Technologie

Macht uns das Internet demokratischer? Was wir von der Piratenpartei noch lernen können

Piratenpartei Demokratie
geschrieben von Fabian Mirau

Das Internet kann uns demokratischer machen. Die Piratenpartei hat uns dazu vor einigen Jahren einen entscheidenden Denkanstoß verpasst.

Die Überraschung war groß im Oktober 2011, als die noch junge Piratenpartei mit sagenhaften 8,9 Prozent in das Berliner Abgeordnetenhaus einzog. Es schien für einen Moment so, als könne sich ein neuer Mitspieler im Parteiensystem etablieren. Doch die Ernüchterung folgte unmittelbar, Kritik machte sich schnell breit. Man warf den Piraten vor, sie seien von der nun verliehenen parlamentarischen Verantwortung überfordert und sie hätten vor allem gar kein richtiges Programm. Denn der vielzitierte Satz Marina Weisbands, die Partei habe nicht bloß ein Parteiprogramm, sondern ein Betriebssystem, einen neuen Politikstil anzubieten, wurde kurzerhand in einen Mangel an politischen Überzeugungen und Inhalten umgedeutet.

Und nun, 5 Jahre später, ist die Piratenpartei in Berlin bei nicht einmal mehr 2 Prozent zurück auf dem Boden der Tatsachen angelangt. Der mediale Hype scheint nun vollends vorbei. Und viel bleibt nicht übrig von den großen, neuen Ideen und Vorstellungen, die man oft und gerne äußerte. Doch dabei sollte eins nicht vergessen werden: Die Partei wusste damals überraschend präzise, demokratische Defizite auszumachen. So beklagten die Piraten – für eine neue Partei durchaus üblich – den zunehmenden Einfluss privater Akteure auf die Politik. Und schon seit längerem prangern Politologen an, die repräsentative Demokratie halte der Dynamik und Schnelligkeit unserer digitalen Gesellschaft kaum noch stand, sei viel zu schwerfällig.


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Mit ihrer hierarchielosen, basisorientierten Organisationsstruktur, ihrer Forderung nach mehr Transparenz und Partizipation, trug die Piratenpartei sinnvolle, zeitgemäße Beiträge in die politische Parteienlandschaft hinein. Denn dieser neue Politikstil, das „Betriebssystem“, besser bekannt als Liquid Democracy, war eine demokratische Idee, eine Alternative, die es zwar schon gab, vorher aber so gut wie niemand kannte und durchaus neugierig machte.

Liquid Democracy: Was war das noch gleich?

Die Piraten versuchten da nichts geringeres, als unser Denken über Politik und Repräsentation zu revolutionieren. Ein viel zu großes Unterfangen natürlich für eine so kleine Partei. Doch interessant war dieser Einwurf allemal. Denn Liquid Democracy versucht, Politik und Internet viel enger zu verbinden. Das soll politische Prozesse einerseits transparenter, andererseits partizipativer machen.

Das Internet hat gewaltige gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. Es ist ein freier und vor allem schneller Zugang zu Informationen jeder Art möglich. Vor allem wer mit dem Internet aufgewachsen ist, begreift es als dynamischen Raum ohne starre Strukturen. Gleichzeitig sinkt die Motivation, sich dem Programm einer Partei zu fügen. Politische Verantwortung können und wollen viele nun selbst übernehmen. Hier versucht Liquid Democracy anzuknüpfen. Es soll nämlich jeder bei politischen Abstimmungen direkt mitmachen dürfen. Und wer keine Zeit oder Lust hat, überträgt seine Stimme abhängig nach Thema auf jemanden, der davon Ahnung hat.

Ist das nicht genau das, was wir brauchen? Ist das nicht die Antwort auf Populisten von links und rechts, die seit Jahren mehr Bürgerbeteiligung fordern?

Piratenpartei, Internet und Demokratie

Nein. Liquid Democracy ist als Ersatz für die repräsentative Demokratie völlig ungeeignet. Demokratie, die vollständig im Internet stattfindet, kann (noch) nicht funktionieren. Und auch die Piraten selbst hatten mit so einigen innerparteilichen Problemen zu kämpfen, wenn sie unter sich Liquid Democracy mit der Software Liquid Feedack anwendeten.

Doch trotzdem können wir einiges vom vergangenen Hype um die Piratenpartei lernen: In Zeiten des digitalen Wandels muss sich auch die Politik wandeln und an die äußeren Umstände einer beschleunigten Kommunikation, einer ständigen Informiertheit der Bevölkerung anpassen. 2013 bezeichnete der Politologe Christoph Bieber die Partei als einen „Agent des Wandels“, weil sie mit ihrem Politikstil auf andere Parteien abfärbte. Doch davon ist nicht mehr viel übrig. Die demokratischen Potentiale des Internets werden seltener wahrgenommen. Im Gegenteil: Im Umgang mit Pegida, Hatespeech und Trollen entsteht schnell der Eindruck, das Internet entwickle gerade eine eher undemokratische Eigendynamik.

Macht uns das Internet demokratischer?

Dabei kann es zweifelsohne durch seine dezentralen und inklusiven Eigenschaften eine Demokratie besser, demokratischer machen. Internet und Demokratie können zusammenpassen, wenn man sie richtig verbindet. Beispielsweise müssten digitale Demokratiepotentiale durch Software außerhalb bekannter sozialer Medien viel besser genutzt werden. Eine digitale, demokratische Plattform etwa, die alle Teilnehmenden wie im Wahllokal gleich behandelt und nicht die lautesten Kommentare mit den meisten Likes oder Followern bevorzugt.

Soll das Internet uns demokratischer machen, müssen solche Entwürfe wie die der Piraten wieder breiter diskutiert werden. Die Mehrheit der Internetnutzer sieht zwischen Facebook, Katzenbildern und Modeblogs kaum Chancen der politischen Beteiligung. Doch die sind zweifelsohne vorhanden.

Einen Denkanstoß dafür lieferte die Piratenpartei.

Über den Autor

Fabian Mirau

Fabian ist Politik-Student und arbeitet in Berlin für ein Redaktions- und Medienproduktionsbüro. Für BASIC thinking schreibt er beinah wöchentlich über Netzpolitik, Social Media und den digitalen Wandel. Also eigentlich über fast alles, was mit diesem Internet zu tun hat.

10 Kommentare

  • Ich fand es enttäuschend, dass die Piraten Liquid Democracy in den Sand gesetzt haben! Das war für mich das zentrale Tool, mit dem man hätte arbeiten sollen und es weiter entwickeln.

    Von Leuten, die Einblick hatten, hab ich vernommen, dass das Teil extrem proprietär programmiert war, also nicht dafür geschaffen, unabhängig von den Schöpfern weiter entwickelt zu werden.

    Inhaltlich ist es – soviel ich las – gescheitert, weil da „Transparenz“ in der „Teilhabe“ mit dem Datenschutz kollidierte. Eigentlich seltsam in einer Welt, in der die Leute massenhaft Details aus ihrem Leben und jegliche Meinung öffentlich machen. Auch hätte man es ja mit Pseudos umsetzen können, deren „Aufschlüsselung“ bei einer anerkannten vertrauenswürdigen Institution liegt. Aber es ging im Streit unter, wie so vieles bei den Piraten.

    Auf Demos zeigt man ja auch Gesicht und steht offen für eine bestimmte Meinung ein. Warum also nicht auch in sowas wie Liquid Democracy?

  • @ClaudiaBerlin: Es ist ein Fehler, ein Konzept wie Liquid Democracy mit Tools wie Liquid Feedback gleichzusetzen. Das Konzept kann auf viele mögliche Arten umgesetzt werden. Dagegen ist ein vorgegebenes, individuell entwickeltes Tool sicherlich nicht in der Lage, allgemeine gesellschaftliche Probleme zu lösen.

    Anonymität, z.B. bei geheimen Wahlen und Abstimmungen, ist in der Politik ein wichtiges Instrument, um sich gegen äußeren Druck wehren zu können, und um Minderheiten zu schützen. Zudem ist es gerade zu Zeiten des immer weiter fortschreitenden Data Mining und der Verhaltensprognose immer wichtiger, eigene Meinungen personenunabhängig äußern zu können, um nicht erpreßt oder in Schubladen gesteckt zu werden.

  • Es wäre falsch, einen Widerspruch zwischen parteipolitischer Transparenz und parteipolitischer Teilhabe zu konstruieren, da die politischen Parteien in der Bundesrepublik dem Publizitätsgrundsatz unterliegen:

    Sie haben eine durch die Verfassung und die gesellschaftliche Wirklichkeit hervorgehobene Rolle bei der politischen Meinungs- und Willensbildung und erhalten *dafür* (und *nicht* etwa in erster Linie für das Aufhängen von Wahlplakaten) eine staatliche Teilfinanzierung. Weil das so ist, schulden sie dem Gemeinwesen die Publizität der innerparteilichen Willensbildung.

    Marcel Reichel schrieb dazu 1996 in einem Artikel in den »Schriften zum öffentlichen Recht«:

    »Publizität ist ein den ganzen demokratischen Willensbildungsprozess durchdringender Verfassungsgrundsatz, nach dem die Institutionen, die aufgrund der Verfassung die Möglichkeit eingeräumt bekommen, eine entscheidende Rolle bei der Willensbildung zu spielen, dem demokratischen Offenheitsprinzip unterliegen. Die ›Publizitätspflicht‹ der Parteien besteht daher nicht nur den Parteimitgliedern, sondern allen Bürgern gegenüber. Das Offenheitsprinzip betrifft grundsätzlich die ganze Organisation und Arbeit der mit der Aufgabe der politischen Willensbildung betrauten Parteien. Die Regel ist Publizität, die Ausnahme Vertraulichkeit.«

    Diejenigen Mitglieder politischer Parteien, die glauben, für sie gälten hinsichtlich ihres innerparteilichen Abstimmungsverhaltens und ihrer innerparteilichen Debattenbeiträge die gleichen Maßstäbe des Datenschutzes wie für Nicht-Mitglieder, täuschen sich. Ihr jeweiliger Beitrag zur innerparteilichen Willensbildung – also die eingangs genannte parteipolitische Teilhabe – unterliegen in aller Regel gerade *nicht* der Vertraulichkeit, und zwar einfach wegen der hervorgehobenen Rolle politischer Parteien.

    Wer also als Mitglied innerhalb von Parteien politischen Einfluss geltend machen will, kann dies nicht im Schatten der Vertraulichkeit tun.

    Deshalb stehen Transparenz und Teilhabe gerade in Parteien eben nicht im Widerspruch, sondern bedingen vielmehr einander.

    Mit Fließender Demokratie oder dem IT-Verfahren LiquidFeedback des Vereins Public Software Group e.V., mit dem die Piratenpartei zeitweise innerparteilich Fließende Demokratie umsetzt, hat das so gut wie nichts zu tun, denn der Grundsatz würde auch ohne Einsatz von Online-Abstimmungsverfahren gelten.

    Immer, wenn Online-Abstimmungsverfahren – welcher Art auch immer – in der Piratenpartei scheitern, tun sie das wegen eines falsch verstandenen Datenschutz-Ethos einiger Mitglieder und einem Mangel an Bildung über die Funktionsweise und Bedeutung politischer Parteien in der Bundesrepublik.

    Das ist sehr schade, und es dürfte auf jeden Fall lohnenswert sein, innerhalb und außerhalb der Piratenpartei diejenigen Akteur*innen zu stärken, die für einen breiteren Einsatz Fließender Demokratie eintreten.

    Das Glitzerkollektiv, eine kleine, im Herbst 2014 gegründete Partei, setzt Fließende Demokratie seit über einem Jahr in einem ständigen Online-Parteitag mit Publizität (also allgemeiner Öffentlichkeit) und Verbindlichkeit der Beschlüsse um. Die dortige Vorgehensweise wurde mit der zuständigen Brandenburgischen Aufsichtsstelle für den Datenschutz abgestimmt. Die Vereinigung von Teilhabe und Transparenz ist also möglich, wenn sie gewollt wird. Es spricht fachlich überhaupt nichts dagegen und politisch sehr viel dafür.

    • @jpreisendoerfer: Eine Verbindlichkeit von Beschlüssen ist, soweit ich weiß, mit keinem parteiinternen Onlinetool umsetzbar. Laut Parteiengesetz müssen inhaltliche und personelle Entscheidungen durch eindeutig definierte Gremien und nach Verfahren mit eindeutigem Raum-Zeit-Bezug getroffen werden. Das sehe ich beim Glitzerkollektiv genauso wenig gegeben wie bei der Piratenpartei.

      • @ Fabian Mirau:

        Das Parteiengesetz sieht lediglich einen Parteitagsvorbehalt vor. Dieser Vorbehalt ist auch dann erfüllt, wenn der Parteitag (= Mitglieder- oder Delegiertenversammlung) *ständig* tagt. Die Repräsentativität wird durch Online-Mitglieder-Versammlungen im Vergleich zu Offline-Delegierten-Versammlungen, die nur von einer Zeit- und Geld-Elite überhaupt wahrgenommen werden können, ganz offensichtlich verbessert. Niemand wird das vernünftigterweise bestreiten können; es dazu im Gegenteil gerade am Beispiel der Piratenpartei wissenschaftlichtliche Studien.

        Daneben gibt es keinen ersichtlichen Grund, aus dem Online-Abstimmungen in Aktiengesellschaften, Genossenschaften und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (wo sie ausdrücklich gesetzlich zugelassen sind) repräsentativ sein sollen, in politischen Parteien aber nicht.

      • @Fabian Mirau: Gibt es dazu noch genauere Erläuterungen, inwieweit eine verbindliche Online-Abstimmung dem Parteiengesetz widerspricht? Ich habe mir gerade das Gesetz noch mal durchgelesen und daraus ergibt sich, aus meiner Sicht, keine Einschränkungen. Es kann aber natürlich sein, dass ich diverse Urteile zu dem Thema nicht kenne.

        • @Christian Beuster:

          Stimmt. Das ist, wenn man dem Internet einen eindeutigen Raum-Zeit-Bezug zuspricht, möglich. Es lag dann wohl eher an der Satzung der Piratenpartei selbst, dass mit Liquid Feedback keine inhaltlichen und personellen Entscheidungen getroffen werden Konnten/durften. Schließlich kann die Partei nun mit dem „Basisentscheid Online“ durchaus solche Entscheidungen treffen, ohne eine Offline-Mitgliederversammlung stattfinden zu lassen: https://wiki.piratenpartei.de/Basisentscheid.

  • Nun, wer die flüssige Demokratie als Ersatz der repräsentativen Demokratie sieht, der wird schnell eine Bruchlandung erleben. Sie ist kein Ersatz, sie ist eine Erweiterung der repräsentativen Demokratie. Eine Weiterentwicklung. Selbst die „Rätedemokratie“, die als Alternative zum jetzigen Modell gedacht wird, hat repräsentative Eigenschaften, repräsentative Anteile wird wahrscheinlich jedes Demokratiemodell haben. Dazu möchte ich auch folgenden Blogeintrag noch hier lassen –> http://aquarium.teufel100.de/2012/08/07/wer-nicht-lossegelt-kann-kein-boot-entern-liquid-democracy/