Der bekannte YouTuber JuliensBlog hat in einem Video zur „Vergasung“ der GDL-Lokführer aufgerufen. Das Video erreichte in kurzer Zeit über 450.000 Aufrufe und bekommt über 40.000 Likes. Jonas Jansen mit einem Gast-Kommentar über Moral und Verantwortung eines sogenannten YouTube-Stars. // von Jonas Jansen
Julien, deine Fans machen gerade bei Facebook und Twitter alle den gleichen Witz: “Schwarzer Humor ist wie Essen, hat halt nicht jeder.” Hammergag, wird mit jedem Mal lesen witziger, gerade in der Variante mit Trinkwasser. Ehrlich. Aber man kann sich sein Publikum nicht aussuchen, nicht wahr, Julien?
Leider kann man es doch: Wenn man seit bald fünf Jahren rassistische, sexistische, behindertenfeindliche, homophobe, zusammengefasst: menschenverachtende Videos produziert und sich dabei hinter dem großen Wort Satire versteckt, dann darf man sich nicht wundern, wenn sein Publikum genau so drauf ist wie man selbst. Dafür reicht ein Blick in deine Facebook-Timeline oder unter deine Videos oder in die Twitter-Verteidigungen: Provozierende Witze oder “hat er nicht so gemeint”-Verharmlosungen, zu hohl zum Verlinken.
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Das Ding ist: Natürlich meinst du das so. Du hast genug Übung darin und Ahnung, was geklickt wird. Scheint ja gut zu laufen, wenn du in deinen Videos damit prahlst, dass du alleine mit einer Video-Reihe 500 000 Euro verdient hast. Nur hat man mit mehr als einer Million Youtube-Abonnenten auch so etwas wie eine Verantwortung, denn auch wenn ihr Youtuber einem Großteil der Gesellschaft immer noch vollkommen unbekannt seid, erreicht und beeinflusst ihr Millionen Jugendliche — in einer Phase des Erwachsenwerdens seid ihr Idole für sie, ob ihr wollt oder nicht. Und bei vielen ist die Medienkompetenz im Bezug auf Bedienung der (sozialen) Medien und Geräte deutlich höher als auf Verständnis des Inhalts. Ein Youtube-Kanal ist kein Schulfach, klar, aber er sendet in einen öffentlichen Raum, in dem es Regeln gibt — und selbst wenn du die gerade noch einhältst (das wird der Ausgang der Anzeige zeigen), bist du auf der moralischen Ebene komplett durchgefallen. Und das nicht erst seit dem GDL-Video, aber besonders dadurch.
Keine schiefe Metapher
Schon 2011 hast du in Videos vorgeschlagen, Bahn-Mitarbeiter anzuspucken und schwarze Koffer an Bahnhöfen stehen zu lassen, Euthanasie-Empfehlungen für Behinderte werden von dir serviert, du sagst regelmäßig, dass sich “die ganzen Lappen” aufhängen sollen, was keine Waschempfehlung ist, sondern eine angeblich nicht ernst gemeinte Botschaft an all “die Schwuchteln, Behinderten und sonstigen Spastis”, sich umzubringen.
Doch du findest das alles wahnsinnig lustig. So wie du dich in der Stellungnahme gegenüber der “Morgenpost” und im Interview mit “Das Ding” verhalten hast, siehst du nichtmal ein, dass dein Vorschlag “die Lokführer zu vergasen” keine schiefe Metapher, sondern nur dumm ist. Stattdessen hast du die Aufmerksamkeit noch genutzt, dein Merchandise zu bewerben, ein T-Shirt mit der Aufschrift “Bring dich um” und einer Figur, die vor einen Zug springt. Das muss dieser Schwarze Humor sein, von dem deine Fans reden.
Viele wundern sich gerade auch, warum _ausgerechnet jetzt_ der Aufschrei so groß ist, machst du schließlich schon seit Jahren nichts anderes, als mit monotoner Stimme Beleidigungen zu verfassen. Mit RTL hattest du schon Stress, angeblich kommt nach jedem deiner Videos eine Anzeige auf dich zu. Das Bad-Boy-Image pflegst du mit jeder neuen Beleidigung. Aber klar, du bist nicht der einzige im Internet, der auf Provokationen setzt. Es gibt Spiele, in denen man im Flappybird-Stil Flugzeuge an Twin Towers vorbeisteuern (oder eher: hineinsteuern) kann, das Subreddit /r/imgoingtohellforthis hat fast eine halbe Million Abonnenten und wenn man ein bisschen sucht, findet man auch Subreddits, die unter dem Motto “unexpectedjihad” Toy-Story-Szenen mit Videos von islamistischen Anschlägen zusammenschneiden, unterlegt von Kampf-Nasheeds, den Gesängen der Dschihadisten. Von 4chan fange ich gar nicht an.
Klassisches Beef-Gehabe, klar
Doch bis gestern hat diesen Julien Sewering, der mal als Cutter bei einer norddeutschen Produktionsfirma gearbeitet hat, außerhalb der Rapszene niemand gekannt. In der Szene bist du schon lange verhasst: Haftbefehl nannte dich mehrfach einen “Hurensohn”, er wüsste wo du wohnst, wo deine Mutter und deine Schwester wohne. Klassisches Beef-Gehabe, klar. Aber dafür, dass du als Rapper selbst eher ausgelacht wirst, schon eine ganz schöne Leistung.
Im Netz gibt es dutzende Diss-, also Beleidigungsvideos gegen dich (von denen du einen Großteil sogar selbst eingefordert hast mit „Juliensblogbattle“). Der nicht als Gangster bekannte Rapper Weekend fragte in einem Lied: “Ist dieser Julien noch am Leben oder haben sie ihn schon gefunden?” Die Beleidigungen in deine Richtung kommen daher, dass du die Rapper genauso beleidigst. Deshalb könnte man dich mit fast jedem Schimpfwort herabsetzen, Gerichte würden das mit “Konkludenter Einwilligung” kontern.
Es ist genau diese Szene, aus der du dein Vokabular entlehnst. Im Rap werden Mütter gefickt, Schwänze gelutscht und andere Rapper vergewaltigt.Bei “Rap am Mittwoch” in Berlin, einem populären Youtube-Format, das inzwischen bei Mediakraft untergekommen ist, gibt es auch häufiger KZ-Vergleiche oder Hitler-Witze, die weggelächelt werden, weil der Moderator Ben Salomo jüdischen Glaubens ist und das mit den Worten “Is doch nur Rap” sportlich beiseite wischt. Natürlich: Rap ist immer wieder homophob, frauenfeindlich und beleidigend.
Ist das also ein Problem der Musik?
Falk Schacht, Rap-Journalist und so etwas wie die gemäßigte Stimme der Szene kommentiert auf seiner Facebook-Seite: “Der Unterschied besteht im Rahmen. Rap Musik ist erkennbar in Kunst eingebettet = Musik + Gereimte Sprache = Kunst. Juliens Video könnte auch eine normale TV Reportage sein. Die Decodierung ist extrem erschwert.” Du würdest das bestimmt anders sehen und ich könnte mir vorstellen, dass der Kunst-Aspekt bei der Behandlung der Anzeige mehr herausgestellt wird, als es vielen Lokführern lieb ist.
Grenze zu Schulhof-Beleidigungen überschritten
Wenn du bis hierhin gelesen hast und dich jetzt fragst: Warum schenkt der diesem Julien überhaupt so viel Aufmerksamkeit?
Dann liegt das daran, dass man solchen Botschaften etwas entgegnen muss. Das hat nichts mit Humorlosigkeit zu tun oder Spießigkeit. Es gibt eine qualitative Grenze zwischen einer Schulhof- oder Twitterbeleidigung, einem verärgerten “Hurensohn” eines Haftbefehl in deine Richtung und deiner Aussage, dass man eine Berufsgruppe “vergasen” sollte. Der Holocaust ist einfach kein Witzobjekt, sondern etwas Unvergleichbares. Nach dem Krieg haben Lyriker und Schriftsteller ratlos diskutiert, ob sie die von den Nazis pervertierte deutsche Sprache überhaupt noch verwenden können. 70 Jahre später sprechen Menschen ernsthaft darüber, “die Vergangenheit hinter sich zu lassen”, als wäre das irgendwie möglich. Und du machst auf Kosten von Millionen getöteten Menschen einen billigen Witz für Klicks, weil in beiden Bildern Schienen und Züge vorkommen?
Übertreib nicht deine Rolle, Julien.
Leider spielt er eine Rolle! Schade, dass dieser Beitrag nicht von annähernd so vielen Menschen „konsumiert“ wird, wie dieses Machwerk bei Youtube. Google, habe ich irgendwo gelesen, sieht sich nicht im Stande dagegen etwas zu unternehmen. Angeblich ist das Machwerk regelkonform. Nun dann. Da wissen wir wenigstens, woran wir sind.
Das kann einen zur Verzweiflung bringen. Da betritt jemand, der sich vermutlich für einen großen Star hält, gesellschaftlich verbrieftes No-Go-Terrain und deklariert es als noch als Satire.
Mehr noch als über den Inhalt des Videos rege ich mich darüber auf, dass es so viele gibt, die das ganz toll finden. Ich frage mich immer, ob die Taktfrequenz der Berichterstattung über den Holocaust nicht manchmal zu hoch ist und denke dabei vor allem an junge Leute. An diesem Beispiel muss sehen, dass gar nicht genug darüber gesprochen werden kann. Aber solche Beiträge werden diese Leute sich vermutlich im Leben nie antun. Dafür sind sie zu beschränkt.
Danke für dieses Posting, Jonas.
[…] Nach Aufruf zur “Vergasung” der GDL-Mitarbeiter: Lass uns über Moral reden, Julien Quelle: BASICthinking […]
Sehe ich nicht so. Ich kannte diesen Menschen bis eben nicht, habe mir erst das Interview, dann das original-Video angesehen, und dann ein paar Minuten vom Rest.
Und das erste was ich dachte, war: „Du blöder Moderator, was machst du denn da? Denn der hat einfach Recht!“ Denn er HAT Recht – es ist primär mal legal was er tut. Und ich finde das auch gut (also dass das legal ist). IMHO sollte man sagen können was man will, egal wie falsch, diskriminierend oder sonstwas. Und es gibt auch keine Grenze, die man hier „nicht überschreiten darf“, wie der liebe DasDing Moderator so schön formuliert. Gibts einfach nicht.
Ob man das gut finden muss ist eine andere Frage. Das muss man nämlich ganz und gar nicht. Meiner Meinung nach z.B. ist das reinrassiger Schrott was der gute Julien fabriziert – nur kann man sich ja so schön drüber aufregen. Lies: Blog-, Twitter- oder Nachrichten-Posts schreiben. Und die generieren wunderbar Aufmerksamkeit (wie man sieht) für jemanden, den wir alle nicht gut finden – weil „darüber muss man ja reden“ und „das geht ja gar nicht dass der sowas darf“. Und deswegen dachte ich auch „du blöder Moderator“ – denn der Ausgang des Gesprächs war klar, wenn man Julien kennt oder mehr als 2 Minuten gesehen hat. Und was haben wir erreicht? Jetzt kennen ihn noch mehr Leute.
Aber nö, darüber muss man nicht reden. Ich habe jetzt mehr von dem Kerl gesehen als ich jemals wollte, und ich finde nicht dass es mir bewusst sein muss, dass es diesen Menschen gibt. Also wenn euch das wirklich so aufregt, und das eure persönliche Moralrenze überschreitet, dann schreibt doch einfach nicht über ihn. Hätten das mehr Leute gemacht wäre die Welle vorbei bevor überhaupt Wasser da wäre. Und Deutschland würde Geld sparen (ich bin sicher die Staatsanwaltschaft hätte besseres zu tun).
So viel „Offenheit“ hat auch was gutes – es wird leichter sich von solchem Menschen (sind das überhaupt Menschen?) fern zu halten.
Ich glaube Julien kann man nicht oft genug die Meinung geigen. Er rafft es aber trotzdem nicht. Seinen Fans mus man die Augen öffnen und dann ist er ganz schnell genauso von ihnen verhasst, wie in der Rap-Szene.
Christoph Kappes hat dazu ebenfalls ein paar Gedanken niedergeschrieben. Allerdings aus einer etwas anderen Sicht. http://christophkappes.de/geworfen-3-hallo-google-juliensblog/
Ich finde eigentlich wesentlich besorgniserregender, dass solche Inhalte eine solch hohe Abonennentenzahl erreichen können.
So ist es!
Naja aber wie oben schon geschrieben, es wollen alle eine Stellung nehmen zu diesem Julien. Ich habe weder sein Zeug gesehen noch den Artikel gelesen- Nur die Kommentare. Ihr seid es doch die genau diesen Leuten die Bühne geben ihnen zuhören etc. das Phänomen Pegia funktionierte genauso. Ausserhalb Dresden kannte die kein Mensch….
Da muss ich Ihnen widersprechen. Man muss die Videos nicht schauen, um sich eine Meinung zu den Inhalten bilden zu können. Mir hat der Artikel hier genügt. Ich habe ein Video angeklickt, ihn ca. 10 Sekunden schwafeln lassen und ihm dann einen bekömmlichen Kommentar hinterlassen. Das ändert leider nichts an dem, was Florian richtig erkannt hat: dass dieser Kerl schalten und walten kann wie er will, die Jugendlichen mit unausgereiften Hirnen es konsumieren und zu moralisch fragwürdigen Gestalten herangezogen werden.
Meine Sorge gilt an dieser Stelle eher unser Erziehung und gesellschaftlichen Entwicklung, die zum einen solche Äußerungen zulassen und zum anderen (und viel erschreckender) es so viele Menschen gibt, die es unreflektiert gutheißen, was da in reißerischer Art und Weise von sich gegeben wird.
Das sehe ich genauso.
Scheinbar bedient er gezielt ein gewisses Klientel, welches sich selbst auf die Schulter klopft, um gleichzeitig zu konstatieren, dass man schließlich ein Kenner der Satire sei, wenn man diesem Julien zuhört.
Da wundert mich auch nicht, dass er dann vehement verteidigt wird, weil damit gleichzeitig das Niveau des durchschnittlichen Betrachters zur Sprache gebracht wird.
Naja,
ich bin zwar dafür, dass die mal über Moral mit Julien reden, aber wenn schlecht recherchiert wird, ist das keine gute Grundlage dafür – da fühlt man sich nur für dumm verkauft.
Er hat nie zur Vegasung aufgerufen – mir geht es hier um das Wort „aufgerufen“. Aus Juliens Sicht macht das einen Unterschied; wenn es vor Gericht ghet, dann wird das erst recht einen Unterschied machen.
Ich bin immer fassungsloser, was für Trolle sich im Internet tummeln und ihre „Meinung“ kundtun. Leider ist das auch hierbei eine Sache von Angebot und Nachfrage und wir werden es nicht verhindern, wenn wir nur drüber schweigen, auch wenn mit jedem Bericht über diesen Troll wieder mehr Besucher auf das Video etc. heben.
Aber ich finde den Bericht hier mal richtig gut, Wortklauberein wie von Hawke lassen wir mal so im Raum stehen. Ich glaube an das Gute im Menschen und hoffe, dass mit weiterer Verbreitung der moralische Widerstand stärker verbreitet.
Die umgangssprachliche Redewendung „bis zur Vergasung“ soll in der Regel ausdrücken, dass man „einer Sache so überdrüssig ist, daß man sich lieber durch Giftgas töten ließe“.[1] Sie kam kurz nach dem Ersten Weltkrieg auf und wurde zunächst vor allem von Soldaten, Schülern und Studenten verwendet.[2][3] Im Hinblick auf den Holocaust ist der Gebrauch der Redewendung in heutiger Zeit ein Tabu. Vereinzelt wird sie jedoch trotzdem, meist aus Unbedachtheit, noch verwendet.
Wikipedia