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In Schweden nutzen Fahrgäste Implantate statt Fahrkarten

geschrieben von Marinela Potor

Implantate unter der Haut statt Fahrkarten. Auf diese Technologie setzt seit Kurzem die schwedische Bahngesellschaft SJ. Bisher haben rund 200 Fahrgäste sich die Chip-Implantate unter die Haut stechen lassen.

„Nach ein paar Sekunden war alles vorbei. Das Stechen an sich tat nicht weh, nur das Zusammendrücken der Haut an der Hand war unangenehm.“ Lina Edström ist eine von rund 200 Trägern einer neuen Art von Fahrkarte: Dem Chip-Implantat der schwedischen Bahngesellschaft SJ. Als Sprecherin des Transportunternehmens gehörte sie zu den allerersten Trägern der Implantat-Fahrkarte.

„Implantate sind ganz natürlich“

Dabei wird ein kleiner etwa reiskorngroßer Chip (Maße: 2 mm x 12 mm) mit einer Nadel unter die Haut gestochen. „Das dauert bei mir weniger als eine Sekunde und ist nur halb so schmerzvoll wie ein normales Piercing“, sagt Jowan Österlund, Gründer von Biohax zu Mobility Mag. Der ehemalige Piercer gehört aktuell zu den beliebtesten Implantat-Stechern weltweit und sein Unternehmen übernimmt auch die Fahrkartenpiercings für SJ.

Die futuristisch anmutende Technologie wird schon seit einer Weile in Schweden genutzt. Dabei gehen Nutzer dazu über, Plastikkarten mit Chipimplantaten auszutauschen. Die Plastikkarten, die wir zum Beispiel als Mitgliedskarten kennen, werden mit NFC-Technologie (Near Field Commmunication) betrieben. Das heißt, innerhalb der Karte ist ein Chip integriert, der bestimmte Informationen wie einen Gebäudecode oder eine Kundennummer enthält. Diese wiederum kann auf geringe Entfernung von einem Scanner gelesen werden. Diese Technologie ist auch in Deutschland, wie überall auf der Welt, sehr verbreitet. Es gibt Karten mit NFC-Chips fürs Fitnesstudio, für den Eingang ins Gebäude, oder eben für Fahrkarten.

Das Implantieren dieser Chips ist nur der nächste logische Schritt, findet Jowan Österlund. Im Prinzip wird dabei der NFC-Chip der Karten unter die Haut gestochen. Per Smartphone (aktuell fast ausschließlich Android) wird dann die gewünschte Information wie Gebäudecode oder Kundennummer für die Bahn über spezielle Apps auf den Chip übertragen.

Anstatt also unzählige Plastikkarten mitschleppen zu müssen, haben Nutzer so ihre Informationen stets bei sich, direkt unter der Haut. Während so manch einer allein die Idee etwas gruselig finden mag, sind Implantat-Anhänger wie Jowan Österlund von der Cyborgtechnologie begeistert. Er geht sogar so weit, die Implantate als „ganz natürlich“ zu sehen. „Das Implantat bietet einem so viele Vorteile! Erstens spart man so beim Lesen der Informationen wirklich viel Zeit und damit letzten Endes auch Geld. Und es entsteht auch kein Plastikmüll mehr.“

Technologie noch mit Startschwierigkeiten

Seit Juni 2017 ist die neue Technologie nun auch in den Zügen von SJ verfügbar, allerdings derzeit nur für registrierte SJ-Mitglieder. „Wir sind momentan noch in der Betaphase“, erklärt Lina Edström gegenüber Mobility Mag, „das Lesen der Fahrkartenimplantate funktioniert noch nicht ganz so reibungslos wie wir uns das vorstellen. Aber wie bei jeder neuen Technologie, ist das Teil des Prozesses“. So wurden beispielsweise beim Lesen der Tickets nicht die Mitgliedsnummer der Passagiere sichtbar, sondern deren LinkedIn-Profile. Startschwierigkeiten, die SJ recht gelassen zu sehen scheint.

Betaphase, Fehler ausbügeln – Edström redet so wie man es von jungen Start-ups gewohnt ist. Dabei ist SJ, ein privater Konzern im staatlichen Besitz, Schwedens größtes Bahnunternehmen. Doch SJ zählt auch zu den zehn innovativsten digitalen Unternehmens des Landes. Die Mitarbeiter sitzen nicht umsonst im Epicenter, einer Mischung aus Innovationshub und Coworking-Space.

Epicenter-Mitarbeiter nutzen schon seit mehreren Monaten die Chip-Implantate. So lag es für SJ ebenfalls nahe, die Technologie einzuführen. „Wir fanden die Idee von Anfang an klasse“, sagt Lina Edström, „nur dachten wir, dass es bei einem so großen Unternehmen wie SJ ein langer Prozess sein würde.“ Doch offensichtlich passieren Innovationen bei SJ im Start-up-Rhythmus. Drei Monate nachdem das Unternehmen die Idee aufgriff, fuhren schon die ersten Passagiere mit den Chips.“

Datenschutz ist kein Problem

In Schweden scheinen Verbraucher wenig Berührungsängste mit der Cyborgtechnologie zu haben. Auch wenn die Implantate derzeit nur eine weitere Option sind und Fahrgäste weiterhin ihre elektronischen Fahrkarten nutzen können, haben viele die Neuerung angenommen.

Sowohl SJ als auch Biohax versichern zudem, dass die Fahrkartenimplantate keine empfindlichen Daten enthalten. „Das einzige was auf den implantierten Chips von SJ zu lesen ist, ist eine Mitgliedsnummer. Selbst wenn jemand diese hacken sollte, kann man ohne unsere hauseigene Datenserver und Lesegeräte nichts damit anfangen“, sagt Lina Edström. Sie glaubt außerdem, dass wir auf unseren Smartphones viel mehr empfindliche Informationen preisgeben als auf den NFC-Chips.

„Die Chips enthalten nur die Informationen, die man drauf packt“, sagt auch Jowan Österlund. „Die wenigsten von uns werden dort ihre Geheimzahl für die Kreditkarte eingeben. Es ist außerdem recht kompliziert die Implantate zu hacken. Dazu müsste jemand für sehr lange Zeit sehr still halten und man bräuchte sehr ausgeklügelte Technologien. Wer sich all diese Mühe macht, um ein Implantat zu hacken, muss schon sehr extrem sein. Denn es ist viel einfacher übers Internet vom Computer aus an die gleiche Information zu kommen.“

Chip-Implantate bald auch bei der DB?

Ob SJ die Technologie auch über die Testphase hinaus einsetzen möchte, sei noch offen, sagt Lina Eström. „Wir wollen erstmal schauen, wie die Implantate funktionieren. Es ist auch gut möglich, dass wir uns nach dem Trial gegen die Technologie entscheiden.“

In Deutschland gibt es solche Chip-Implantate derzeit nicht. Noch nicht, muss man dazu sagen. Denn Jowan Osterlünd verrät, dass er seine Technologie schon in den Verwaltungen verschiedener deutscher Großstädte vorgestellt hat. Brancheninsider vermuten zudem, dass auch die Deutsche Bahn überlegt, die Implantate als Ticketersatz einzuführen. Osterlünd ist sicher, dass sich die Technologie auch hierzulande durchsetzen wird: „Es ist keine Frage, ob die Implantate auch in Deutschland eingeführt werden, sondern wann. Wer wird der erste große Player in Deutschland sein, der sich traut?“

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Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.

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