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Internetzensur in China: So finden „Zensur-Agenten“ verbotene Inhalte

Chinesische Flagge als Graffitti auf einer Mauer, Internetzensur in China, Zensur in China
Ein Blick hinter Chinas gewaltige Zensur-Maschinerie (Foto: Pixabay.com / TheDigitalArtist)
geschrieben von Marinela Potor

Die Internetzensur in China gehört zu den umfassendsten auf der ganzen Welt. Doch nicht nur die Regierung blockt unerwünschte Inhalte. Es gibt Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, das Internet „rein zu halten“ und dafür „Zensur-Agenten“ anheuern.

Stell dir vor, du könntest nicht nach Begriffen wie „Mauerfall“ oder „Konzentrationslager“ im Internet suchen. Wie wäre es, wenn du noch nie etwas von Anne Frank oder der RAF gehört hättest? Was für eine Vorstellung von Deutschland hättest du, wenn die Geschichte des Landes zensiert wäre?

Im Zeitalter vor dem Internet kann man sich das sogar noch ganz gut vorstellen. So schwierig ist es nicht für eine Regierung, Romane zu verbannen, Geschichtsbücher umzuschreiben oder Fernseh-Nachrichten zu manipulieren. Doch das ganze weltweite Web zensieren? Unmöglich!


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Oh doch, das ist sehr wohl möglich, wie die gigantische Zensur-Maschinerie in China zeigt.

Agenturen prüfen Inhalte, bevor sie online gehen

Unerwünschte Webseiten aus dem Ausland werden über die „Große Firewall“ geblockt. VPN-Anbieter brauchen eine Genehmigung von der Regierung, bevor sie in China operieren dürfen. Sogar große Tech-Unternehmen wie Yahoo oder Google dürfen ihre Dienste nur unter strengen Auflagen in China anbieten.

Doch die Internetzensur in China geht noch viel weiter, wie ein Artikel der New York Times enthüllt. Im ganzen Land verteilt arbeiten spezielle Zensur-Agenturen daran, Internet-Inhalte aus dem eigenen Land zu kontrollieren – und das bevor sie online gehen.

Die New York Times nennt sie „Zensur-Fabriken“. Diese Agenturen haben ganze Horden an Mitarbeitern, die Content nach verbotenen Keywords oder Memes durchsuchen. Li Chengzhi ist einer dieser Mitarbeiter.

Er ist bei der Agentur Beyondsoft angestellt. Beyondsoft beschäftigt insgesamt 4.000 Mitarbeiter. Die Agentur hat eine ganz besondere Marktlücke gefunden: Sie hilft Unternehmen dabei, ihre Inhalte vor der Veröffentlichung im Netz – gemäß Regierungsvorgaben – zu filtern.

Internetzensur in China: Verbotene Inhalte können tödlich enden

Wenn Unternehmen in China, insbesondere Medien-Unternehmen, Inhalte veröffentlichen, die von der Regierung nicht gewünscht sind, kann das unter Umständen tödlich enden – selbst, wenn dies nicht absichtlich geschieht.

Das Ziel dieser Agenturen ist es daher, ihre Kunden davor zu schützen, solche verbotenen Inhalte aus Versehen zu veröffentlichen. Denn selbstverständlich publizieren diese Kunden keine Artikel zu offensichtlich verbotenen Themen.

Hier geht es daher eher um Feinheiten, die ein Unternehmen schnell übersehen kann. Wenn auf einem Foto beispielsweise im Hintergrund eine Person zu sehen ist, die in irgendeiner Form mit einem Regierungskritiker in Verbindung steht, wäre das sehr problematisch.

Ein leerer Stuhl wiederum könnte auf den Friedensnobelpreisträger und mittlerweile verstorbenen Regimekritiker Liu Xiaobo verweisen. Weil dieser nicht nach Oslo zur Preisverleihung anreisen konnte, wurde er durch einen leeren Stuhl repräsentiert.

Auch jeglicher noch so dezente Verweis auf verbotene Literatur, wie George Orwells Roman „1984“ sind tabu. Doch auch Anspielungen auf aktuelle Politiker oder Geheimcodes, die Kritik an Chinas Regierung andeuten können, sind absolute No-Gos. Dazu gehören seit Neuestem auch Begriffe wie „Disney“, alles, was mit Winnie Puuh zu tun hat, und sogar der Buchstabe „N“.

Da China aber über 800 Millionen Internetnutzer hat, die sich stets etwas Neues einfallen lassen, um ihre Regierung über geheime Botschaften im Netz zu kritisieren und sich die Verordnungen der Regierung deswegen ebenfalls häufig ändern, ist es für ein Unternehmen sehr schwer, all diese Details zu beachten.

Genau das übernehmen dann Spezialisten wie Beyondsoft für ihre Kunden. Bei der Arbeit der Zensur-Agenten geht es aber nicht nur um politische oder historisch brisante Inhalte, sondern auch um Obszönitäten oder alles, was als zu freizügig gelten könnte.

Helle Büros für höchste Konzentration

Wer sich jetzt vorstellt, dass die Zensur-Agenten ältere, konservative Menschen sind, irrt. Die meisten sind, wie Li Chengzhi, jung, Mitte 20 und damit Digital Natives.

Für diese Generation sind politische Meinungen, detaillierte Geschichtskenntnisse oder ein freier Internetzugang keine Grundrechte, sondern vielmehr Angelegenheiten, die Probleme schaffen können. Sie glauben daher, dass es besser sei, die Bevölkerung davor zu schützen.

Damit sie ihren Job besonders gut machen, bekommen sie helle, lichtdurchflutete Büros, die eher an moderne Start-up-Offices erinnern. Auch gibt es hier keine Überstunden. Alles, was irgendwie die Aufmerksamkeit beeinträchtigen könnte, ist gefährlich. Zu schnell könnte so ein wichtiges Detail übersehen werden.

Zwar gibt es Versuche, die Inhalte mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu filtern, doch bislang sind die Ergebnisse eher mittelprächtig. Menschliche Augen scheinen mehr zu erkennen als eine KI.

Jeden Tag vor Arbeitsbeginn ein Test

Entsprechend hoch sind die Anforderungen. Jeden Tag vor Arbeitsbeginn bekommen die Mitarbeiter die neuesten Zensur-Anweisungen ihrer Kunden. Diese erhalten die Vorschriften wiederum direkt von der Regierung.

Danach muss jeder Mitarbeiter zehn Testfragen beantworten, um das Erinnerungsvermögen zu testen. Wer schlecht abschneidet, muss Gehaltsverluste hinnehmen. Pro Tag geht ein Mitarbeiter 1.000 bis 2.000 Artikel durch.

Um jedoch ein Vergehen aufspüren zu können, müssen die Zensur-Agenten ironischerweise natürlich vorher all diese verbotenen Inhalte beigebracht bekommen. Das passiert in speziellen Trainings.

Bevor er seine Arbeit bei Beyondsoft antrat, musste Li Chengzhi einen zweiwöchigen Kurs mitmachen und am Ende einen Test bestehen. Hier erfuhr er zum ersten Mal über das Tian’anmen-Massaker von 1989 oder, dass es einen chinesischen Friedensnobelpreisträger namens Liu Xiaobo gab.

Man kann sich nur schwer vorstellen, welche Auswirkungen all das auf eine Person haben kann. Hatte Li Chengzhi nie den Drang, all diese neuen Erkenntnisse mit seiner Familie und seinen Freunden zu teilen? Nein, sagt er gegenüber der New York Times. Es sei gefährlich, solche Gerüchte zu verbreiten.

Auf den dezenten Hinweis, dass dies genau genommen keine Gerüchte seien, sondern geschichtliche Ereignisse, antwortet Li nur: „In manchen Dingen muss man einfach die Regeln befolgen.“

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Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.