Wirtschaft

Start-up-Check! In Ovo rettet Kükenleben mit Bio-Tech

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In Ovo setzt sich mit Bio-Tech gegen das unnötige Töten von Küken ein. (Foto: Pixabay.com / onefox)
geschrieben von Christoph Hausel

In der Serie „Start-up-Check!“ nehmen wir regelmäßig die Geschäftsmodelle von Start-ups unter die Lupe. Wer steckt hinter dem Unternehmen? Was macht das Start-up so besonders und was gibt es zu kritisieren? Heute: In Ovo.

Start-ups. Das klingt nach Erfindergeist, Zukunftstechnologien, neuen Märkten. Doch in der Realität erweisen sich viele der Neugründungen leider oft als eine Mischung aus einer E-Commerce-Idee, planlosen Gründern und wackeligen Zukunftsaussichten.

Dabei gibt es sie durchaus: Die Vordenker, die an den großen Problemen tüfteln und Geschäftsmodelle revolutionieren. Diese zu finden und vorzustellen, ist die Aufgabe des Formats Start-up-Check. Heute: In Ovo aus Leiden in den Niederlanden.


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Wer steckt hinter In Ovo?

Das Bio-Tech-Start-up In Ovo kommt aus der niederländischen Stadt Leiden und ist eine Ausgründung der dortigen Universität.

Die beiden Gründer und Managing Directors Wouter Bruins und Wil Stutterheim begannen ihre Arbeit an dem Projekt hinter dem Start-up im Jahr 2011. Am Institut für Biologie entwickelten sie ihr Verfahren zur frühen Geschlechtsbestimmung bei befruchteten Hühnereiern.

Als das Uniprojekt immer mehr reifte, gründeten die Founder In Ovo 2013 aus. Die Universität Leiden ist weiterhin beteiligt. In Ovo arbeitet eng mit dem Leiden Academic Centre for Drug Research (LACDR) der Hochschule zusammen.

Außerdem hat die Universität auch in der neuesten Finanzierungsrunde investiert, die dem Start-up ein Investment in Millionenhöhe einbrachte.

Ebenfalls bei der Runde dabei: Der deutsche Chemiekonzern Evonik über seine Venture-Capital-Tochter Evonik Venture Capital GmbH, der Venture-Fonds Visvires New Protein aus Singapur und die niederländische Rabobank.

In Ovo ist noch nicht marktreif. Mit den Mitteln aus der neuesten Finanzierungsrunde soll die Technologie vor allem für den massenhaften Einsatz in der Geflügelindustrie weiterentwickelt werden. Die Markteinführung ist für 2020 anvisiert.

In Ovo hat auch schon mehrere Preise abgeräumt. So gehört das Unternehmen zum Beispiel seit 2017 zu den EU-Top-50 Start-ups.

Was macht In Ovo?

In Ovo überprüft das Geschlecht befruchteter Hühnereier in einem sehr frühen Brutstadium. Dafür wird einem Ei über eine Spritze eine Probe entnommen und auf einen bestimmten Biomarker – ein bestimmtes Molekül – hin im Massenspektrometer untersucht.

Das Molekül zeigt an, ob in dem Ei ein männliches oder weibliches Küken heranwächst. Das Ganze soll nur eine Sekunde dauern, zu 95 Prozent genau sein und den Einsatz in großen Brutbetrieben erlauben.

Durch die Geschlechtsbestimmung vor dem Schlüpfen, das sogenannte Sexen, löst In Ovo ein großes Problem in der Eierindustrie. Pro Jahr werden alleine in Deutschland rund 50 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet. Weltweit sind es sogar 3,2 Milliarden.

Die Tiere aus diesen Zuchtlinien werden speziell dafür gezüchtet, um Eier zu legen. Die weiblichen Küken werden daher zu Legehennen. Da die männlichen wegen ihrer Zuchtform nicht schnell genug Fleisch ansetzen, eignen sie sich auch nicht zur Fleischproduktion.

Für die Betriebe löst In Ovo ein Effizienzproblem. Hühner brauchen 21 Tage bis zum Schlüpfen. In Ovo bestimmt das Geschlecht schon am neunten Tag fast 100-prozentig sicher. In Ovo spart den Betrieben also 12 Bruttage und damit Kosten.

Außerdem können die so früh aussortieren Eier auch anders als die Küken besser weiterverwertet werden. Die getöteten Küken werden in Deutschland zwar teilweise als Tierfutter verwendet. Doch viele werden einfach entsorgt.

Eine Verwertung der Eier in der Tierfutterproduktion ist einfacher möglich, weil hier kein zerteiltes Fleisch verfüttert wird, sondern das Eiweiß aus dem Ei verarbeitet wird.

Das erklärt auch den Einstieg von Evonik. Der Konzern hat bereits erklärt, dass das Investment strategisch ist und im Zusammenhang mit dem Tierfuttergeschäft stehe.

Ein weiteres Effizienzplus: Das Sexen ist bisher sehr zeitintensiv, weil ein geschulter Mitarbeiter jedes Küken einzeln betrachten muss. In Ovo macht das automatisiert.

Was macht In Ovo so besonders?

In jedem Land, in dem Tierschutz eine Rolle spielt, ist der derzeitige Zustand im Grunde unerträglich. Die männlichen Küken werden milliardenfach vergast und in vielen Betrieben sogar geschreddert.

Wie schwierig die rechtliche Behandlung des Themas ist, zeigt die Debatte in Deutschland. Es gab tatsächlich bereits Vorstöße zum Tötungsverbot aus wirtschaftlichen Gründen. In Deutschland hat sich das Land Nordrhein-Westfalen dabei hervorgetan.

Der Gesetzesantrag schaffte es sogar durch den Bundesrat, scheiterte aber im März 2016 im Bundestag. Die Argumentation der Verbotsgegner lautet verkürzt, dass die effiziente Ernährung der Bevölkerung ein hinreichender Grund sei für die Praxis.

Egal, wie man dazu steht: Dieser Weg, um die Küken zu retten, ist versperrt. Und hier kommt In Ovo ins Spiel.

In Ovo bietet eine Alternative zum Kükenschreddern, die laut eigener Aussage effizient für die Betriebe sein soll, weil keine unnötige Brutzeit anfällt und die Eier besser verwertet werden können – und das, ohne dass Tiere leiden.

Der Lösungsansatz von In Ovo hat vor allem deswegen so gute Chancen, weil es nicht nur die Betriebe an Bord holt. Auch die Politik spricht sich bereits für solche Lösungen aus.

In Deutschland unterstützt und fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine ähnliche Methode. Das Unternehmen Seleggt schneidet per Laser ein Loch in die Eihülle, ansonsten läuft der Test relativ ähnlich ab wie bei In Ovo.

Die Konkurrenzsituation unterstreicht vor allem, dass hier scheinbar ein echter Konsens gefunden wurde, der vielfältige Interessen berücksichtigt. Im Grunde beobachten wir gerade ein Wettrennen, welche Lösung sich durchsetzen wird. Auch Kanada schickt mit Hypereye ein Verfahren zum automatisierten Sexen im Ei ins Rennen.

In Ovo setzt sich zumindest teilweise ab, indem es über die Geschlechtsbestimmung hinaus weitere Lösungen für die Eierindustrie bietet.

Sein Smart-Start-System löst das Problem der Kükenernährung nach dem Schlüpfen. Die Tiere werden häufig nicht in der Brutanlage gefüttert, sondern erst, wenn sie im Legebetrieb ankommen – zum Teil Tage später.

Das überleben die Tiere zwar. Eine frühere Fütterung ist allerdings besser für ihr Verdauungs- und Immunsystem. Smart Start besteht aus beleuchteten Brutkörben mit einer Futterrinne. Die Küken schlüpfen und werden sofort versorgt und brauchen so auch weniger Antibiotika.

Außerdem arbeitet In Ovo an Coneggt. Im Grunde ist das ein IoT-Brutsystem, das automatisiert den Brutbetrieb und die Eier überwacht.

Diese drei Lösungen von In Ovo zeigen, dass das Unternehmen sehr gradlinig seine Vision verfolgt: Lösungen für die Geflügelindustrie entwickeln, die dem Tierwohl dienen und gleichzeitig die Effizienz der Betriebe erhöhen.

Gibt es Kritikpunkte?

Ja, da wäre einmal die bereits angesprochene Konkurrenzsituation, vor allem in Deutschland zu Seleggt. Besonders ins Gewicht fällt hierbei: Seleggt ist anders als In Ovo bereits marktreif. Und weil dahinter der Rewe-Konzern steckt, ist man da auch schon mit viel Rückenwind im Handel gestartet.

In Berlin können Kunden in Rewe- und Penny-Märkten seit November die ersten Eier kaufen, die das Seleggt-Verfahren durchlaufen haben.

Das Rennen ist zwar noch offen und auch das Seleggt-Verfahren hat sich noch längst nicht in der Breite der Eierbetriebe durchgesetzt: Die anvisierte Marktreife von In Ovo 2020 kommt aber so oder so reichlich spät.

Hinzu kommt, dass In Ovo und seine Mitbewerber zwar schon irgendwie das Wohl der Tiere erhöhen – aber dennoch: Auch sie arbeiten für die Eierindustrie. Und die großen Legebetriebe sehen irgendwie nicht nach glücklichen Tieren aus.

Außerdem werden bei dem Verfahren wieder Millionen von Eiern nur befruchtet und zum Teil ausgebrütet, um zu Tierfutter weiterverarbeitet werden. Sieht so nachhaltige Tierzucht aus? Nicht so wirklich.

Es gibt auch bereits sehr viele Initiativen vor allem von Bio-Betrieben- und -Märkten, die das Problem anders angehen: beispielsweise die Bruderhahn Initiative Deutschland oder die Initiative Bruder-Ei.

Dabei zahlen die Kunden pro Ei einen kleinen Betrag drauf, sodass männliche Küken aufgezogen werden können. Das zusätzliche Futter, was diese benötigen, bis sie genug Gewicht angesetzt haben, wird so finanziert.

Fazit

In Ovo überzeugt vor allem damit, wie gradlinig sie ihre Vision verfolgen und dabei verschiedene Interessen berücksichtigen. Damit lässt sich auch der Kritikpunkt zur Nachhaltigkeit entschärfen: Wie man in Deutschland gesehen hat, stehen einer Reform der Tötungspraxis starke Interessen entgegen.

Indem In Ovo alle an Bord holt, kann sich wirklich etwas ändern. Das ist vielleicht nicht die ideale Lösung aber eine pragmatische Verbesserung.

Das in Deutschland mit Seleggt bereits ein Konkurrenzverfahren am Markt ist, das auch noch aus dem Handel kommt, ist zwar ein Nachteil. Allerdings hat In Ovo mit Evonik auch einen Abnehmer, der aussortierten Eier an Bord, weil der Konzern eine Tochter hat, die Tiernahrung produziert.

In dem Fall weiß man auch gar nicht, wem man die Daumen drücken soll: Hauptsache ist, dass sich mindestens eine Lösung durchsetzt.

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Über den Autor

Christoph Hausel

Christoph Hausel, studierter Jurist und erfahrener Kommunikationsprofi, ist Co-Owner & Managing Director von ELEMENT C. Zudem steht er zahlreichen Acceleratoren als Mentor und Experte zur Seite: next media accelerator, MediaLab Bayern und Wayra. 2002 gründete er die Kommunikationsagentur ELEMENT C. Damals als reine PR-Agentur konzipiert, fokussiert sich ELEMENT C seit 2005 auf die interdisziplinäre Verknüpfung von PR und Design, um ein langfristiges Markenbewusstsein zu schaffen.