Ja, sicher: es gab immer wieder kleine Skandälchen rund um Wikipedia. Da wurden Einträge gelöscht, aufgehübscht, dramatisiert und Diskussionen gesteuert. Doch da immer weniger Menschen die Möglichkeit haben, sich einfach umzudrehen und ins Regal zu greifen, um im guten alten Brockhaus zu blättern, wird die freie Enzyklopädie als verlässliche Informationsquelle immer unentbehrlicher.
Was auf der einen Seite der Segen für Wikipedia ist (das freie Mitmachen) ist auf der anderen auch ihr Fluch (die Anonymität). Das hat nicht erst ein Karlsruher Verfassungsrichter bemerkt, der kürzlich die öffentliche Beschwerde abgab: „Kommerzielle oder anonym auftretende politische Interessengruppen können die scheinbare Anarchie des Netzes für ihre Zwecke geschickt nutzen.“ Dabei hat die deutsche Wikipedia bereits einigen Vorsprung auf dem Gebiet der Nachvollziehbarkeit, schon im vergangenen Jahr wurden verschärfte Richtlinien eingeführt, die nun auch langsam in anderen Ländern Einzug erhalten sollen. Demnach müssen sämtliche Artikel über noch lebende Personen nach Veränderungen zunächst von „erfahrenen freiwilligen Redakteuren“ freigegeben werden, ehe sie veröffentlicht werden können. Damit könnten Vandalismusattacken verhindert werden, wie sie beispielsweise im Januar geschehen sind, als Edward M. Kennedy – acht Monate vor seinem wirklichen Tod – bereits laut Wikipedia verstorben war. Dennoch trifft das Vorgehen der Wikimedia Foundation nicht bei allen Nutzern auf Zustimmung: Von einer Abkehr von der ursprünglichen Idee, von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Web 2.0 ist die Rede. Meine Frage dazu: Ist das schlimm? Ein wenig Kontrolle durch Gewaltenteilung bei der Akkumulation von Wissen kann nicht schaden.
Wie auch immer, Wikipedia plant nun sogar noch einen Schritt weiterzugehen. Dieses Mal will man sich unter anderem auch den Texten widmen, die bereits online sind. Das Wiki Lab an der Universität Kalifornien hat sich dazu Wiki Trust ausgedacht – und das Konzept ist so einfach, wie genial: Bewerten wir doch einfach die Autoren und machen ihre Mitarbeit direkt im Artikel für jeden ersichtlich! Da eine gegenseitige Einstufung von Inhaltslieferanten auf einer Plattform wie Wikipeda allerdings unvermeidlich im Blutrausch enden würde, hat man sich dazu entschlossen, auf den Computer zu setzen. Ein objektiver Bewertungsmaßstab für ein solches Ranking stellt dabei die Dauer dar, in der Texte von anderen unbearbeitet überdauert haben: „Wenn man etwas bei Wikipedia hinzufügt und es hält sich dort sehr lange Zeit, dann hast du einen guten Job gemacht“, so erklärte es ein studentisches Teammitglied Wired. „Wenn der Text sofort rausfliegt, hast du einen schlechten Job gemacht. Der Algorithmus klopft die Versionen sämtlicher Wiki-Artikel ab und ermittelt dadurch den durchschnittlichen Ruf, den die Nutzer durch ihre Arbeit erworben haben. Die Skala reicht von null bis neun, wobei jeder Note ein Farbcode zugeordnet ist. Wenn sich Autoren nun an das Werk machen und Artikel bearbeiten, werden die betreffenden Stellen in dieser Farbe markiert. Sie verblasst mit der Zeit wieder, sofern sie unbearbeitet bleibt. Das Feature soll informieren – nicht nerven, so die Forscher. Außerdem werden auch Autorenneulinge von Wiki Trust ausgenommen, da man sie nicht demotivieren oder gar verschrecken möchte.
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Die Experimente befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium. Wer sich aber dennoch jetzt schon ein eigenes Bild von Wiki Trust machen möchte, muss sich zunächst das gleichnamig Add-on für den Firefox herunterladen, es installieren und dann die englischsprachige Wikipedia besuchen. Oben auf den Seiten ist nun der neue Reiter „Trust Info“ erschienen. Wird darauf geklickt, zieht sich der Rechner die Reputationsdaten von den Unirechnern und vergleich sie mit der Seite. Leider klappt das aber derzeit nur bei einem Bruchteil der Wiki-Einträge.
(André Vatter)