Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, steht Obama in den Staaten derzeit mächtig unter Beschuss. Die geplante Gesundheitsreform fliegt ihm schon jetzt um die Ohren und dass er den megalomanischen Raketenabfangschirm (zunächst Reagans „Star Wars“-Phantasie und dann Bushs Lieblingsprojekt) von der Agenda geschubbst hat, macht ihn in den Augen der konservativen Kräfte des Landes jetzt auch noch zum Russenfreund. Um Gottes Willen!
Doch das Weiße Haus lässt sich nicht entmutigen. Die Gesundheitsreform wird am Ende garantiert einschneidend und schmerzhaft sein, da aber eigentlich jeder weiß, dass sie in Amerika (wo Krankenkassenschutz ein Luxus ist) längst überfällig ist, muss man den Bürgern die kommenden Maßnahmen nur richtig verklickern. So etwas ist aufwändig und vielleicht hin und wieder auch entmutigend. Doch bei gesellschafts-politischen Neuerungen, die von der Regierung ausgehen, reicht es nun mal nicht aus, sich ein, zwei Mal vor eine Kamera zu stellen und zu sagen: „Ja. Das ist die Agenda 2010. Das wird hart. So, ne? Glückauf.“ Ich verspreche euch: Eine solche Partei kann sich zu einer späteren Wahl „Projekt 18“ auf die Fahnen schreiben.
Obwohl die Demokraten in Amerika den Wahlkampf längst hinter sich haben, halten sie das Wählervolk auf Schritt und Tritt über aktuelle Entwicklungen in Washington auf dem Laufenden. Überzeugungs- und vor allem Aufklärungsarbeit leistet die Obama-Administration dabei nirgendwo stärker als im Netz. Als jüngstes Beispiel hat whitehouse.gov heute Nacht eine neue Facebook-App gelauncht, die den beunruhigten Bürgern das Konzept der Gesundheitsreform auf fast spielerische Weise näher bringen soll. In Quizform klicken sich die Nutzer durch 13 Fragen an die Antwort heran, wie die ganz persönlichen Folgen der Reform für sie aussehen könnten: Wie alt bist du? Hast du Kinder? Planst du einen Wechsel des Arbeitgebers in naher Zukunft? Ist jemand in deiner Familie schon einmal ernsthaft erkrankt? Am Ende erhält der Nutzer eine leicht verständliche Beschreibung von dem, was ihn erwarten und wie die Reform Auswirkung auf sein Leben haben wird. Per Knopfdruck landet sie dann auf seinem Profil, gemeinsam mit einem eingebetteten YouTube-Video, das Obamas Kongressrede zu den Vorhaben im Gesundheitssektor zeigt.
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Transparenz und Glaubwürdigkeit. Die Amerikaner verstehen es, mittels des Internet sensationell zeitnah auf aufkeimende Kritik bei Bürgern und Opposition zu reagieren und sich ihr offen zu stellen, anstatt unpopulistische Maßnahmen einfach auszusitzen. Ich bin kein uneingeschränkter Obama-Fan. Und ich weiß auch, dass die US-Politik – anders als die deutsche – über mehr Erfahrung und auch über mehr finanzielle Mittel für derlei Aktionen verfügt: Doch trotz der plumpen Tapser der deutschen Wahlkämpfer im Internet würde ich mir sehr wünschen, dass die Ambitionen auch nach dem 27. September weiter anhalten. Politik findet nicht nur wenige Wochen vor Bundestagswahlen statt, sondern ganze Legislaturperioden lang. Und die Bürger haben auch abseits von 30-minütigen „Sommerinterviews“ mit Spitzenkandidaten ein Recht darauf, jederzeit zu erfahren, was die Demokratie mit ihnen vorhat.
(André Vatter)