Ich bin gerne Online-Shopper, bezeichne mich als Fan von Amazon, obwohl ich weiß, wie sie es mit Steuern und Mitarbeitern halten. Nichtsdestotrotz kenne ich viele Lieder über das untergehende Abendland und gehe gerne in die Stadt. Doch die geballte Ignoranz des Einzelhandels ist schwer zu ertragen. Wen wundert es da, dass Online-Shopping so boomt. In beinahe jedem Laden steht ein Niedriglohnempfäger und verteilt Zettel, die auf teils aberwitzige Rabattaktionen hinweisen.
Hälfte der Belegschaft auf der Rabatt-Schule
Oberirre: Dieser Drogerie-/Parfümeriemarkt. Dort kommt man rein und findet kaum noch raus, denn neben den ohnehin kaum zu übersehenden Sonderangebots-Platzierungen gibt es ein derart ausgeklügeltes System an Rabatten, dass permanent die halbe Belegschaft fehlt. Müssen auf die Rabatt-Schule. Aktuell gibt es auf den zweiten Duft 40 Prozent Rabatt. Sie fangen immer mit dem teuersten an zu zählen.
Dann gibt es noch eine Kundenkarte, die nichts kostet und eine Kundenkarte, die etwas kostet. Wer mit Letzterer bezahlt, bekommt 10 Prozent. Was es bei der anderen gibt, habe ich nicht verstanden. Vermutlich gibt es bei Kauf eines Männer- und Frauenduftes nochmal was ab, aber nur zu ungeraden Uhrzeiten (es gilt die Minute) und nur an der Westkasse, wenn die Quersumme des Alters der Kassiererin größer 9 ist.
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Rabatte über Rabatte
Obwohl mir beim vorweihnachtlichen Bummel egal ist, ob am Ende 20 Euro mehr oder weniger weg sind, ertappe ich mich dabei, wie das Rabattfieber steigt und der Wahn unkontrollierbare Reaktionen auslöst. Deswegen bezahle ich das Duschgel einzeln, weil die beiden letzten Male auf dem Kasselzettel ein 15- oder 20-Prozent-Rabattgutschein für den nächsten Einkauf war, der ungenutzt verfiel. Bei drei Düften lohnt sich das.
Der Plan scheitert grandios. Denn diesmal gibt es 15 Prozent Rabatt auf Pflegeprodukte. Wäre also besser gewesen, erst das billigste Parfüm zu bezahlen, dafür 15 Prozent auf das Duschgel zu bekommen und dann das insgesamt zweitteuerste Parfüm 40 Prozent billiger zu kriegen – selbstredend mit der Kundenkarte bezahlt, macht nochmal 10 Prozent.
Händler erziehen uns zu Söldnern
So drillen Händler ihre Kunden darauf, jedem Rabattpunkt hinterherzuhecheln. Das sind übrigens die gleichen Händler, die lautstark beklagen, dass ihre undankbaren Kunden online kaufen, weil es dort billiger ist. Im Fan-Prinzip nennt man solche Kunden „Söldner“. Sie sind zwar zufrieden mit den Produkten, dem Service, der Auswahl – doch sie haben keine emotionale Bindung entwickelt.
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Sie kaufen da, wo es am billigsten ist. Heute hier, morgen da. Wahnsinnige wie diese Drogerie/Parfümerie-Kette wissen das anscheinend nicht, denn sie geben sich alle erdenkliche Mühe, ihre Kunden zu Söldnern zu machen. Sie impfen sie mit dem Rabattfieber gegen echte Kundenbindung, konditionieren sie, ihr nächstes Eau de Toilette da zu kaufen, wo es am wenigsten kostet. Um dann auf Branchentagen zu jammern, wie undankbar ihre Kunden doch seien.
Wo Seegurken an der Kasse sitzen
So werden die Rabattschlächter zu Selbstmördern und zerstören nicht nur sich selbst, sondern ganze Innenstädte. Wenn es nur noch um den Preis geht, sind Amazon & Co. nicht zu schlagen. Spätestens, wenn an der Zentralkassenschlange im Textilkaufhaus die Stimmung ins Aggressive kippt, weil unzählbar viele junge Frauen mit dem Elan einer Seegurke Kassiererin spielen dürfen, sehnt sich so mancher nach seinem Browser und seinem Warenkorb zurück. Da stimmt die Raumtemperatur, furzt mich kein Rentner an und läuft genau meine Musik.
Doch es geht auch anders: Bei Wirth – Der Kinderladen nämlich. Ein Kleinod des Einzelhandels seit 1925, in dritter Generation in Familienbesitz. Zwar schockierte mich die Familie Demmler-Wirth gerade mit einem „Sale“-Banner auf ihrer Homepage, doch in dem Geschäft in der Mainzer Innenstadt sieht das gottseilobunddank anders aus. Dort warten hochmotivierte und -qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht raten, sondern beraten. Der Kundennutzen steht dort jederzeit im Vordergrund: Glückliche Kinder. Und es ist, als strahlten alle, weil es nichts Schöneres geben kann, als Kinder glücklich zu machen.
Als ich an die Kasse gehe, erklärt eine erfahrene Verkäuferin ihrer Kollegin gerade etwas mit Storno, einem kleinen Papierzettel und ein paar Zahlen. Als sie meiner gewahr wird, reagiert sie sofort: „… doch Kunden hier an der Kasse haben immer Vorrang!“
So geht Kundenbindung. Wie gerne zahle ich dafür mehr.
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