Bist du auch genervt von den immer gleich klingenden Postings in den sozialen Medien und den immer ähnlich aussehenden Bildern? Hast du das Gefühl, dass aufgrund von KI Kreativität verschwindet und durch Perfektion ersetzt wird? Dann bist du nicht alleine. Eine Diagnose.
Das Magazin The New Yorker sowie diverse Forschungsteams haben sich in den letzten Wochen mit einer spannenden Beobachtung beschäftigt: „Was passiert eigentlich mit unserer Kreativität, wenn wir täglich generative KI nutzen?“ Man möchte vorschnell antworten: Die wird besser, richtig? Das Ergebnis war jedoch (nicht wirklich) überraschend anders.
Ja, KI macht uns schneller und produktiver. Und ja, sie hilft uns dabei, Ergebnisse zu erzeugen, die oft besser klingen als das, was wir zuvor allein formuliert hätten. Gleichzeitig jedoch werden unsere Texte, Ideen und Entscheidungen sich immer ähnlicher. Originalität weicht also einer glatten, austauschbaren Effizienz.
ChatGPT: KI-generierte Geschichten in Social Media
Dieses Ergebnis basiert auf einigen spannenden Studien. Eine der interessantesten wurde in der Science Advances veröffentlicht. Es wurde untersucht, wie Kurzgeschichten, die mit Unterstützung von ChatGPT entstanden sind, von Lesern bewertet werden.
Das Ergebnis: Individuell wurden die Geschichten kreativer, flüssiger und qualitativ hochwertiger eingeschätzt. Betrachtet man sie jedoch im Vergleich zueinander, fiel auf, wie stark sie sich ähneln.
Dieses Muster sehe ich auch in meinen KI-Trainings und Workshops. Teilnehmer, die früher Schwierigkeiten hatten, kreative Texte zu verfassen, produzieren nun dank KI Inhalte, die beeindruckend professionell wirken, aber gleichzeitig auch irgendwie gleichförmig.
KI-Postings in den sozialen Medien
Ein weiteres untersuchtes Beispiel kommt aus Italien. Im März 2023 wurde dort für etwa vier Wochen der Zugang zu ChatGPT gesperrt. Social Media-Posts zahlreicher Restaurants wurden in der Folge plötzlich sprachlich vielseitiger, persönlicher und interessanter – und erhielten mehr Engagement. Als ChatGPT wieder verfügbar war, glätteten sich die Texte wieder.
Das zeigt, wie schnell wir kreative Verantwortung abgeben, wenn wir Werkzeuge nutzen, die uns Standardformulierungen auf Knopfdruck liefern. Persönliche Handschrift entfaltet sich nämlich selten dort, wo Effizienz das dominierende Ziel ist.
Instrumente der Optimierung von Prozessen
Noch deutlicher zeigt sich diese Entwicklung in Unternehmen. Ich erlebe es inzwischen häufig, dass KI-Systeme wie ChatGPT oder andere nicht als Chance für neue Denkwege, sondern (lediglich) als Instrumente der Prozessoptimierung verstanden werden. Teams nutzen KI, um schneller zu Ergebnissen zu kommen, Risiken zu minimieren und Überraschungen auszuschließen.
Das ist ein Beispiel für das sogenannte „Creativity Paradox“: Einzelne Mitarbeiter werden produktiver, aber das Unternehmen als Ganzes verliert Originalität. Entscheidungen konvergieren, Ideen ähneln sich und der Mut zu abweichenden Gedanken schwindet.
Dieses Phänomen kenne ich auch aus meinen Start-up- und KI-Schulungen. Teilnehmer, die KI lediglich als Assistenten verstehen, produzieren solide, aber selten außergewöhnliche Ideen. Solche jedoch, die KI als kreativen Mitgestalter begreifen, entwickeln Ansätze, die sie ohne KI nie gefunden hätten.
Technik ohne Überraschungen
Technisch betrachtet kann das wenig überraschen. Denn generative KI ist darauf trainiert, das wahrscheinlichste Ergebnis zu liefern. Sie liefert nicht außergewöhnliche, sondern konsensfähige Ergebnisse. Damit reproduziert KI also das, was in ihrem Trainingsmaterial am weitesten verbreitet ist.
In meinen Vorträgen sage ich deshalb oft, dass KI nicht die Technologie des Besonderen sei, sondern die Technologie des Durchschnitts. Das ist gar nicht so sehr als Kritik gemeint, sondern vielmehr als nüchterne Beschreibung eines statistischen Modells, auf dem KI basiert.
Wenn wir KI so einsetzen, dass sie unseren Stil – oder den von jemandem oder von etwas – kopiert, wird sie genau das tun. Wenn wir sie dagegen so einsetzen, dass sie uns irritieren darf, kann sie aber auch genau das. Im Alltag tun wir das jedoch nur sehr selten.
Spannende Anfangszeiten
Ich erinnere mich noch gut an die Anfangszeit von ChatGPT. Es war unberechenbar, manchmal unsinnig, oft chaotisch. Aber es war auch mutig. ChatGPT produzierte Formulierungen, die man so noch nicht gesehen und gelesen hatte.
Man musste im Grunde immer mitdenken, um zu erkennen, ob ein erstellter Text überhaupt Sinn ergibt. Viele Menschen empfanden das als störend, aber zugleich auch als inspirierend.
Heute begegnen mir in Gesprächen fast ausschließlich Sätze wie „Ich nutze KI, um meine Mails schneller zu schreiben“ oder „Ich lasse mir immer zu E-Mails und Artikeln die Zusammenfassungen erstellen, ansonsten ist es mir zu viel/zu anstrengend“.
Dabei liegt genau in dieser Haltung meiner Ansicht nach das eigentliche Problem. Wir wollen kreativer werden, aber wir trainieren die KI darauf, uns immer präziser zu imitieren.
ChatGPT bei Social Media: Ein inzwischen alltägliches Muster
In meiner Tätigkeit als Jurist, Speaker und Dozent sehe ich dieses Muster immer wieder. Menschen, die KI täglich verwenden, fühlen sich produktiver, empfinden ihre Arbeit als weniger belastend und schätzen die Qualität ihrer Ergebnisse.
Gleichzeitig jedoch sehe ich auch, dass das Ergebnis weniger schöpferisch, weniger neu ist. Der kreative Muskel verkümmert sozusagen, nicht plötzlich, sondern langsam und unmerklich. Wer seine Kreativität auslagert, verliert sie Stück für Stück, ohne es zu bemerken.
KI als Mitgestalter für radikale Abweichungen
Was können, was sollen wir daraus schlussfolgern? Wenn wir verhindern wollen, dass Effizienz zu einer gedanklichen und kulturellen Verarmung führt, müssen wir den Modus verändern, in dem wir KI einsetzen. KI darf nicht nur Assistent sein, sondern muss als Mitgestalter auftreten dürfen.
Das bedeutet, sie nicht nur nach bekannten Mustern arbeiten zu lassen, sondern bewusst Räume für radikale Abweichung zu öffnen. Kreative Ownership bleibt entscheidend. KI sollte Ideen generieren, aber der Mensch muss sie formen, verfremden, zugespitzt weiterdenken und mit eigener Handschrift versehen. Kreativität entsteht nicht in der Glätte, sondern im Widerstand.
Fazit: Effizienz ohne Kreativität ist eine leere Hülle
Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Die Werkzeuge, die uns von Routine befreien sollten, beginnen nun, unser Denken zu prägen. Die Vorteile von KI-Systemen wie ChatGPT oder Claude sind unbestreitbar: Wir arbeiten schneller, effizienter und oft sogar präziser.
Gleichzeitig geraten wir in eine kulturelle Schieflage, wenn wir glatte Ergebnisse für gute Ergebnisse halten. Der Verlust kreativer Vielfalt ist ein schleichender Prozess. Es ist wie so oft mit Veränderungen: Sie kommen nicht mit einem Knall, sondern mit einem sanften, angenehmen Gefühl von Bequemlichkeit.
Effizienz ist wertvoll, keine Frage. Aber ohne Kreativität bleibt sie eine leere Hülle. Vielleicht sollten wir KI künftig nicht nur fragen, wie wir schneller arbeiten können, sondern wie wir mit Blick auf Kreativität mutiger werden.
Effizienz produziert Ergebnisse, Mut jedoch produziert Zukunft. Und vielleicht liegt genau in dieser Frage der entscheidende Schritt in eine Welt, in der KI nicht unsere Kreativität ersetzt, sondern erweitert.
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