Das Medienecho war groß, obwohl sehr wenig gesagt wurde. Fest steht nur vorerst die Entscheidung des FC Bayern München gegen eine eSports-Aktivität. Warum ist diese Entscheidung verständlich? Und warum sorgt sie trotzdem für Bauchschmerzen?
„Wir analysieren derzeit den Bereich eSport sehr genau“, hatte Bayerns Digitalchef Stefan Mennerich noch Ende September verkündet. Etwa neun Monate später hat sich das Thema offenbar erledigt. Laut BILD sperrt sich der Klub gegen das Thema Gaming, da es angeblich „nicht mit der Philosophie und Tradition des Vereins zusammenpasst.“ Zitiert wurde in diesem Rahmen Klub-Präsident Uli Hoeneß.
Interessant: Die eSports-Gedankenspiele waren offenbar weit fortgeschritten. Zur Verfügung standen rund fünf Millionen Euro Budget für neue Star-Spieler sowie Räumlichkeiten im neuen Nachwuchsleistungszentrum des Vereins.
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Das Medienecho war tendenziell negativ. Details zur Entscheidung sind nicht bekannt. Versuchen wir uns in die Lage der Entscheidungsträger zu versetzen: Was spricht für, was spricht gegen die Entscheidung?
Was geben eSports für Fußball-Klubs her?
Generell müssen sich professionelle Fußball-Klubs überlegen, wie sie sich unabhängiger vom sportlichen Erfolg machen können. Der FC Bayern kann zwar nationale sportliche Erfolge relativ sicher einplanen. Will er, speziell im internationalen Vergleich, weiter wachsen, müssen alternative Erlösquellen her. Viel diskutiert: eSports-Aktivitäten.
Und die Chancen wirken riesig. Beinahe täglich werden Sportinteressierte mit spannenden Zahlen aus der Gaming-Szene konfrontiert. Der Blick auf die globale Umwelt ist vielversprechend. Die Basis an Gamern ist gigantisch. Aktiv und passiv investiert eine spannende, junge Zielgruppe extrem viel Zeit mit Gaming bzw. eSports. Publisher, Konsolen-Hersteller und Streaming-Plattformen tun alles, um den Markt voranzutreiben.
Speziell im Bereich Sponsoring entstehen relevante Erlöspotenziale. Nicht einmal die Debatte, ob wir über einen „richtigen Sport“ reden oder nicht, fällt so richtig schwer ins Gewicht. Denn am Ende geht es um konkurrierende Entertainment-Formate und die Aufmerksamkeit relevanter Zielgruppen.
Warum ist die Absage verständlich?
Die Rolle von Fußball-Klubs im eSports-Ökosystem
Was spricht also dagegen? Das Ökosystem eSports ist deutlich komplexer als wir denken. Die Rolle eines Fußball-Klubs, auch des FC Bayern München, ist eine völlig andere als wir sie klassisch kennen. Fans und Marktteilnehmer sind nicht von Bayern, Barça und ManU abhängig, damit sie ihre Leidenschaft ausleben können oder ihr Ökosystem funktioniert. Auf die Fußball-Klubs hat niemand wirklich gewartet.
Speziell die Marktmacht der großen Publisher ist gigantisch. Während der FC Bayern in Organisationen wie der DFL oder der UEFA maßgeblich mitreden darf, wäre dies mit Branchen-Größen wie Riot Games nicht möglich. In geschlossenen System (z.B. League of Legends) ist die Marktposition vergleichsweise unattraktiv. Offene eSports-Systeme sind für Fußball-Klubs vergleichsweise fragmentiert und intransparent, dafür oft mit extrem hohen Preisgeldern verbunden (z.B. Fortnite, Dota 2).
Fußball-Titel wie FIFA oder PES liegen nahe und im Hinblick auf Marke und Fans risikoarm. Klubs wie der HSV oder Borussia Mönchengladbach haben sich damit vorsichtig an das Thema eSports heran getastet. Gleichzeitig versprechen sie derzeit noch keine relevanten Umsätze.
Spannend sind längerfristig angelegte Projekte, wie die des VfL Wolfsburg oder Hertha BSC. Wolfsburg sieht Fußball als Ganzes, also Männer-, Frauenfußball und auch Fußball in Form eines Videospiels. Hertha BSC setzt vor allem auf seine Nachwuchsakademie. Der 1. FC Köln setzt in der Gaming-Hochburg Köln auf Kooperationen, etwa mit SK Gaming.
Viele Klubs profitieren von ihrem bewährten Vermarktungs-Netzwerk. Viele Sponsoren interessieren sich für das Thema eSports. Die Zusammenarbeit mit einem Klub als Partner liegt nahe.
Taugen Schalke & PSG als eSports-Vorbilder?
Klubs wie Schalke 04 oder Paris Saint-Germain denken schon längst größer. Die „Knappen“ meisterten speziell mit LoL Höhen und Tiefen. Jetzt muss sich der Klub entscheiden, ob ihm die Teilnahme am europäischen Franchise EU LCS fast 10 Millionen Euro wert ist.
Während die meisten Investitionen auf qualitative Marketingmaßnahmen einzahlen, würde hier glatt ein neues Geschäftsmodell entstehen. PSG zog sich nach anfänglicher Euphorie kostenbedingt aus LoL zurück, entschied sich zuletzt aber für ein Engagement in Dota 2. Weitere Aktivitäten: Rocket League und FIFA.
Der deutsche Rekordmeister wäre mit einer Aktivität vergleichsweise spät dran. Die Verpflichtung von zwei FIFA-Spielern für die nächste „Virtuelle Bundesliga“ wäre deutlich zu defensiv. Und etwas Budget ist ja offenbar vorhanden. Von 5 Millionen Euro ist die Rede. Ein Ansatz à la Wolfsburg und Schalke, vermutlich sogar in größerem Stil, wäre denkbar. Gleichzeitig hätte eine Lösung sehr individuell und nachhaltig angelegt sein müssen.
Verfolgte der Klub mit eSports quantitative Marketingziele, hätte er sich für einen oder mehrere Sport-ferne Titel entscheiden müssen. Zur Diskussion standen wohl die Mehrspieler-Titel wie die genannten Dota 2, LoL und Newcomer Fortnite.
Mit den Kernaktivitäten eines Fußballvereins hat das wenig zu tun, abgesehen davon, dass in Teams gespielt wird. Gleichzeitig sind die Erlöspotenziale eher mittelfristig attraktiv. Wer gleichzeitig den Markt und die eigene Position eher unattraktiv einschätzt, vermeidet besser etwaige Fehlinvestitionen.
Warum ist die Absage unverständlich?
Sachliche oder emotionale Entscheidung gegen eSports?
Es ist davon auszugehen, dass sehr kluge Köpfe beim Rekordmeister die Chancen und Risiken im eSports-Markt detailliert analysiert haben. Hoffentlich! Denn die Art und Weise der Bekanntmachung muss zukunftsorientierten Sportbusiness-Enthusiasten Sorgen bereiten.
Während eine begründete Absage von Digitalchef Stefan Mennerich äußerst spannend gewesen wäre, hinterlässt das Statement von Präsident Uli Hoeneß einen sehr faden Beigeschmack. Über dessen Verdienste an der Entwicklung des Klubs müssen wir hier nicht diskutieren. Sicherlich ist es legitim und wichtig, dass es auch in modernen Fußball-Unternehmen ein traditionelles Gegengewicht zu möglichen Innovationen gibt.
Aber: Ohne weitere Erklärung des Klubs wirkt das Statement, überspitzt formuliert, wie eine Bierzelt-Parole. „Ich finde das komplett scheiße“, lästerte bereits BVB-Geschäftsführer Watzke. Für DFB-Boss Grindel sind eSports „absolute Verarmung“. Letzterer versucht sich noch mit einem Urteil pro „eSoccer“ zu korrigieren. Dennoch: „Hierarchie beats Expertise“, würden böse Zungen behaupten.
Es gibt viele gute Gründe, sich für oder gegen ein eSports-Engagement zu entscheiden. Dass aber offenbar „Experten“ wie Hoeneß oder Grindel solche Themen final entscheiden dürfen, macht mir etwas Bauchschmerzen.
— Philipp B. Ostsieker (@PhOstsieker) 23. Juni 2018
Gleichzeitig muss sich der Klub überlegen, ob die klassische Ausrichtung auch in 10 bis 15 Jahren genügt, um genügend junge Menschen anzusprechen. eSports sind nicht die eine Lösung, aber sicherlich ein spannender Weg.
FC Bayern: Tradition versus Moderne
Generell hatte der FC Bayern für Außenstehende zuletzt zwei Gesichter. Es gibt den modernen Fußball-Klub, der mit durchdachtem Ansatz in China aktiv ist oder mit über 200 Externen die FC Bayern HackDays umsetzt. Es gibt aber auch den Klub, bei dem speziell seit der Rückkehr von Uli Hoeneß lieber alles so bleiben soll wie es früher war.
Als Parade-Beispiel im sportlichen Bereich gilt die geplatzte Einigung mit dem kritischen und potenziell zu mächtigen Philipp Lahm. Verpflichtet wurde mit Hasan Salihamidžić ein Neuling, der sicherlich für Fleiß und Identifikation steht, aber nicht für den FC Bayern der Zukunft.
Zugegeben, „unverständlich“ oder „falsch“ mögen unfaire Begriffe sein. Denn „Mia san mia“ ist im eSport sicherlich weniger realistisch als im Basketball oder Eishockey. Das Urteil ist aber wenigstens „schade“. Das hat speziell mit dem Überbringer der Botschaft und der oberflächlichen Argumentation zu tun.
FC Bayern eSports: Das Fazit
Der FC Bayern wird auch künftig keine Meisterschaft weniger gewinnen, weil er nicht auf eSports setzt. Selbstverständlich kann jeder Klub zu einem Urteil kommen, das sich gegen ein Engagement ausspricht. Das gilt für die Bewertung jeder erdenklichen Innovation, die nicht auf den Fußball „auf’m Platz“ einzahlt.
Neben vielen Chancen existieren Risiken, die Klub-Manager ernst nehmen sollten. Gleichzeitig gilt: Wer die eSports-Szene nicht ernst nimmt oder nicht davon überzeugt ist, etwaige Rückschläge in Kauf zu nehmen, sollte sein Glück woanders suchen. Schalke & Co. haben sich auf unbekanntes Terrain begeben, aber ihre Aktivitäten bislang sehr konsequent weiterentwickelt.
Sowohl für das Sportbusiness als auch für den eSport hätte dieser Case ein sehr spannender werden können. Der FC Bayern wird andere Wege für neue Geschäftsmodelle finden. Spannend zu beobachten ist die Reaktion der Sponsoring-Partner. Die Deutsche Telekom etwa unterstützt das Team SK Gaming. SAP arbeitet mit Team Liquid zusammen.
Ob die Klub-Bosse ihre Meinung noch einmal ändern? Gibt der FC Bayern eSports doch noch eine Chance? Was meint ihr?