Wirtschaft

„Fuck CO2“: Das Klimaschutz-Start-up Carbonauten im Check

Carbonauten, Biokohlenstoff, Start-up, Klimaschutz
Carbonauten
geschrieben von Christoph Hausel

In der Serie „Start-up-Check!“ nehmen wir regelmäßig die Geschäftsmodelle von Start-ups unter die Lupe. Wer steckt hinter dem Unternehmen? Was macht das Start-up so besonders und was gibt es zu kritisieren? Heute: die Carbonauten.

Start-ups: Das klingt nach Erfindergeist, Zukunftstechnologien, neuen Märkten. Doch in der Realität erweisen sich viele der Neugründungen leider oft als eine Mischung aus einer E-Commerce-Idee, planlosen Gründern und wackeligen Zukunftsaussichten.

Dabei gibt es sie durchaus: Die Vordenker, die an den großen Problemen tüfteln und Geschäftsmodelle revolutionieren. Diese zu finden und vorzustellen, ist die Aufgabe des Formats Start-up-Check. Heute: Carbonauten aus Giengen.


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Carbonauten: Supermaterial mit Superheldenkräften

Die Botschaft ist glasklar. So klar, wie frisches Bergquellwasser: „fk CO2“, steht auf der Website von Carbonauten in großen Lettern geschrieben – ohne Sternchen, also mit „u“ und „c“ zwischen dem „f“ und dem „k“. „Ab hier kein Bullst mehr“:

Ich kann mir gut vorstellen, wie die Co-Founder Torsten Becker und Christoph Hiemer des im Jahr 2017 gegründeten Greentech-Startups diesen Satz aussprechen würden. Denn sie sind Männer der Tat, gewissermaßen moderne Superhelden, mit viel Know-how im Gepäck.

Was machen die Carbonauten?

Und mit ihrem Projekt nehmen Sie gewissermaßen das Heft des umweltbewussten Handels in ihre eigenen Hände. Ihr Rezept: Bio-Kohlenstoff. Die Idee dazu brachte Carbonauten-CTO Christoph Hiemer in das Unternehmen ein. Daraus entwickelten die Carbonauten ein Supermaterial, dass über wahre Superheldenkräfte verfügt.

Und es hat natürlich das Zeug dazu, das scheinbar ewige Klima-Desaster endlich zu beenden. Denn: Biokohlenstoff speichert und bindet nicht nur tonnenweise CO2, sondern überzeugt durch zahlreiche Materialeigenschaften, die insbesondere für die industrielle Nutzung relevant sind. Dazu gleich mehr.

Echtes Flexibilitätswunder 
Um Biokohlenstoff herzustellen, nutzen die Carbonauten einen speziellen Karbonisierungsprozess. Dazu setzen Becker und Hiemer eine selbst entwickelte Technologie ein. Sie gewinnt aus Bio-Reststoffen wie etwa Hackschnitzeln, Sägeresten, Nussschalen oder Altholz industriell nutzbare Roh- und Wertstoffe, die – logischerweise – anstatt auf fossilen Kohlenstoffen eben auf Biokohlenstoffen basieren.

Minus CO2-Factories

Diese Technologie wenden die Carbonauten wiederum in sogenannten „minus CO2 factories“ Produktionsanlagen an. Sie zeichnen sich durch eine hohe Prozesskontrolle, durch maximale Energieeffizienz sowie durch Robustheit aus.

Das sind entscheidende Voraussetzungen, um niedrige Produktionskosten, spezifische Produkteigenschaften, hohe Qualitäten und große Ausbringungsmengen zu realisieren. Weiterer Pluspunkt:

Die Produktion lässt sich innerhalb weniger Stunden an verschiedenste Stoffströme, spezielle Produktanforderungen oder an sich verändernde Marktbedarfe anpassen. Das verwandelt eine „minus CO2 factory“ in ein echtes Flexibilitätswunder. Dahinter verbirgt sich das sogenannte Batch-Retorten-Verfahren.

Vorteil: Die per Langsam-Pyrolyse durchgeführte Karbonisierung verzichtet auf beweglich Teile und ist aus diesem Grund nicht nur für Biorest-, sondern auch für Problemstoffe ausgelegt. So lassen sich selbst Materialen, die Störstoffe wie Nägel, Steine oder Kunstfasern enthalten, umweltfreundlich karbonisieren.

Die Carbonauten wollen 7.500 Tonnen Bio-Kohlenstoff pro Jahr herstellen

Mit diesem Verfahren starteten die Carbonauten im Sommer 2022 in der „minus CO2 factory 1“ am Standort Eberswalde bei Berlin die Produktion von Bio-Kohlenstoff. Der Plan ist, jährlich etwa 7.500 Tonnen des wertvollen Rohstoffs herzustellen, der pro Tonne tatsächlich mehr als das Dreifache an CO2 speichert, es also de facto nicht ausstößt.

Das macht Biokohlenstoff nicht nur klimaneutral, sondern sogar CO2 negativ. Die bei den Carbonauten daraus erzeugten Produkte – die sogenannten NET Materials® – sind zudem besonders einfach recyclebar und lassen sich sogar zu wertvoller schwarzer Erde („Terra Preta“) kompostieren.

Darüber hinaus visieren die Carbonauten in Eberswalde die Herstellung von bis zu 4.000 Tonnen an technischem Bio-Kohlenstoff an, dem bis zu 70 Prozent Biokohlenstoffanteil beigemischt werden. Diese Variante eignet sich insbesondere als schadstoffreduzierter Rohstoff für die Industrie.

Unter technischem Bio-Kunststoff verstehen die Carbonauten hochstabile, verwindungssteife, hitzebeständige, ultraleichte und antistatische Verbundwerkstoffe – Materialeigenschaften also, die konventionellen, auf fossiler Basis hergestellten Verbundwerkstoffen in nichts nachstehen.

Warum eigentlich nicht auf technischen Bio-Kohlenstoff setzen?

Das macht diesen Typ des NET Materials® insbesondere für Anwendungen in der Industrie und der Kunststofffertigung sehr attraktiv. Dort ist man auf kohlenstoffbasierte Erzeugnisse oder Halbfertigerzeugnisse angewiesen. Warum also nicht auf technischen Bio-Kohlenstoff setzen, der beste Materialeigenschaften mitbringt und dazu noch die CO2 Bilanz verbessert. Wer bitte will das nicht?

Weitere Use Cases in der Landwirtschaft, der Baubranche oder dem Energiesektor dokumentieren, wie fortgeschritten das Konzept der Carbonauten bereits ist. Die NET Materials® reichen etwa vom bio stimulant®, einem Dünger, der auf Biokohlenstoff basiert und das Pflanzenwachstum beschleunigt, über verschiedene regenerative Bio-Composites.

Dazu gehören Verbundstoffe mit bis zu 50 Prozent Biokohlenstoffanteil – bis hin zu NET Materials® für die Bauindustrie – zum Beispiel Putz, Beton oder Dämmstoffe – sowie den Energiesektor, der etwa von den bis zu 24 Gigawatt Abwärme profitiert, die beim Betrieb einer minus CO2 Fabrik entstehen.

Biokohlenstoff: Es gibt einen enormem Bedarf

Angesichts der Klimaziele ist der weltweite Bedarf an Biokohlenstoffen enorm. Und die Carbonauten sind bereit dazu, den Bedarf zu decken – mit einem eng maschigen, weltweiten Netz aus minus CO2 Fabriken, die Biomassereste genau dort karbonisieren, wo sie entstehen.

Das schont nicht nur regionale Ressourcen, sondern ist auch von großem Vorteil für die lokale Energieversorgung von Unternehmen, Städten und Kommunen. Möglich wird das, ich deutete das ja weiter oben bereits an, durch standardisierte Produktionsmodule.

Sie erlauben eine zügige Realisierung von minus CO2 Fabriken in unterschiedlichen Größen und schließen spätere Anpassungen und Erweiterungen gleich mit ein. Ziel ist es, bis 2030 über die minus CO2 Fabriken den Ausstoß klimagefährdender Gase im Gigatonnen-Bereich zu reduzieren.

Carbonauten: Der Impact der Industrie könnte größer sein

Der Impact wäre noch größer, wenn auch die Schlüsselindustrien diese Technologie in ihrer Produktionsprozesse intergieren würden. Die zeigen zwar Interesse, von einer Rezeption kann allerdings noch keine Rede sein. Technische Biokohlenstoffe spielen aktuell weder in der Automobilindustrie noch in der konventionellen Chemieindustrie eine allzu große Rolle.

Mit anderen Worten: Die Industrie-Multis macht es sich in ihrer Blase immer noch zu gemütlich. Dabei muss perspektivisch genau von dort der systematischer Umbau hin zu einer konsequent klimafreundlichen Produktion ausgehen. Und zwar per Technologietransfer, der etwa die minus CO2 Fabriken in die Prozesse der Industrie integriert.

Die Technologie selbst ist dazu bereit. Bis dato beschränkt sich das aktive Engagement allerdings eher auf den Mittelstand. Und trotzdem zeigt dies, dass NET Materials® für die Industrie unverzichtbare Rohstoffe darstellen.

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Über den Autor

Christoph Hausel

Christoph Hausel, studierter Jurist und erfahrener Kommunikationsprofi, ist Co-Owner & Managing Director von ELEMENT C. Zudem steht er zahlreichen Acceleratoren als Mentor und Experte zur Seite: next media accelerator, MediaLab Bayern und Wayra. 2002 gründete er die Kommunikationsagentur ELEMENT C. Damals als reine PR-Agentur konzipiert, fokussiert sich ELEMENT C seit 2005 auf die interdisziplinäre Verknüpfung von PR und Design, um ein langfristiges Markenbewusstsein zu schaffen.