Die Apple Watch ist im April diesen Jahres als neues Gerät aus Cupertino angetreten – auch mit dem Versprechen, unsere Beziehung zum Smartphone zu verbessern. Ändert sich mit der Smartwatch aus dem Hause Apple tatsächlich etwas? Eine Bilanz nach vier Wochen Alltagstest aus Sicht eines Digital Natives. // von Sandro Schroeder
How to Watch: Learning by doing
Zugegeben, ich bin kein Fan von Bedienungsanleitungen. Neue Technik will und muss ich erstmal selber erfahren, ausprobieren – und auch mal daran scheitern. Nach einer halben Stunde spielen mit der Watch habe ich das Grundprinzip der Bedienung aber verstanden und verinnerlicht.
Die haptischen Grundfunktionen der Apple Watch: Ein Druck auf die Krone ist sozusagen der Home-Button der Apple Watch, mit einem Dreh der Krone wird je nach Situation entweder gezoomt oder gescrollt. Die Seitentaste öffnet das Kontakte-Drehrad. Hier hätte ich mir eine alternative Funktion gewünscht – beispielsweise per Tastendruck eine bestimmte App öffnen zu können. Mit der Fingerspitze tippt man die Apps auf dem Watch-Display an – ein fester Druck („Force Touch“) öffnet alternative Menüs.
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Um ehrlich zu sein, kann ich die zum Teil heftige Kritik an der Bedienung der Apple Watch nicht nachvollziehen. Denn ehrlich gesagt: So viel intuitiver ist auch meine erste halbe Stunde mit dem iPhone 4 nicht verlaufen.
Push-Benachrichtigungen: Vom Frust zur Freude
Von der ersten Minute an begeistert mich vor allem eine Funktion der Apple Watch: Die Benachrichtigungen über den Tap, über die Vibration am Handgelenk. Das ist subtiler als ein auffällig klingelndes/vibrierendes/leuchtendes Smartphone. Mit der Uhr bekommt niemand sonst meine Nachrichten, E-Mails und Anrufe mit. Und am Muster der Vibration kann ich nebenbei erkennen, um was es sich handelt – und direkt entscheiden, ob und wie ich darauf reagiere.
Mit der Zeit aktiviere ich deswegen immer mehr Push-Benachrichtigungen und füge sie zur Watch hinzu: Für alle E-Mails, für die Apps von Buzzfeed News, Spiegel Online und der New York Times. Dazu vibriert mein Handgelenk bei Tweets von einer handvoll Twitter-Nutzern. Das liest sich wie ein Informations-Overload am Armband, ist aber genau das Gegenteil.
Denn Push-Nachrichten jeglicher Art kommen mir am Handgelenk plötzlich wesentlich sinnvoller vor: Ich muss nicht mein Smartphone in die Hand nehmen, muss keine Taste drücken oder über das Display streichen, um sie zu lesen. Egal ob beim Tastaturtippen am Schreibtisch oder unterwegs beim Laufen oder Radfahren: Kurz das Handgelenk gekippt, Blick auf die Uhr nebenbei, weiter geht’s.
Als Digital Native: Keine Berührungsängste
Nichts Geringeres als „das bisher persönlichste Produkt von Apple“ hat Tim Cook versprochen. Und schon diese Ankündigung hat bei einigen Menschen für „Brauch ich nicht“-Reaktionen gesorgt: Die smarte Uhr ist ihnen zu nah, zu intim.
Wir Digital Natives hingegen kennen solche Berührungsängste und Tabus schon lange nicht mehr. Schon das Smartphone ist unser ständiger Wegbegleiter – aber wir stoßen im Alltag an die Grenzen der Form. Der starre Bildschirm-Klotz, den wir aus der Hosentasche holen und fest in der Hand halten müssen, ist eben nur begrenzt ein Nebenbei-Medium das mit anderen Tätigkeiten harmoniert. Der Smartphone-Klotz passt nicht in jede Situation – und wir nutzen ihn trotzdem.
Genau das ist der Reiz an der Apple Watch: Uns Smartphone-süchtigen Digitalmenschen einen Benachrichtigungskanal an das Handgelenk zu geben, der besser mit dem Alltag harmoniert – ohne das Hauptaugenmerk zu sein. Und genau dabei gibt sie für mich eine ziemlich unauffällige und deswegen so gute Figur ab. Mit der Apple Watch öffne ich einen weiteren Informationskanal, den ich durch die Geräteeinstellungen gut unter Kontrolle habe.
Denn mit der Watch decke ich mein digitales Informationsbedürfnis mühelos nebenbei. Beispielsweise habe ich durch die Tweets auf dem Handgelenk weniger das Gefühl, etwas bei Twitter „verpasst zu haben“. Wenn ich auf eine Nachricht warte, muss ich in Gesprächen nicht bei jedem Leuchten auf mein Smartphone schauen – sondern erkenne an der Vibration, ob es überhaupt eine Nachricht ist.
Nervfaktor: „Zeit aufzustehen!“ und Akkulaufzeit
Trotz meiner neu entdeckten Liebe zu den subtilen Push-Benachrichtigungen: Nach neun Tagen habe ich – völlig entnervt – alle Benachrichtigungen rund um meine Bewegungsaktivitäten ausgeschaltet.
Vielleicht ist Sitzen ja tatsächlich das neue Rauchen. Aber die stündliche Erinnerung der Apple Watch „Zeit aufzustehen!“ ist für meine mentale Ausgeglichenheit ungefähr so nützlich wie eine Schachtel Zigaretten für die Lunge. (Tatsächlich aufgestanden bin ich kein einziges Mal.) Nervig ist auch, wenn mich die Uhr am Samstagabend daran erinnert, dass ich mein Kalorienziel von 500 Kilokalorien verfehlt habe – ungeachtet der drei Stunden Training mit dem Rennrad, Aufzeichnung mit Strava auf der Smartwatch inklusive.
Nach einer Woche haben sich die Lauf- und Ladezeiten der Apple Watch und meines iPhones eingepegelt: Theoretisch würde ich mit einer Akkuladung der Uhr durch zwei Arbeitstage kommen – wenn auch nur knapp. Und das obwohl ich die stärkste Vibration, die höchste Bildschirmhelligkeit und viele Benachrichtigungen nutze. Zeitgleich habe ich beim iPhone am Ende des Tages mehr Akkuladung als sonst übrig, weil ich es im Tagesverlauf seltener nutze – der Momentanverbrauch ist aber durch die Bluetooth-Verbindung definitiv höher. Unter dem Strich muss ich letztendlich beide Gerät jeden Abend laden.
Am Wochenende und Zuhause nutze ich die Watch kaum. Logisch: Das kleine Display, die zumindest auf lange Zeit unbequeme Armhaltung – die Smartwatch ist eben für den kurzen Blick zwischendurch konzipiert, aber nicht für das Nebenbei-Twitter-Surfen auf der heimischen Couch.
Smartwatch statt Smartphone?
Nach knapp über drei Wochen lege ich die Apple Watch immer häufiger ab. Oder besser gesagt: Nicht mehr an. Mir fehlt schlicht die Motivation, sie jeden Abend an das Ladegerät anzuschließen und jeden Morgen wieder neu anzulegen. Zwar hat mich die unsichtbare Benachrichtigung über die Vibration am Handgelenk ungemein begeistert. Aber als reines Benachrichtigungs-Gerät ist mir die Watch dann doch zu aufwendig. Für diese Funktion allein würde mir auch ein vibrierendes Armband ganz ohne Display vollkommen ausreichen.
Endgültig überzeugt bin ich von der Apple Watch aus zwei Gründen nicht: Erstens ist die Uhr nur eine Art Miniatur-Erweiterung des iPhones und kein wirklich eigenständiges Gerät. Dabei bleibt abzuwarten, ob sich das noch mit dem kommenden Watch-Betriebssystem ändert. Zweitens fehlt mir bei den meisten Apps die Idee und die durchdachte Umsetzung für die Smartwatch. Dabei gibt es auch Ausnahmen, wie die Ein-Satz-Stories der New York Times. Oder die App von Spiegel Online. Doch in der Regel fehlt mir einfach der Grund, warum ich eine App auf der Uhr statt auf dem Smartphone nutzen soll.
Fazit: Zeitvertreib mit Zukunft
Die Apple Watch bleibt momentan eher ein netter Zeitvertreib als ein Must-have. Auch als Digital Native und Smartphone-Vielnutzer hat die Watch meinem digitalen Alltag nicht tiefgreifend genug verändert, um ihr treu zu bleiben. Nichtsdestotrotz finde ich die Smartwatch als Gerätegattung spannend. Schon mit einer längeren Akkulaufzeit und mehr Unabhängigkeit vom Smartphone in der Hosentasche könnte ich mir eine Smartwatch als alltäglichen Wegbegleiter vorstellen.
Auf kurz oder lang: Grundsätzlich sehe ich für meine Generation kaum eine Alternative zu einem weiteren smarten Mobilgerät neben dem Smartphone. Denn unser Informationsbedürfnis wird kaum schrumpfen, sondern wachsen. Wir gieren förmlich nach noch mehr Information und Vernetzung, doch die starre Form der Smartphone-Nutzung stößt im Alltag an ihre Grenzen. Es braucht eine Lösung, die das Digitale subtiler in den analogen Alltag integriert. Die Smartwatch scheint mir eine vielversprechende Lösung zu sein.
Auch ein halbes Jahr nach offiziellem Start bleiben die Verkaufszahlen der Apple Watch ein gut gehütetes Geheimnis in Cupertino. Dort wird man ohne Frage weiter am Betriebssystem der Smartwatch arbeiten. Es ist die erste Geräte-Generation und noch zu früh, um die Apple Watch schon komplett abzuschreiben – selbst wenn die Verkaufszahlen mau ausfallen sollten. Ihr Erfolg wird sich nicht nur an den ersten Verkaufszahlen messen – sondern hängt auch davon ab, wie sehr sich die App-Entwickler auf die Smartwatch einstellen werden.
„Schon mit einer längeren Akkulaufzeit und mehr Unabhängigkeit vom Smartphone in der Hosentasche könnte ich mir eine Smartwatch als alltäglichen Wegbegleiter vorstellen.“
„Erstens ist die Uhr nur eine Art Miniatur-Erweiterung des iPhones und kein wirklich eigenständiges Gerät.“
Ernsthafte Frage: Was stellst Du dir unter mehr Unabhängigkeit vor? Möchtest du ein Smartphone am Arm hängen haben? Ich stoße immer wieder auf diese Aussage, und kann es persönlich einfach nicht nachvollziehen. Ich habe das mit den Smartwatches immer so verstanden, dass sie eine Erweiterung, ein zweites Display (und ein zweiter Vibrationsmotor) für das Smartphone in der Hosentasche sein sollen. Wenn mir der Benachrichtungstext nicht ausreicht, dann hole ich doch lieber mein richtiges, vollwertiges Gerät aus der Tasche, statt mit Lupe in der Hand einen ganzen News-Artikel auf der Uhr zu lesen.
Ich besitze eine Pebble Time, und ich finde es wie Du auch super, ein ausgewähltes Spektrum an Benachrichtigungen auf meine Uhr zu bekommen. Dazu noch ein paar nützliche Optionen wie automatische Ruhezeit mit unterschiedlichem Zeitrahmen unter der Woche und am Wochenende, und ein hübsches Watchface, und das ist alles was ich will und brauche. Und mein Nexus 5 vibriert überhaupt nicht mehr, nie.
Zu guter Letzt: Darüber, dass Du mehrfach den Akku erwähnst und er schließlich auch einen wesentlichen Teil dazu beiträgt dass Du die Apple Watch nicht mehr anlegst, musste ich als PT User doch heftig schmunzeln. 🙂
Leute, die sich selbst als „Digital Native“ bezeichnen, schreibe ich ganz subjektiv immer Geltungssucht in Verbund mit Minderwertigkeitskomplexen zu.
Was ich Leuten alles so zuschreibe, die psychologische Urteile über Menschen ins Internet schreiben, die sie nicht kennen…
Ich muss sagen, dass ich mich super schnell an die Vorteile der Apple Warch gewöhnt habe. Vor allem auf Reisen:
– Bahnreservierung, Umsteigezeiten, Gleisnummern und Verspätungen sofort sichtbar
– Der Fußweg zum Hotel wird mir gezeigt (ich muss nicht mal hinschauen, die Vibrationen leiten mich)
– im Zug, Cafe und in Besprechungen werde ich dezent auf Anrufe und Nachrichten hingewiesen.
– Zuhause ist es die AppleTV Fernbedienung
– eben schnell Erinnerungen, Termine etc. per Siri am Handgelenk eintragen
Es gibt noch viel Luft nach oben. Gerade die Performance und Usability mancher Apps ist grottig. Und ja, ein Leben ohne Smartwatch ist möglich – aber sinnlos (frei nach Loriot) …
Es wäre klasse, wenn ihr auch mal einen Pebble Test durchführen könntet. Speziell in Verbindung mit iOS hört man zwar oft, dass die Funktionen nur eingeschränkt sind, wie eingeschränkt genau kann ich persönlich aber immer nur bedingt einschätzen…
Ich nutze die Apple Watch nun auch sein sechs Wochen.
Und möchte sie nicht mehr missen.
Für fast alle Dinge, nutze ich die Watch.
Erinnerungen eintragen (per Siri), Wetter checken (Netatmo), Trainings aufzeichnen, sleeptracker, pulsmesser, Smarthome bedienen (hue, Sonos)
Dabei lade ich die Watch täglich vor dem schlafengehen und mein iPhone 6s alle zwei Tage.
Mein iPhone spielt mehr oder weniger nur noch eine Statistenrolle und wird kaum noch aktiv genutzt.
Interessante Infos, der Artikel liest sich echt gut und bringt die sache auf den Punkt. Für alle die sich immer noch fragen ob und war man eine apple watch braucht;)
Ich beschäftige mich hauptsächlich mit dem Thema Apple Watch Armband und wie Ihr Euren Style damit aufpimpen könnt:) Bei interesse einfach mal bei http://www.applwatch-armband-test.de vorbeischauen und linken!
VG Mark
Alles was hier gelesen habe, besonders die „pro“ Argumente, lassen immer nur eine Frage zu: Warum ist die Benachrichtigung (auch mein Grund für eine smartere Watch als nur einen Tracker) erst mit der Apple Watch ein Thema für so viele? Alle Smartwatches und smarten Fitnessbänder können das schon ewig. Selbst die 20$ Uhren aus China. Und nein, es funktioniert keinen deut besser bei der Apple Watch, dafür haben andere Modelle andere sehr sinnvolle Eigenschaften. Eine Pebble das e-ink Display, eine Sony das transreflektive Display (unschlagbar bei Sonnenlicht und immer an) eine Gear S die Simkarte, eine Gear Fit die m. E.n. beste Kombi aus Fitnesstracker und Smartwach, eine Withthings das analoge Zifferblatt und die Vibrationen, eine Alcatel den eigenen USB Stecker im Armband, die Huawei mit völlig spacigem Gehäuse Lautsprecher, zig Chinateile mit Simkarte, Speicherkarten slot, HR, Sauerstoff Messung für ganz kleines Geld, das Microsoft Band mit gefühlt einer Million Sensoren (der m.E.n. absolut beste Fitness und Healthtracker)
Eines scheint aber relativ klar zu sein, die erhältlichen Apps sind durch die Bank weg bei allen Systemen Über bewertet. Keiner Nutzt die. Installieren, rumspielen noe wieder nutzen. Nachrichten anzeigen, das wird genutzt. Und dafür braucht man keine Million Apps… Es seine denn, man nutzt so eine Smartwatch wie ein Feature Phone. Telefonieren, Whatsapp, Mail lesen, kurz Antworten, das können nur ein paar Chinesen. Wobei… die können meist nur die chinesischen social media Sachen und ne Gear S braucht für ein paar Sachen leider auch ein Smartphone…
Trotzdem die Frage, warum es eine Apple Watch brauchte? Ich behaupte einfach mal, dass eine Große Menge „User“ mit Scheuklappen durch die Technik Welt schreitet, für die einen existieren nur Dinge die ein Apfellogo tragen, für Andere nur wenn es von Mega- werbe- Budgets begleitet wird ala Samsung & Co.
[…] also nicht auch für mich und meine Jobsuche? Ihr seht schon, ich gehöre definitiv nicht zu den Digital Natives und war damals auch nicht unbedingt technikaffin (ich habe mit 15 Jahren zum ersten Mal einen PC […]
[…] am 24. April 2015, ging die erste Generation der Apple Watch – auch wir haben damals das neue Gadget getestet – in den offiziellen […]