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Interview: Tobias Gillen über „Die Minimalismus-Formel“, Nachhaltigkeit und Glück

Die Minimalismus-Formel Tobias Gillen
geschrieben von Marinela Potor

Wie können wir nachhaltig glücklich sein? Bewusster leben? Dinge, die uns belasten hinter uns lassen? Genau diesen Fragen geht Tobias Gillen in seinem neuen Buch, „Die Minimalismus-Formel. Dein Handbuch für einen reduzierten Lifestyle“, nach. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was Minimalismus genau bedeutet und warum der Lebensstil uns alle bereichern kann. 

Eigentlich ist Tobias Gillen Technik-Journalist, Unternehmer und führt als Geschäftsführender Gesellschafter die BASIC thinking GmbH, zu der auch Mobility Mag gehört. Damit – würde man meinen – wäre er eigentlich schon ausgelastet. Doch jetzt hat er ein neues Buch herausgebracht: „Die Minimalismus-Formel. Dein Handbuch für einen reduzierten Lifestyle“.

Darin beschreibt er seinen Weg zum Minimalismus und erklärt, wie wir mit einem minimalistischen Lebensstil bewusster, nachhaltiger und glücklicher leben können. Wir haben mit ihm über Umzugskisten, staubige Reisemitbringsel und sein minimalistisches Auto gesprochen.

Es begann mit den Umzugskisten

Mobility Mag: Der Titel sagt es schon, in deinem Buch geht es um Minimalismus. Wie genau würdest du Minimalismus in einem Satz beschreiben?

Tobias Gillen: Minimalismus bedeutet für mich, die Dinge zu reduzieren, die dich belasten, um mehr Fokus für die Dinge zu haben, die dir Glück bringen.

In deinem Buch schreibst du, dass all das bei dir mit einem Umzug begonnen hat. Nun haben wir ja fast alle schon mal einen Umzug mit viel zu vielen Umzugskartons gehabt und sind danach nicht zu Minimalisten geworden. Wie ist denn bei dir aus dem Ereignis ein Lifestyle geworden?

Das war alles ein Prozess, der aber wirklich damit angefangen hat, dass ich irgendwann gemerkt habe: Ich schleppe Kisten von einer Wohnung in die nächste und packe davon nur noch einen kleinen Teil aus, weil ich den Rest eigentlich gar nicht brauche.

Das war der Beginn und dann habe ich angefangen, diese Kisten auszuräumen, zu sortieren und bin sie dann weitgehend auch losgeworden. Und dann kam eins zum anderen. Wenn du nämlich anfängst, merkst du, dass das auch auf andere Bereiche zutrifft.

Zum Beispiel: Von allen meinen Schuhen ziehe ich nur zwei oder drei Paar regelmäßig an. Und dann die Bücher. Ich mag Bücher und lese sie auch, aber ich lese sie nicht zweimal und es macht mir auch keine übergeordnete Freude, wenn sie im Regal stehen. So hat sich das dann immer weiter entwickelt über die Jahre.

Dein Weg zum Minimalismus war also ein jahrelanger Prozess?

Genau! Das ist ja nichts, was so vom Himmel fällt. Es gibt keinen Zeitpunkt, wo ich sagen kann, da habe ich mit dem Finger geschnippt und dann war ich Minimalist. Das ließe sich zwar gut zur Buch-Promo vermarkten, wäre aber Unsinn. Es ist einfach etwas, das sich entwickelt. Das ist wie ein Schneeball, der irgendwann ins Rollen kommt und dann immer größer wird.

Kann es auch zu viel Minimalismus geben?

Es gibt natürlich Menschen, die das sehr extrem durchziehen, mit einem Besitz von maximal 100 Dingen. Das ist auch cool, wenn man das kann. Ich könnte das aber nicht. Ich ziehe für mich einfach da eine Grenze, wo es für mich anfängt, anstrengend zu werden. Das ist aber meine individuelle Entscheidung. Es gibt hier kein allgemeingültiges „richtig“ oder „falsch“.

Der Minimalismus soll mich ja dabei unterstützen glücklicher und zufriedener zu werden oder Zeit und Energie zu sparen und mich nicht noch mehr belasten. Du solltest dich schließlich nicht von Sachen trennen, nur um dich von etwas zu trennen, sondern idealerweise von den Dingen, die dich wirklich belasten oder an dir nagen. Wenn das 10 Sachen sind, ist das genauso richtig, wie 10.000 Sachen bei jemand anderem.

Brauchen wir 1.000 Sonnenuntergang-Fotos?

Das kann man natürlich auf alle Lebensbereiche anwenden, von der Ernährung bis zum emotionalen Ballast. Du gehst dies in deinem Buch ja auch nach und nach durch. Ein Themenfeld ist dabei das Reisen. Inwiefern hat Minimalismus denn etwas mit Reisen zu tun?

Im Prinzip fängt das schon beim Kofferpacken an. Wenn du weniger Zeug hast und wenn du dir viel bewusster darüber bist, was du überhaupt nutzt, dann kannst du meiner Meinung nach auch viel besser einschätzen, was du für einen Drei-Tages-Trip brauchst oder für einen Drei-Wochen-Trip.

In meinem Fall: Ich habe einen sehr reduzierten Kleiderschrank, weil ich keinen sonderlich großen Wert auf Mode lege. Beim Packen für eine längere Reise kann ich im Prinzip einfach alles einpacken. Aber im Ernst: Jeder hat das schon mal erlebt, dass er viel zu viel eingepackt hat. Bewusstsein und Reflexion für den täglichen Bedarf – unabhängig vom Minimalismus – helfen hier ganz sicher.

Das ist aber erst der Anfang, du sprichst auch von Souvenirs als Staubfängern…

Ich habe das an mir selber gemerkt und sehe das auch bei sehr vielen anderen Menschen: Wir versuchen unsere Erinnerungen zu materialisieren. Das äußert sich beim Reisen zum Beispiel durch das Kaufen von Souvenirs.

Ich habe aber gemerkt, dass ich nicht von jedem tollen Urlaub oder Ausflug ein Souvenir brauche, weil ich genau weiß, dass die Dinger bei mir verstauben. Wenn das bei jemandem anders ist und er sich nachhaltig an diesen Souvenirs erfreut, dann ist das super. Bei mir ist es aber einfach anders und ich möchte wetten, dass ich damit nicht alleine bin.

Du bist aber auch beim Fotos machen minimalistischer geworden.

Ich beschreibe im Buch, wie oft ich zum Beispiel bei einem schönen Sonnenuntergang das Handy gezückt habe und gefühlt 91.000 Fotos gemacht habe, wo man sich hinterher denkt: „Mensch, du hast doch schon so viele Sonnenuntergänge gesehen und wirst noch so viele sehen, du musst die nicht alle fotografieren.“

Ich sage natürlich nicht: Mach keine Fotos mehr. Das mache ich ja auch, wenn es ein besonders schöner Moment ist. Was für mich dabei aber wichtig ist: Genieße einfach mal den Moment, anstatt dich um das Festhalten des Momentes zu kümmern. Dahinter steckt für mich vor allem der bewusste Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit.

Hast du denn bei dir gemerkt, dass du weniger oder bewusster Fotos im Urlaub machst?

Der Fokus auf den Fotos selbst ist vielleicht gar nicht so wichtig. Es geht mehr um das intensive Erleben. Ich kann natürlich auch Fotos machen und trotzdem einen Moment intensiv erleben.

Ich habe gemerkt, dass ich über die Jahre hinweg durch den Minimalismus wirklich Momente sehr viel bewusster wahrnehme – nicht nur beim Reisen, sondern generell.

Dazu gehört übrigens auch der Einsatz von Ressourcen, also von eigenen Ressourcen wie Aufmerksamkeit oder Zeit, aber auch von Ressourcen, die wir durch Konsum der Umwelt entnehmen.

Weil wir insgesamt bewusster mit allen Ressourcen umgehen?

Genau! Das fängt ja schon damit an, ob wir Billigprodukte oder nachhaltig produzierte Waren kaufen, die die Umwelt einfach weniger belasten. Das geht weiter mit Recycling. Müssen wir zum Beispiel alles wegschmeißen, was kaputtgeht oder können wir es nicht reparieren?

Oder die ganze Alt-Elektronik, also Kabel oder Handys, die bei uns Zuhause herumliegen, in denen in Form von Metallen zum Beispiel wichtige Ressourcen stecken. Die verschimmeln bei uns in den Schubladen, anstatt dass wir sie recyceln und so wiederverwerten können.

Minimalismus hilft dem Klima

Du rechnest in deinem Buch auch vor, wie wir mit kleinen Alltagsentscheidungen sehr viel CO2 sparen können, zum Beispiel, indem wir Newsletter, die wir nicht lesen, abbestellen. Noch deutlicher wird das mit unseren Online-Bestellungen…

Man muss sich mal vorstellen, dass 2018 in Deutschland pro Minute 532 Bestellungen zurück an die Händler gesendet wurden. Der CO2-Verbrauch der Retouren lag bei geschätzten 238.000 Tonnen. Das ist in etwa so viel, wie 2.200 Autofahrten von Hamburg bis nach Moskau – pro Tag und für ein ganzes Jahr lang.

Es ist Wahnsinn, was da an Ressourcen verbraucht und an Emissionen ausgestoßen wird. Das könnte man so leicht reduzieren, indem man sich sehr viel genauer überlegt, was man wirklich haben möchte und was nicht, bevor man einfach alles in den Warenkorb packt und dann das meiste wieder zurückschickt.

Das hört aber nicht beim Lieferverkehr vom Onlineshopping auf, das gilt natürlich auch für unsere persönliche Mobilität. Das ist vielleicht etwas, was nicht viele miteinander verbinden, aber du sagst auch, dass geteilte Mobilität und Minimalismus zusammenhängen. Kannst du das genauer erklären?

Das eigene Auto gehört ja zum persönlichen Besitz. Hier kann man sich im Sinne von Minimalismus auch fragen, ob man das wirklich braucht, ob man vielleicht mit seinem Nachbarn eine Fahrgemeinschaft bilden oder ob man nicht auf einen Sharing-Dienst umsteigen kann.

Wenn man das weiterdenkt, ist es natürlich auch gesellschaftlich minimalistisch, weil dadurch mehr ungenutzte Autos von der Straße verschwinden, Ressourcen gespart und Schadstoffe reduziert werden. Shared Mobility ist aber ja kein neuer Gedanke. Früher nannte man das einfach „Öffentlicher Personennahverkehr“.

Die Idee ist die gleiche. Im Idealfall – wenn wir mal so richtig in Infrastruktur und Mobilität investieren würden – bräuchten die Leute kein Auto, weil sie stattdessen Bahn oder Bus fahren können. Das geht natürlich nicht überall, beispielsweise ist das auf dem Dorf viel schwieriger als in der Stadt, mit Kindern viel schwieriger als ohne.

Wie hat sich denn dein Mobilitätsverhalten durch den Minimalismus geändert? Hast du überhaupt noch ein Auto?

Ja, einen Smart – ganz im Sinne des Minimalismus also nur ein halbes Auto. Im Ernst: Ich wohne sehr gerne ländlich und etwas abgelegen. Da geht es nur schlecht ohne Auto und Sharing ist auch schwierig, solche Dienste gibt es hier gar nicht. Allerdings fahre ich nur noch das Nötigste.

Ich habe zum Beispiel meine KfZ-Versicherung kürzlich von damals irgendwann mal berechneten 8.000 Kilometern im Jahr auf 2.000 Kilometer heruntergestuft, und das auch nur, weil das deren Minimum ist. Ich fahre nur um die 1.000 Kilometer pro Jahr mit dem Auto. Dann aber auch, weil ich es wirklich musste.

Viele zweifeln ja daran, dass sie mit solchen Entscheidungen – weniger online bestellen oder mal das Auto stehen lassen – wirklich etwas bewegen können…

Diese Logik greift einfach nicht. Das sehen wir ja genau in der Mobilität. Die Menschen, die Autos mit Verbrennungsmotoren fahren oder übermäßig viele unnötige Flugreisen machen, sagen gerne: Die Kreuzfahrtschiffe sind das Problem, weil die viel mehr CO2 ausstoßen. Natürlich sind die Kreuzfahrtschiffe das Problem.

Doch nur, weil das eine schlecht ist und das andere noch schlechter, heißt das ja nicht, dass man selbst aus dem Schneider ist. Also warum ändern wir nicht beides?

Wir müssen endlich aufhören, uns hinter der Masse zu verstecken. Für mich gehört zum Minimalismus auch dazu, dass wir Verantwortung übernehmen für die Umwelt und für unser eigenes Handeln.

Wo fängt man denn da am besten selbst an? 

Am besten ganz klein, bei den alltäglichen Sachen, also beim Einkauf, beim Wasserverbrauch, beim Stromverbrauch und bei deinem Recycling-Verhalten. Und wenn wir das im Griff haben, dann können wir ja die nächstgrößeren Sachen angehen.

Für jedes Buch einen Baum pflanzen

Was möchtest du deinen Lesern mit deinem Buch mitgeben?

Mir geht es darum, Menschen, die ein Bedürfnis nach einer Veränderung verspüren – ob beim Konsum oder bei der Nachhaltigkeit – und die noch am Anfang ihrer Entwicklung zum Minimalismus stehen, eine Anleitung an die Hand geben und sie auch zum Nachdenken herausfordern.

Wenn jemand aus diesen ganzen Tipps und Strategien etwas mitnehmen kann und das ein oder andere in seinem Leben ändert und deswegen ein bisschen nachhaltiger und glücklicher wird, dann ist das Ziel des Buches zu 100 Prozent erfüllt!

Apropos nachhaltiger werden durch dein Buch: Dazu hast du dir ja auch eine ganz spezielle Aktion überlegt.

Ich rede die ganze Zeit in meinem Buch von Nachhaltigkeit und natürlich kosten sowohl das gedruckte Buch als auch das E-Book Ressourcen. Mein Ansatz ist daher, dass wir einfach zusammen etwas zurückgeben.

Deswegen spende ich für jedes verkaufte Buch und E-Book einen Baum, den mein Kooperationspartner, die grüne Suchmaschine Ecosia, pflanzen wird.

Das Ziel sind 100.000 gepflanzte Bäume. Natürlich ist das kein Projekt von ein paar Wochen und wird wahrscheinlich auch nicht mit diesem Buch funktionieren, aber es wird weitere Bücher und Projekte geben, in die ich diese Aktion integrieren werde.

Ich würde meinen Kindern irgendwann gerne mal sagen können, dass gemeinsam mit den Leserinnen und Lesern meines Buches 100.000 Bäume für ihre Zukunft gepflanzt wurden. Das wäre ein Traum.

Vielen Dank für das Gespräch!

„Die Minimalismus-Formel“ findest du ab sofort als Taschenbuch bei Amazon und als E-Book überall, wo es E-Books gibt (Amazon, iBooks, Google Play StoreThalia, Weltbild, usw.).

Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.