Zu geringe Reichweiten und eine mangelnde Ladeinfrastruktur sind die häufigsten Argumente gegen die Elektromobilität. Zumindest die sogenannte Reichweitenangst gilt mittlerweile als überholt, geistert aber immer noch in vielen Köpfen. Eine aktuelle Analyse zeigt: E-Autofahrer nutzen im Schnitt gerade einmal 23 Prozent ihrer verfügbaren Reichweite.
Hintergrund: Das Schreckgespenst Reichweitenangst
- Die sogenannte Reichweitenangst ist die Angst davor, dass die Reichweite von Elektroautos für viele Fahrten nicht ausreichen könnte oder man mit dem E-Auto liegen bleibt. Sie ist immer noch ein Hauptargument gegen einen Kauf – auch wenn die Realität eine andere Sprache spricht. Mittlerweile haben sich aber präzisere Begriffe wie Ladeangst oder Reichweitenstress etabliert.
- Eine Analyse der E-Autoplattform Reccurent zeigt, dass E-Autofahrer das Reichweiten-Potenzial ihrer Fahrzeuge im Alltag allenfalls ankratzen. Entgegen der Meinung der Autoindustrie sind demnach nicht Reichweiten, sondern die Kosten der Schlüssel zur Popularität von Elektroautos.
- Ein aktueller Praxistest der Dekra zeigt: Die Batterien von vielen Elektroautos halten länger, als von den Herstellern angegeben. Das leitet die Prüforganisation aus mittlerweile 25.000 sogenannten „State-of-Health“-Tests ab, die mit einem hauseigenen Batterie-Schnelltestverfahren durchgeführt wurden.
Einordnung: Reichweite eigentlich kein Problem mehr
Das Schreckgespenst Reichweitenangst spukt immer noch in vielen Köpfen. Dabei ist die Reichweite von modernen Elektroautos meist längst kein Problem oder gar Gegenargument mehr – allenfalls ein mentales.
Zugegeben: Die Ladeinfrastruktur hinkt in einigen Regionen noch hinterher, verbessert sich aber stetig – auch wenn die Batterietechnologie mitunter schnellere Fortschritte macht als die Politik.
Einen Verbrenner kann man wiederum nicht zuhause oder direkt an der Straße „tanken“. Und obwohl E-Autos mittlerweile sogar Langstrecken inklusive Ladestops nahezu selbstständig planen, sprechen zwei mögliche Urlaube im Jahr oft gegen eine Kauf – vermutlich auch, weil sich Irrationalität medial besser verkauft.
Die größte Ladehemmung liegt beim Preis. Nicht etwa bei der Anschaffung, sondern beim Tanken. Denn: Einheitlich regulierte Preise beim Laden – ohne Tarife oder Abonnements – würden die E-Mobilität attraktiver machen und abstrakte Ängste wie die Reichweitenangst abbauen.
Stimmen
- Thomas Franke, Professor für Ingenieurpsychologie, hält die Reichweitenangst mittlerweile für unbegründet: „Unser Verhältnis zum Auto ist nicht rational. Interessant ist, dass die meisten auf die Reichweite blicken. Eigentlich ist die Ladezeit viel spannender. Sowohl Reichweite als auch Ladeleistung steigen kontinuierlich. Dass Leute sich große Autos kaufen, nur, weil sie zwei Mal im Jahr viel zu transportieren haben, zeigt, wie irrational ein Autokauf sein kann.“
- Auch laut Maximilian Fichtner, einer der renommiertesten deutschen Batterieforscher, ist Reichweite kein Argument mehr gegen die Elektromobilität: „Na ja, in China gibt es die ersten Modelle auf dem Markt, die 1.000 Kilometer schaffen mit einer Ladung – und eine Zuladung für 600 bis 700 Kilometer in zehn, zwölf Minuten. Wichtig ist, dass man schnell laden kann, das ist das Entscheidende. Die Verbrenner haben ja auch keine unbegrenzten Reichweiten.“
- Wolfgang Weber, Chef des Verbands der Elektro- und Digitaltechnik, spricht eher von einer Ladeangst: „Mehr als 50 Prozent der Haushalte, die sich die Anschaffung eines Elektroautos nicht vorstellen können, nennen eine unzureichende öffentliche Ladeinfrastruktur als Grund.“ Es brauche nicht nur mehr Ladepunkte und niedrigere Preise für Elektrizität, sondern auch „mehr Kostentransparenz beim Stromtanken“.
Ausblick: Reichweitenangst hat ausgespukt
Das Schreckgespenst Reichweitenangst dürfte in den kommenden Jahren endgültig ausgespukt haben. Denn: Das tatsächliche Problem sind weniger Elektroautos oder deren Batterien, sondern die Köpfe, die noch im Verbrenner-Modus denken.
Mittlerweile nicht mehr die Angst vor der Realität, sondern die Angst vor etwas Neuem. Gleiches gilt für Preis und Umweltbilanz. Denn E-Autos holen auch beim Kaufpreis immer weiter auf.
Bei der Umweltbilanz stellen sie Diesel und Benziner mittlerweile bereits seit zwei Jahren auf den Standstreifen – Batterieproduktion inklusive. Die Ladeangst dürfte hingegen noch etwas länger ein Beifahrer bleiben. Doch je dichter die Infrastruktur wird, desto mehr schrumpft auch dieses Gespenst.
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