Ich habe heute morgen ein kleines Gedankenexperiment durchgeführt. Ich habe mich gefragt, ob Buchverlage prinzipiell die Möglichkeit – man könnte auch sagen: die Macht – hätten, ihre Kunden dazu zu „zwingen“, künftig anstelle von Büchern aus Papier nur noch E-Books zu kaufen? Mit zwingen meine ich, dass sie das Drucken ihrer Schmöcker sukzessive einstellen und sie fortan nur noch in elektronischer Form anbieten. Der Vergleich hinkt vielleicht ein bisschen, aber es wäre so ähnlich wie bei der Ablösung der Platte durch die CD. Natürlich müssten dazu alle größeren Verlage an einem Strang ziehen, so dass Abweichler nur ein Nischenpublikum bedienen könnten, und die Preise sowie das Angebot akzeptabel sein.
Ich kam auf diese Idee, nachdem ich einen Online-Bericht des Wall Street Journal (WSJ) über den US-Verlag Dorchester Publishing gelesen hatte. Dem 1971 gegründeten und eigenen Angaben zufolge ältesten unabhängigen US-Taschenbuchverlag steht seit dem vergangenen Jahr finanziell das Wasser bis zum Hals. Um 25 Prozent sanken die Verkaufszahlen, vor allem, weil Großabnehmer wie der Handelsriese Wal-Mart immer weniger Platz für Bücher einplanen und damit auch weniger Exemplare bestellen. Und da das Wasser in diesem Jahr weiter steigt, ohne dass der Verlag Land sieht, hat man sich nun zu einer ebenso bemerkenswerten wie gefährlichen Aktion entschlossen. Alle Titel sollen künftig nur noch als E-Books oder Print-on-Demand verfügbar sein, dem stationären Print-Massenmarkt wird dafür der Rücken gekehrt. „Es war keine lang hinausgezögerte Entscheidung, weil wir uns bemüht haben, ohne die entsprechenden Ergebnisse zu erhalten“, so der Verlagschef John Prebich. Das WSJ schätzt, dass Dorchester Publishing mit diesem Schritt auf der einen Seite viel Geld wird einsparen können, wofür offensichtliche Gründe sprechen. Und auf der anderen Seite die Verkaufszahlen seiner E-Books im kommenden Jahr verdoppeln wird, was etwas schwerer zu glauben fällt.
Natürlich: In Anbetracht von Meldungen wie jener über das Online-Versandhaus Amazon, wonach dort zuletzt mehr E-Books als Hardcover-Bücher verkauft wurden, Prophezeiungen wie jenen von Nicholas Negroponte, wonach das physische Buch in fünf Jahren tot sein oder Vergleichen wie jenen, in denen das gedruckte Buch seinem elektronischen Pendant hoffnungslos unterlegen ist – in solchen Momenten sind sicherlich viele Verlage gewillt, in E-Books die rettende Zukunft für eine kränkelnde Branche zu sehen. Nur: Dass der E-Book-Markt auch hart umkämpft, dabei gleichzeitig aber noch weitestgehend unerforscht, die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden noch häufig unerkannt und unberücksichtigt bleiben, das scheint manch einer zu vergessen. Obwohl der größte US-amerikanische Buchhändler Barnes & Nobles und dessen Ankündigung, sich selbst zum Verkauf stellen zu wollen, dafür eigentlich ein mahnendes Beispiel sein sollte. Im Preiskampf mit dem Branchen-Primus Amazon scheint der Traditionsverlag offenbar die Haftung verloren zu haben. Was darf dann wohl erst ein kleinen Verlag wie Dorchester Publishing erwarten?
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Und doch gibt es da eine kleine Sache, die für den Underdog spricht. Seine Spezialisierung auf Liebesromane und auf „Hard Case Crime„-Romane – und eine damit einhergehende, eingeschworene, Nischen-Klientel. Sollte diesem dem Unternehmen bei dessen Sprung in die elektronische Bücher-Welt die Treue halten, könnte die Rechnung tatsächlich aufgehen. Falls nicht, weil die Schnulzen- und Krimi-Fans am gedruckten Buch hängen und bei einem anderen Anbieter fündig werden – womit wir beim Eingangsbeispiel wären -, dann dürfte es das für Dorchester Publishing gewesen sein.
Außer natürlich, man kommt auf einen weiteren bemerkenswerten Einfall. Beispielsweise den, vergleichbar den Handy-Verträgen den Buch-Kunden beim Kauf eines E-Book-Abos einen Reader zu schenken…
(Marek Hoffmann)
Ich möchte auf ihr Gedankenexperiment aus dem ersten Absatz eingehen: Stellen Sie sich das ganze mal anders herum vor: Also dass Verlage in gewissen lukrativen Bereichen eine Monopolstellung durch die Urheberrechte an gewissen Inhalten besitzen. Diese können die Kunden dazu zwingen, nur noch Bücher und Papierbasierte Medien zu kaufen. Und das nicht, weil sie nicht auf digitale Medien umsteigen könnten, sondern einfach, weil sie es nicht wollen. Es ist viel lukrativer zu drucken. Die Anzahl an Raubkopien ist geringer und man muss vor allem nicht die internen Prozesse umstellen. Denn die meisten Verlage haben von digitalen Medien wie eine Kuh vom Eierlegen. Das ist in vielen wissenschaftlichen Verlagen, die absolute Monopolstellung auf wichtige Inhalte haben, bereits seit Jahren REALITÄT!
@1
Ich wünschte, ich hätte ein paar Argumente um diese Behauptung zu widerlegen.
Aber leider erlebe ich jeden Tag , dass Fortschritt aufgehalten wird weil es zu teuer und zu umständlich ist.
Was das Readersubventionieren angeht, denke ich das wird der Weg sein, den die Verlage gehen müssen um ebooks massentauglich zu machen. Die Hürde sich einen teuren Reader zu holen ist noch zu groß für die Masse der Konsumenten. Grade, wenn es sich um einen reinen Reader handelt. Worauf die Branche auch hoffen muss bzw. wo sie drauf hinarbeiten muss, ist die Möglichkeiten zu nutzen, Software Reader quasi als Killerapplikation woanders unterzubringen … sprich ebooks auf dem iPad etablieren (was ja schon geschehen ist) oder auf Smartphones. Wenn diese Geräte eine breite Verwendung finden, wird auch das ebook Lesen eine breitere Verwendung finden. Ich glaube nicht, dass man reine Ebookreader massentauglich machen kann.
Was mich bei dem Artikel auch noch interessiert ist … wie gehen die Autoren damit um, dass ihr Buch jetzt nicht mehr oder nur schwer im Print zu haben ist? Ich fänd es wahrscheinlich weniger witzig, wenn mein Verlag mir auf einmal mitteilt „ja, wir drucken dein Buch nicht mehr, sondern verbreiten es nur noch elektronisch“ … nicht das ich veröffentlichter Autor wäre, aber ich kann mir vorstellen, das dem einen oder anderen Autor das sauer aufstossen wird. Wobei Dorchester hier wahrscheinlich wieder ihre Nischenstellung zu Gute kommt.
@Rufus: Guter Einwand. Ich denke, die Verlage besänftigen die Autoren mit dem „Print-on-demand“-Argument.
Zwingen – nein.
Das Problem sind die Leute, die sich, offenbar in großen Mengen, leicht manipulieren lassen, und zwar vor allem die jüngeren. Wer älter ist, wie ich, der hat Gewohnheiten, Traditionen, Überzeugungen und auch genug Skepsis allem möglichen gegenüber. Das ist bei jüngeren Leuten fast immer nicht der Fall, die sehen etwas, finden es gut und nutzen es. Unbefangen, so nennt man das wohl …
Der Titel liest sich etwas seltsam. Welches Verhalten ist jetzt „kamikaze“-artig? Das Aufgeben des wegbrechenden Papiergeschäfts, oder die Konzentration auf den gerade startenden Ebook-Markt?
Ich denke, in Zukunft wird es jedes Buch als Ebook geben. Und dann eine Papierausgabe für die Sammler und Buchliebhaber. So ist das mit den Taschenbüchern doch jetzt auch: Teure Hardcover für die Sammler, billigere Taschenbücher für die Vielleser.
Was ich mich gerade frage: Sind Ebooks eigentlich umweltschonender oder wird der papierlose Vorteil durch die Herstellung der Elektronik wieder verbraucht?
Der Vergleich Schallplatte – CD hinkt. Denn beim Umstieg auf CD blieb die Kontrolle über die Musik beim Käufer. Bei E-Books sieht die Sache „Dank“ DRM aber ganz anders aus.
Persönlich würde ich nur zur digitalen Variante greifen, wenn sie DRM frei ist.