Grün

Bergbauernhof-Hopping im Tessin

geschrieben von Gastautor

Tessin gilt als die Sonnenstube der Schweiz. Schillernde Städte wie Lugano oder Ascona, große Seen wie der Lago Maggiore (Langensee) und natürlich die vielen Bergtäler locken jährlich viele Touristen in die Region. Das ist ja alles schön und gut, aber irgendwie auch schon zu oft erlebt, findet Jana Wessendorf, Wanderbegeisterte und Genießerin der Langsamkeit. So hat sie auf eine ihrer vielen Wanderung im Tessin ganz bewusst eine andere Route gewählt, abseits der typischen Touristenpfade. Sie war Bergbauernhof-Hopping.

Kein Auto, keine Seilbahn, keine andere Transportmöglichkeit führt dort hinauf, wo Zweibeiner und Vierbeiner den Sommer gemeinsam verbringen: zu den letzten bewirtschafteten Bergbauernhöfen. Es ist eine Welt, die tatsächlich nur dem vorbehalten ist, der zu Fuß unterwegs ist.

Das macht sie exklusiv.


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Das macht sie speziell.

Die Arbeit ist hart, das Leben einsam

Gab es vor rund 170 Jahren noch 500 dieser Bergalpen im Kanton sind es heutzutage gerade mal noch 100. Eine Anzahl, die stetig weiter sinkt. Die Arbeit ist hart, das Leben hoch oben in den Bergen oft auch einsam und das Auskommen gerade so hoch, “dass man zurecht kommt”, wie mir einer der Älpler einmal gesagt hat.

Starke Gegensätze, wie sie die mondänen Städte des Tessins und der karge Alltag der Bergbauernhöfe darstellen, findet man überall auf der Welt. Nirgends aber habe ich es so nah beieinander erlebt wie in der italienischen Schweiz. Eine Reise zu Fuß zwischen Zukunft und Vergangenheit, die mir nachhaltig in Erinnerung blieb – und mich mit bleibenden Eindrücken belohnt hat.

Zwischen Romantik und bellenden Hunden: Übernachten im Bergbauernhof

Wer sich im Tessin aufmacht, eine bewirtschaftete Bergalp auf einer Wanderung zu erreichen, vertraut schon gleich zu Beginn unten im Tal dem Rhythmus seiner Schritte. Das ist smart, wird doch der Alltag und das Leben am Tagesziel ausschließlich durch die Geschwindigkeit von Beinen und Händen bestimmt.

Schneller geht es nicht – und das ist auch gut so.

Denn schon die Langsamkeit des Seins während dieser Zeitreise zu Fuß sorgt später für eine nachhaltige Erinnerung an die Stunden unterwegs und auf dem Bauernhof hoch oben in den steilen Tessiner Bergen.

Doch wodurch zeichnet sich ein Bergbauernhof eigentlich aus?

Ein Bergbauernhof ist eine Landwirtschaft im Gebirge. Aufgrund der Hanglage, den unwirtlichen klimatischen Bedingungen und der schwierigen Erreichbarkeit von Weiden und Wiesen, ist die Bewirtschaftung mühsam und wirtschaftlich wenig lukrativ. Technisches Gerät kommt nur sehr limitiert zum Einsatz, kann es doch nicht ohne Weiteres den Berg hinauf transportiert werden.

Ein Bergbauernhof wird (meist) nur im Sommer betrieben, wenn die Tiere – Kühe, Schafe oder Geißen – gesömmert werden. Der Bergbauernsommer beginnt dann, wenn der letzte Schnee von den Weiden verschwunden ist und endet mit dem ersten Frost und Schneefall im Herbst.

Der Bergbauer stellt Käse und andere Milchprodukte her, die er vorbeikommenden Wanderern und in seiner Umgebung im Tal verkauft.
Auf meinen Wanderungen im Tessin waren es vor allem drei Bergbauernhöfe, die mir in besonderer Erinnerung geblieben sind und einen Besuch wert sind. Sie beeindrucken durch ihre charismatischen und herzlichen Älpler, der mit seinen vielen Tieren und der Natur im Einklang lebt. Sie fallen auf durch eine gemütliche und liebevoll restaurierte Unterkunft, leckeres Essen, (Käse!!!) und – natürlich – durch einer famose Aussicht in die umliegende Bergwelt.

130 bimmelnde Geißen: Alpe Nimi

Die Alpe Nimi ist ein wahres Kleinod unter den Tessiner Bergalpen. Die urige Geißenalp lebt nicht nur von den rund 130 bimmelnden Geißen, die sich knapp unter dem Berggrat zwischen Vallemaggia und Valle Verzasca tummeln, sondern vor allem auch von der Persönlichkeit des Älplers Pietro Zanoli. Seit 16 Jahren bewirtschaftet er die Alpe Nimi. Im Talort Gordevio aufgewachsen, kennt Pietro die Gegend besser als seine Westentasche und kann dem Interessierten viel zu Hintergründen und der Geschichte des Tals erzählen.

Schon nach kurzer Zeit kennt Pietro alle seine Gäste mit dem Vornamen und nimmt sich für jeden Zeit für ein persönliches Gespräch.
Ein markanter Höhepunkt auf der Alpe Nimi ist ein Bad in der Bergwasserbadewanne mit Ausblick auf den Lago Maggiore. Das Wasser kommt frisch aus dem Bergfluss und ist, so wie es sein muss, eiskalt. Nach dem schweißtreibenden, fast fünfstündigen steilen Aufstieg vorbei an idyllischen Maiensäßen, lässt sich dieser Erfrischung nur schwer widerstehen.

Auf der Alpe Nimi verrichten zwei Herdenschutzhunde konsequent ihre Arbeit. Vor allem der jüngere der beiden, ein weißer Samojede, verzaubert den Besucher mit seinen Charmeattacken. Es ist ein eindrückliches Gefühl, wenn er am Morgen, wenn der neue Tag beginnt, sein wolfsartiges Geheul anstimmt und für Gänsehautstimmung bei den Gästen sorgt.

  • Stadt in der Nähe: Locarno und Ascona am Lago Maggiore
  • Ausgangsort: Gordevio im Vallemaggia (313 Meter Höhe)
  • Wanderung: 5 Stunden und 1500 Höhenmeter im Aufstieg
  • Älpler: Pietro Zanoli
  • Kosten: 60 CHF für Übernachtung mit Halbpension, inklusive Apèro und Softgetränken

Eine Übernachtung auf der Alpe Nimi (1718m Höhe) sollte am besten vorher telefonisch (+41 79 230 48 79) reserviert werden, da nur eine begrenzte Anzahl an Schlafplätzen zur Verfügung steht.

Zu den letzten Bergbauernhöfen im Tessin wandern - Alpe Nimi

Alpe Nimi (Bild: Jana Wessendorf)

Älper aus Leidenschaft: Alpe Cedullo

Die kleine Alpe Cedullo, im Gebiet des Monte Gambarogno gelegen, ist eine kombinierte Geißen- und Kuhalp. Außerdem tummeln sich hier oben am Berg auch noch Schweine, Katzen, Esel und natürlich Hunde. Die Ziegenherde wird von Herdenschutzhunden bewacht, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen.

Da Sylvia und Maurizio, die herzlichen Älpler, sowohl Ziegen als auch Kühe haben, bieten sie auch mehrere verschiedene Käsesorten zum Kauf an. Beim Frühstück kann man die vielen Käse probieren – und sich dann entscheiden, welchen man am Ende gerne mitnehmen möchte. Überhaupt ist die Verköstigung auf der Alpe Cedullo schon die Reise wert. Hier wird noch echte Tessiner Küche angeboten.

Der Gast kann direkt am Leben der beiden Älpler teilhaben und bekommt so einen direkten Einblick in die harte Arbeit, die jeden Sommer verrichtet wird. Ohne die Unterstützung von Freiwilligen ist das Arbeitspensum kaum zu schaffen. Dennoch erlischt die Leidenschaft für die Alpe Cedullo bei Sylvia und Maurizio auch nach rund zehn Jahren noch immer nicht. Man spürt, dass sie ihr Leben lieben.

Obwohl die Wanderung zur Alpe Cedullo nicht sehr schwierig ist, wird der Wanderer mit schönen Blicken und einem Sonnenuntergang über dem Lago Maggiore für einen ereignisreichen Wandertag belohnt.

  • Stadt in der Nähe: Bellinzona, die Hauptstadt des Tessins, deren drei Burgen zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören
  • Ausgangsort: Alpe di Neggia (1394 Meter Höhe)
  • Wanderung: knapp 2,5 Stunden über den Monte Gambarogno (1734 Meter Höhe)
  • Älpler: Sylvia und Maurizio
  • Kosten: 65 CHF für Übernachtung mit Halbpension

Eine Übernachtung auf der Alpe Cedullo (1287m Höhe) sollte am besten vorher telefonisch (+41 79 476 23 75) reserviert werden, da nur zehn Schlafplätze zur Verfügung stehen.

Zu den letzten Bergbauernhöfen im Tessin wandern - Alpe Cedullo

Alpe Cedullo (Bild: Jana Wessendorf)

Kikeriki, Mäh und I-A: Odro

Ein Paradebeispiel Tessiner Bergbauernhöfe ist Odro, welches am Eingang des Valle Verzasca liegt. An einem erlebenswerten fünfstündigen ethnografischen Rundgang gelegen, der eine Einführung in die vergangene Kunst des Wildheuens darstellt, ist Odro ein tierisches und kunterbuntes Miteinander. Der Wanderer wird vom Kikeriki der Hühner, einem trompetenhaften I-A eines Esels und dem Mäh der Ziegen sowie vom Odro-Team herzlich begrüsst.

Die kleine Geißenalp, die in jahrelanger und liebevoller Arbeit von Jean-Louis Villars wieder hergerichtet und erhalten worden ist, lädt schon auf den ersten Blick zum Verweilen ein. Die schöne Terrasse, die Weit- und Tiefblicke in die Tessiner Täler freigibt, lädt ebenso zum Bleiben ein wie der typische Eindruck eines steinigen Maiensäßes. Schnell kommt man ins Gespräch und spürt die Lust, gerne bleiben zu wollen.

Gerade im Herbst, wenn die umliegenden Lärchen- und Kastanienwälder ihre Nadeln und Blätter in die kräftigen Farben der bunten Jahreszeit umgewandelt haben, ist die Wanderung hinauf nach Odro ein besonderes Naturerlebnis. Im Gegensatz zur Alpe Nimi und zur Alpe Cedullo bewohnt Jean-Louis Villars Odro das gesamte Jahr über, also auch im Winter. Er hat seinen Lebensmittelpunkt komplett an die Flanke des Pizzo Vogorno gelegt – und lebt sein Leben nach eigenen Vorstellungen im Zeichen der Natur und der Langsamkeit.

  • Stadt in der Nähe: Locarno und Ascona am Lago Maggiore
  • Ausgangsort: Vogorno im Valle Verzasca (492 Meter Höhe)
  • Wanderung: knapp 2 Stunden bis an die Flanke des mächtigen Pizzo di Vogorno (2442 Meter Höhe)
  • Älper: Jean-Louis Villars
  • Kosten: 65 CHF für Übernachtung mit Halbpension

Eine Übernachtung in Odro (1219m Höhe) sollte am besten vorher telefonisch (+41 91 745 48 15) reserviert werden, da auch hier nur wenige Schlafplätze zur Verfügung stehen. Es können auch Rustici (Steinhäuser) als Ferienwohnungen gebucht werden; der Preis richtet sich nach dem jeweiligen Rustico.

Zu den letzten Bergbauernhöfen im Tessin wandern - Odro im Valle Verzasca

Odro (Bild: Jana Wessendorf)

Was haben die Bergbauernhöfe im Tessin was andere nicht haben?

Die Wanderungen zu den Tessiner Bergbauernhöfen führen durch eine spektakuläre und wenig begangene Berglandschaft. Ansonsten aber sind diese Wanderungen nicht spektakulär im eigentlichen Sinne. Es werden keine hohen Gipfel erwandert oder ausgesetzte Bergpässe passiert. Die Unterkünfte sind auch nicht modern oder voll auf Alpinismus eingestellt.

Den Wanderer, der sich mit seinen Füßen auf eine Reise in eine Welt begegeben hat, die es in dieser Form wohl nicht mehr lange geben wird, erwarten dafür interessante Begegnungen mit Menschen, die sich einem anderen Leben verschrieben haben. Sie führen ein Leben, das ein Stadtmensch unten im Tal nicht mehr kennt und sich wohl auch kaum noch vorstellen kann. Dieses Aufeinandertreffen mit den Älplern und seinen Tieren ist es, die die Touren so besonders werden lassen. Allein der Idealismus der Älpler ist diese Wanderreise wert. Zeigt er doch alternative Lebensformen und einen ehrlichen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen auf. Die traditionelle Almwirtschaft verschwindet langsam. Ein Grund mehr, zu ihr zu wandern, solange es sie noch gibt.

Diese drei und elf weitere spannende Wanderungen zu Tessiner Bergbauernhöfen, findest du in meinem eBook „Tälerhüpfen im Tessin“.

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Über den Autor

Gastautor

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