Die Bundesregierung will und muss auf Druck der EU die Emissionen in deutschen Städten senken. So verfassten Umweltministerin Barbara Hendricks, Landwirtschaftsminister Christian Schmidt und Kanzleramtschef Peter Altmaier einen gemeinsamen Brief an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella. Insgesamt sieben Lösungen für weniger Autos in Städten schlugen sie darin vor. Eine davon: Kostenloser ÖPNV. Was erstmal gut klingt, ist bei genauer Betrachtung völliger Schwachsinn. Ein Kommentar.
Der Vorschlag zum kostenlosen ÖPNV gegen die Luftverschmutzung in Innenstädten ist natürlich erstmal nur eine Idee. Ohne Machbarkeitsstudien. Ohne Vergleichsanalysen. Ohne Finanzierungsplan. Deswegen lässt sich ja auch so trefflich darüber diskutieren. Doch bevor wir alle schon jetzt über die Umsetzung und die (Un-)Bezahlbarkeit sprechen, sollten wir erstmal eine wichtige Frage klären:
Führt kostenloser ÖPNV wirklich dazu, dass weniger Menschen Auto fahren?
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Meine klare Antwort darauf ist: Nein, überhaupt nicht. Wir wollen bessere Luft in Innenstädten? Weniger Staus? Effizienteren Transport? Dann ist kostenloser öffentlicher Transport genau der falsche Weg.
Kostenloser ÖPNV, weniger Luftverschmutzung? Falsch!
Schauen wir dazu zunächst auf die Theorie hinter dem Vorschlag. Öffentliche Transportmittel sind zunächst einmal nachweislich umweltfreundlicher als Privatautos. Im Vergleich zu PKWs verbrauchen die Öffis 5,3 Milliarden Liter weniger Sprit und blasen 1,4 Millionen Tonnen weniger CO2 in die Atmosphäre. Hinzu kommt, dass viele Autos auch zu vielen Verstopfungen auf unseren Straßen führen. Je langsamer der Verkehr fließt, desto mehr Emissionen entstehen – vom ineffizienten Transport mal ganz abgesehen.
So klingt es also ganz logisch, wenn die Befürworter der Idee vorrechnen: ÖPNV zum Nulltarif sorgt für mehr Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und damit für weniger Autos auf den Straßen und das ergibt: weniger Staus und weniger Luftverschmutzung.
Nur, diese Rechnung, so schön sie auch klingt, geht nicht ganz auf.
Um das zu verstehen, hilft ein Blick in die estnische Hauptstadt Tallinn. Hier sind die öffentlichen Verkehrsmittel seit 2013 gratis. Tallinn war damit die erste europäische Hauptstadt, die das Modell Gratis-Öffis für Bewohner einführte. Am Beispiel von Tallinn können wir also direkt erkennen, ob all die schönen Prognosen zum freien öffentlichen Transport wirklich stimmen.
Fallbeispiel Tallinn
Oded Cats, Professor an der Delft University of Technology in den Niederlanden hat den Fall untersucht. Nach seinen Berechnungen ist die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel um 14% gestiegen. Nur: Es waren nicht Autofahrer, die auf einmal Bus fuhren. Es waren vielmehr Fußgänger, die nun Strecken, die sie bis dato gelaufen waren, aus Bequemlichkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegten. Und es waren Menschen, die vorher ebenfalls schon den ÖPNV genutzt hatten und nun aufgrund des Gratis-Angebots einfach öfter mit Bus und Bahn unterwegs waren. Also eigentlich genau das Gegenteil von dem was man erreichen wollte.
Auch Autofahrer ließen ihre PKWs nicht in der Garage stehen, ganz im Gegenteil. Die durchschnittliche Anzahl der Autofahrten stieg sogar um 31% seit der Einführung des Gratis-Transportes.
Weniger Autos, weniger Emissionen, weniger Staus? Fehlanzeige!
Warum?
Preis nur ein Faktor von vielen
Weil der Preis nur ein Faktor von vielen ist, warum Menschen öffentliche Transportmittel nutzen. Das kann jeder mal für sich selbst nachvollziehen. Wenn der Bus nur alle 30 Minuten vorbeikommt, ihr auch noch 20 Minuten zur Haltestelle laufen müsst, und dann eine halbe Stunde länger bis zum Ziel braucht als mit dem eigenen Auto – wie oft fahrt ihr dann wirklich Bus? Spätestens wenn es dazu noch kalt und nass ist, werden viele trotz Gratis-Angebot dennoch lieber im eigenen PKW fahren.
Deswegen sage ich: ÖPNV muss nicht gratis sein, er muss erstmal BESSER werden.
Wir brauchen mehr Busse, mehr Haltestellen, höhere Taktzeiten, damit Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel wirklich nutzen und ihr Auto stehen lassen. Wir müssen auch über den klassischen ÖPNV hinausdenken. Radwege gehören für mich zu einem besseren Transportsystem, genauso wie Ridesharing-Angebote oder Carsharing.
Gleichzeitig muss es SCHWIERIGER werden, mit dem Auto zu fahren. Das kann zum Beispiel über erhöhte Parkgebühren, Staugebühren (wer zu Stoßzeiten fährt, muss zahlen) oder über höhere Spritpreise geregelt werden, wie es etwa Oded Cats vorschlägt. Wenn es zum Beispiel so kompliziert und teuer ist in der Innenstadt zu parken wie in den Niederlanden, überlege ich mir dreimal, ob ich nicht doch lieber mit der S-Bahn ins Zentrum fahre. Du willst dennoch lieber allein im Auto fahren? Kein Problem, dann solltest du diese Wahl aber auch schmerzlich spüren.
Ich glaube nämlich auch, dass Menschen wirklich nur dann vom eigenen Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, wenn Autofahren unbequemer und öffentlicher Transport gleichzeitig qualitativ besser wird.
Deswegen: All das Geld, das für den kostenlosen ÖPNV angedacht ist, ist meiner Meinung nach besser in den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, in Elektromobilität, in Ridesharing-Angebote und in Radwege investiert.
Warum aber nicht beides, guter ÖPNV und kostenloser ÖPNV?
Weil das höchstens in kleinen Gemeinden funktionieren kann. In einer größeren Stadt sehe ich dafür schwarz. So musste die belgische Stadt Hasselt zum Beispiel ihren Versuch eines Gratis-ÖPNVs abbrechen, weil es finanziell nicht mehr tragbar war. Und auch in Tallinn wird das Gratis-Projekt eigentlich über Steuergelder finanziert.
Doch das ist für mich erst die zweite Frage. Nur wenn wir es tatsächlich hinbekommen, die Qualität im öffentlichen Transport deutlich zu verbessern, könnte man ANFANGEN, sich über kostenlosen ÖPNV zu unterhalten – und das ist bisher leider noch ein großes Wenn.
Jetzt bin ich aber gespannt: Wie seht ihr das?
[…] Damit meine ich, dass man gewisse Dinge schwieriger, andere leichter macht, um so ein bestimmtes Verhalten zu fördern. Also: öffentliche Parkplätze kostenpflichtig machen und dafür Carsharing-Stellplätze einrichten sowie den ÖPNV stärken. […]
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