass sie es satt hat, für Produkte zu werben, die sie gar nicht gut findet. So geht es Filmstars und echten Models übrigens immer. Glaubt wirklich jemand, dass die Stars die Parfüms tragen für die sie werben? Eben.
Sie setzt sich tränenreich vor die Kamera. Dass sie einfach ausgebrannt ist, finde ich viel näher an der Wahrheit, als ihre Kritik am „System Product Placement“, das sie doch wieder so gut bedient mit diesen neuen Videos. Dass Sie sich aber auch finanziell keine Sorgen machen muss, ist sehr wahrscheinlich. Denn sie hat sich ja jahrelang von der Industrie sponsern lassen und vermutlich etwas zur Seite gelegt. Sie hat sich einen ausgedehnten Urlaub verdient, finde ich. Gut gemacht Essena, mach mal Pause! Urlaub ohne Roaming-Vertrag in einem fremden Land kann ich da wärmstens empfehlen.
Essena O’Neill macht alles anders und doch gleich
Mit diesem Hintergrund konnte sie ihre großen Ankündigungen finanziell ganz entspannt machen. Ihre Videos, in denen Sie erklärt, dass sie „so durch mit dem Social Media Zeug“ ist und jetzt alles anders machen wolle, wurde von vielen Magazinen Weltweit aufgesogen. Wie Wasser in der Wüste. Ha, etwas Negatives über Social Media. Guuuut! Haaaa!
Also hat sie jetzt keinen großen YouTube-Account mehr, sondern einen Vimeo-Account. Dort lädt sie recht brav regelmäßig alle drei Tage ein neues Video hoch. Moment, hat sie das nicht auch schon früher gemacht? Ja. Und ist Vimeo nicht auch irgendwie Social Media? Klar.
Trinkpläne zum Download
Jetzt hat sie auch eine Homepage mit einem Blog. Ja, hatte sie früher auch irgendwie schon. Aber die Domain ist jetzt anders. Auf der Seite stehen total überraschende Dinge: Sie betont etwa ganz groß, dass Sie ein Social-Media-Star war, zeigt alle Zahlen, die ich oben auch genannt habe und das jetzt nicht mehr sein möchte. Es erinnert mich an „The Artist Formerly Known As Prince“. Ein surreales Stück. Ihr Geschäftssinn ist also nicht durch die Erleuchtung verschwunden. Sie postet Buch- und Video-Empfehlungen, hat sogar TED-Talks entdeckt. Sie schreibt jetzt über Integrität, eine Vokabel, die sie vermutlich vorher noch nicht kannte, als sie gleichaltrigen Modeschmuck schmackhaft machte, den sie selbst hässlich fand.
Sie bietet einen Gratis-Download eines Guides für Ihr Leben an. Darin erzählt Essena ihren Besuchern, wie sie ihre Social-Media-Epidemie bekämpft. Darin zu finden ist ihr Leben. Es passt auf sechs Seiten A4 und ist eine präzise Anleitung, wie oft sie Videos erstellt und hochlädt, wie oft Sie ihren eigenen Merchandise-Shop bewirbt und wie oft Sie ein Glas Wasser trinkt. Alleine, dass dieser letzte Punkt im Plan steht, beunruhigt mich etwas.
Man kann Ihren „neuen Weg“ auch mit Spenden unterstützen. Das Startgebot liegt bei 10 Australischen Dollar. Natürlich verweist sie auch auf Ihre Videos, die neben vollkommenen Neuheiten wie „Was Veganer essen“ (echt jetzt?) auch kleine Einblicke in ihre persönlichen Erfahrungen geben. Darin sieht man dann minutenlang ein Standfoto einer sportlich-anorektischen 15-Jährigen (sie selbst) und Essena quasselt dazu. Es bekommt den Touch einer aufgezeichneten Therapiesitzung eines Kindes, das traurig ist, einen Fehler gemacht zu haben.
Wo waren die Erwachsenen?
Bei einem anderen Video erzählt sie, dass es doch tatsächlich Make-up, Licht und Fotograf brauchte, um Ihre perfekten Instagram-Fotos mit Schmuck zu schießen. „Ach nein, wirklich?“, werden jetzt die anderen 15-Jährigen ungläubig fragen. Alle erwachsenen Frauen wissen, dass es richtig Arbeit ist, gut auszusehen. Und dabei ist der natürliche Look noch am meisten Arbeit. Leider war offenbar kein solcher Mensch in ihrem Umfeld, der ihr das mal gesagt hat, so scheint es.
Niemand der sie mal zur Seite genommen und ihr erklärt hat, dass es zwar schön ist, dass sie 40.000 Mädchen den perfekten Weg gezeigt hat, wie man Hotpants diesen Winter trägt. Aber, dass sie jetzt die Mathe-Aufgabe fertig machen, dann die Spülmaschine ausräumen und den Tisch fürs Abendessen decken wird.
Durchgehend flach bei Essena O’Neill
Auf ihrem Instagram-Account hat Essena erst die Untertitel ihrer Modelfotos mit flachem Bauch geändert. Inzwischen hat sie den Account über Nacht gelöscht. In ihren Vimeo-Kommentaren weisen immer wieder mal Menschen darauf hin, dass sie eventuell eine Bipolare Störung entwickelt haben könnte.
Heute ist Essena 19 Jahre alt. Sie hat mit 12 Jahren angefangen, an ihrem Traum des Social-Media-Stars zu arbeiten. Das macht volle sieben Jahre „in the Zone“ mit Fotos, Filtern und Hashtags. Sie tut mir leid, weil niemand sie beschützt und aufgeklärt hat, als sie es gebraucht hätte. Und ebenso ist sie für mich eine Scheinheilige, die jetzt ihre „Erleuchtung“ mit den gleichen, unveränderten Mitteln wieder vermarktet. Es werden wieder die gleichen Fans aufspringen. Ob sie dieses Mal die bezahlten Posts kennzeichnen wird, bleibt offen.
Ich gebe einen Tipp ab: In drei Monaten kann man Essenas Buch in allen großen Läden kaufen. Gedruckt und als E-Book. 220 Seiten Erkenntnisse einer dann 19-Jährigen, die kein Star mehr sein wollte, bis sie die PR wieder für die Vermarktung eines Produktes brauchte. Dieses Mal ist es dann wenigstens ihr eigenes Produkt. Und das ist 570.000 Mal cleverer als einfach die Bitch für die Reichweite von anderen zu sein.
Liebe Sandra,
ich hab noch nicht mal den Ansatz von einer Ahnung, wovon du da schreibst und wer zum Geier dieses Mädel ist.
Wenn ich mir meine zwei- bis drei-stelligen Youtube-Zahlen anschaue, würde ich mir wünschen, ich hätte ein wenig mehr Ahnung und ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen für Beziehungsfragen mehr interessieren, als für den flachen Bauch von wem auch immer… Na ja, meine Zielgruppe schaut vermutlich noch fern 😉 und da ist es auch nicht besser…
Warum ich diesen Kommentar jetzt schreibe? Weil ich mich weggeschmissen habe über deinen Schreibstil! Dieser Text ist so cool, ich höre dich aus jedem Wort heraus und sehe deinen Blick direkt vor mir! Sehr geil!
Liebe Grüße
Melanie
Vielen Dank, liebe Melanie!
Der Schreibstil entspringt dem Thema. Es macht mich einfach fuchsig, was da abgeht.
Im Kern geht es aber immer darum, ob wir uns für diese virtuellen Zahlen unglücklich machen. Und ob diese Zahlen noch etwas bedeuten, wenn es sie nicht mehr gibt. Oft bedeuten sie nämlich weniger als nichts 🙂
Herzlichst,
Sandra
Ein zorniger Beitrag der schon etwas nachdenklich stimmt. Habe echt keinen Plan von social Media und finde die eigene zweckbezogene Werbung schon eher unangenehm. Aber wenn Kinder unreflektiert „zum Produkt“ werden und das auch noch gerne, frage ich mich ob ich alt geworden bin. Oder ist es ein ganz normaler Generationskonflikt? Ich hab mal meiner Oma erklärt was ich mache, da bekam ich die Frage: warum sitzt du denn immer den ganzen Tag vor dem Bildschirm und gehst nicht nach draußen? Gute Frage Oma. Vielleicht weil ich nichts anderes mehr kann?
Danke, Stefan!
Ja, vermutlich ist der Artikel zornig geschrieben. Aber das hab‘ ich schon immer bei Scheinheiligkeit und doppelt, wenn jemand ganz laut heult und sagt, „Tu das nicht, es ist böse!“ und es dann tut.
Versteh‘ mich nicht falsch: Kinder dürfen unreflektiert sein. Es ist der letzte Job der Eltern, dafür zu sorgen, dass sie das lernen. Aber der wird offenbar immer öfter weggelassen. Ich denke, es gibt keinen Generationenkonflikt. Es interessiert viele einfach nur nicht, was der andere macht und warum. Vielleicht auch, weil sie zu beschäftigt sind mit sich selbst. Übrigens: Oma hat immer recht. Immer. 🙂
Hallo,
Danke für diese Meinung. Nach den ganzen Beileidsbekundungen der großen Medien wurde es mal Zeit, dass jemand sagt wie es ist. Wo waren die Eltern, die sie doch wohl irgendwann hätten stoppen müssen oder zumindest mal hinterfragen was ihre minderjährige Tochter da macht.
Und oh Überraschung. Die Homepages ist jetzt down, denn man möchte sich ganz auf das neue Projekt zu konzentrieren: ein Buch.
Vielen Dank für Deinen Kommentar!
Ich hab mich fast erschrocken, dass fast alle Videos von Essena gesperrt sind. Noch bin ich es nicht gewohnt, dass meine Vorhersagen so schnell real werden. 😉