Die Nachricht der Woche war ebenso groß wie traurig: Nationaltorwart Robert Enke ist tot. Ich bin kein Fußballfan und noch weniger ein ausgewiesener Fußballkenner. Hielte ich an dieser Stelle also eine – sicherlich gerechtfertigte – Laudatio auf Enkes Leistungen auf dem Spielfeld, würde ich damit der Sache nicht gerecht. Doch ich denke, das ist auch gar nicht nötig. Auch ohne weltbekannt zu sein und von Hunderttausenden respektiert zu werden – jedes Schicksal, das sich an einem Bahnübergang entscheidet, ist gleichermaßen tragisch.
Dennoch war ich überrascht von den Reaktionen. Schon wenige Minuten nach Bekanntwerden der Ereignisse, begann bei den Anhängern Enkes dieses Graben nach fassbaren Details. Der persönliche Schreibtisch mutierte zum Newsdesk, Twitter wieder einmal zur Infoquelle Nummer eins: Pressemitteilungen der Polizei wurden verlinkt, die mit „noch ist nichts Genaues bekannt“ und drei Punkten endeten. Videoschnipsel der privaten TV-Sender, bruchstückhafte O-Töne vom besten Freund. Redaktionen versicherten ihren Followern, dass gleich jemand vor Ort sei. Und immer wieder versuchten die Nutzer, in 140 Zeichen ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen.
Ich habe mich einige Zeit gefragt, woher dieses übersteigerte Interesse, diese vielstimmige Anteilnahme kommt. Dabei bin ich auf zwei Ansätze gestoßen. Eine Antwort habe ich in der „Frankfurter Rundschau“ gefunden. Dort schreibt Wolfgang Hettfleisch:
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Abertausende Fans projizieren ihre Träume und Hoffnungen auf ein paar Fußballer, weil die das richtige Trikot tragen, und erwarten im Gegenzug nicht weniger als sportliches Heldentum und, ja, persönliche Unfehlbarkeit.
Das dürfte zutreffend sein. Der zweite Grund – und wieder einmal kommen wir um dieses Thema nicht herum – ist der Medien-Rummel. Wenige Stunden nach der Nachricht hatten beinahe überall Redakteure die Trauer professionell institutionalisiert. Portraits wurden hervorgezaubert, dazu Geschichten aus Enkes Kindheit, das Drama um seine kleine Tochter wurde in grelles Flutlicht getaucht. Was sagen die Nachbarn? Was die Frau? Was die Kollegen? Das Puzzle muss vollendet werden, während der Buzz noch heiß und im vollen Gange ist. Der Springer-Verlag schoss wieder einmal den Vogel ab und reservierte sich ganze Keyword-Listen, die eigene Artikel und Klick-dich-durch-Galerien bei Google bewerben sollten. Mittlerweile sind auch die „Gala“ und selbst der Suchmaschinenriese-Konkurrent Ask.com auf den Trichter gekommen, mit Bezahlanzeigen die Leser und Nutzer zu locken. Hat das etwas mit Trauer zu tun? Mit Aufklärung? Es ist eine journalistische Pflicht, über den Tod von Personen des öffentlichen Lebens zu berichten. Doch dies auch noch in bezahlten Anzeigen anzupreisen, wie ein Discounter den Schweinebauch, ist geschmack- bis unvorstellbar pietätlos. In den kommenden Tagen werden die ersten Biografien Enkes auf den Markt kommen. Dann werden die Werbeplätze an die Buchhändler weitergegeben. Und so geht es weiter…
Die Fans wurden diese Woche wieder einmal Zeuge – und Opfer – sich täglich steigender Neuinszenierungen. Alles für den Klick, alles für den Kauf. Bis zum heutigen Tag hat sich der Hype so gesteigert, dass vier TV-Sender über das Begräbnis berichten, die Rede ist von der „größten Trauerfeier seit Adenauer“. 40.000 Menschen nahmen Abschied, Großbild-Leinwände wurden aufgebaut. Der graue Mercedes mit Enkes Sarg blieb immer im Blick der Kameras, dazu bewegender Gesang der Akustik-Band. Public Viewing, sponsored by AWD, „Ihr persönlicher Finanzoptimierer“. Erinnerungen werden wach an Michael Jacksons großen, letzten Auftritt im Staples Center.
Ungestellte Fragen
Die Trauer der Fans ist echt, jede einzelne Träne, und in einer solchen Situation Trost in einem großen Kreis von Mitbetroffenen zu finden, ist vollkommen nachvollziehbar – und gut. Doch es ist die Aufrichtigkeit der Regisseure im Hintergrund, die ich anzweifele, die große Dramaturgiemaschine, die immer dann angeworfen wird, wenn sich ein Thema länger als sechs Stunden in den Trending Topics hält.
Würde ich heute im Stadion in Hannover sitzen, wäre ich sehr bewegt. Doch ich würde mich auch fragen, wie es weitergeht. Die eilig herbeigerufenen „Experten“ werden in Interviews befragt, ob dieses tragische Kollektiverlebnis den „Mikrokosmos Fußball“ in Deutschland nun vollends massentauglich machen wird. Hat Enke eine Tür geöffnet? Das ist tatsächlich wohl die allerletzte Frage, die mir zu diesem Thema einfallen würde.
Sollte sein Freitod nicht viel mehr ein Denkmal dafür sein, dass wir Menschen nie richtig kennen? Dass der Ehemann, die Mutter, der Bruder, die beste Freundin gerade an seinem oder ihrem emotionalen Tiefpunkt im Leben angekommen ist und wir es nicht einmal bemerken? Man sollte sich vielmehr fragen, weshalb es nur so wenige Sportpsychologen gibt und woher diese offenbar übermenschliche Hemmschwelle bei Profispielern kommt, diese dann auch um Rat zu fragen. Bittet die „Experten“ doch um Antworten zum Thema „Tabus“, liebe Medien, und klopft bei den Vereinen an, wie diese gedenken, damit künftig umzugehen. Und wo wir schon dabei sind: Wie sieht es bei anderen Sportvereinen aus? Oder auch bei Unternehmen und in den Schulklassen?
Wir können uns noch so bemühen, in Enkes Gedankenwelt einzusteigen, um ihm nahe zu sein und seine Beweggründe zu verstehen. Doch durch die jahrelang antrainierte Taktik des Versteckens hat er es sogar geschafft, dieses Geheimnis vor seiner Frau zu verbergen. Was sollen uns da jetzt die Bilder aus seiner Kindheit und Jugend sagen? Sein Tod ist tragisch, umso wichtiger ist es jetzt, die richtigen Fragen zu stellen – und daraus Konsequenzen zu ziehen. Das wären meine Gedanken im Stadion.
Hilfe im Netz
Im Vergleich zur Sport-Boulevard-Presse sind wir ein Tech-Blog mit begrenztem Einfluss. Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, und zusätzlich zum bereits Gesagten noch einige praktische Hinweise nennen; Anlaufpunkte, an die sich Menschen wenden können, denen ihr Seelenleben derzeit zu Schaffen macht. Vielleicht ist die Überwindung zu groß, zum Arzt zu gehen oder sich Freunden anzuvertrauen. Wer schnelle Hilfe braucht, findet diese auch im Netz. Ich möchte vorausschicken, dass dies keine Dauerlösung sein und niemals den persönlichen Kontakt zu einem Therapeuten ersetzen kann. Doch es ist ein kleiner Anfang, sich seinen eigenen Gefühlen zu stellen.
Ganz oben auf der Liste steht die Telefonseelsorge, die schon seit längerer Zeit anonyme Beratungen per Chat und Mail anbietet. Bei den Schweizern gibt es sogar einen kostenlosen SMS-Service. Das Kompetenznetz Depression (hier gibt es auch einen Selbsttest) ist ebenfalls eine vertrauenswürdige Anlaufstelle, eine Alternative bietet hier das Forum des Bündnisses gegen Depression. Wer mehr über die Hintergründe der Krankheit erfahren möchte, ist bei der Deutschen Depressionshilfe bestens aufgehoben. Hier gibt es auch eine Broschüre (PDF), in der Symptome und Therapien leicht verständlich erklärt werden.
(André Vatter)