Radfahrer hassen Autofahrer. Autofahrer sind von Fußgängern genervt. Alle sind irgendwie immer gestresst. Warum ist das so? Und was kann man dagegen tun? Das und vieles mehr haben wir Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer gefragt.
Warum ist ein Autofahrer aggressiv? Weshalb lassen wir uns vom Handy so stark ablenken? Wieso muss man Kindern die Straße ganz anders erklären?
Wir Menschen sind komplexe Wesen. Wir sind alt, jung, fit oder haben eine Mobilitätseinschränkung. Manchmal sind wir glücklich, mal wütend, mal traurig, mal abgelenkt – und all das nehmen wir mit in den Straßenverkehr.
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Genau hier setzt die Verkehrspsychologie an.
Sie beschäftigt sich mit all den menschlichen Dingen, die wir mit auf die Straße bringen und die unser Verkehrsverhalten beeinflussen.
Bettina Schützhofer beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren genau damit. Sie leitet das österreichische verkehrspsychologische Institut „Sicher unterwegs“, bei dem ein Team von Verkehrspsychologen sich mit Themen rund um Prävention, Verkehrssicherheit und Mobilitätserziehung beschäftigen.
Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum Grundschulkinder nicht alleine Fahrrad fahren sollten, wieso junge Männer riskante Autofahrer sind und darüber, was wir alle gegen Aggressionen im Straßenverkehr tun können.
Kinder haben noch kein Gefahrenbewusstsein
Mobility Mag: Bettina, was kann man sich eigentlich unter Verkehrspsychologie vorstellen?
Bettina Schützhofer: Im Kern geht es darum, das Erleben und Verhalten von Menschen im Straßenverkehr zu verstehen, zu analysieren und zu deuten. Schließlich müssen wir uns bewusst machen, dass verschiedene Gruppen, von Senioren über Kinder bis hin zu Fahranfängern die Straße anders wahrnehmen und auch anders agieren.
Wie nehmen denn beispielsweise Senioren oder Kinder die Straße wahr?
Tatsächlich agieren Senioren und Kinder oft ähnlich. Das liegt daran, dass unser Gehirn all seine Kompetenzen erst voll mit Mitte 20 entwickelt. Im höheren Alter nehmen diese Kompetenzen dann wieder ab.
Als Beispiel: Kinder in der Vorschule haben noch kein Gefahrenbewusstsein. Sie denken, sie seien nicht verwundbar. Sie leben oft noch in einer Mischung aus Realität und Fantasiewelt. Man nennt das auch die magische Phase. Genau deshalb lieben wir ja Kinder. Doch im Straßenverkehr kann das gefährlich werden.
Inwiefern?
Vieles davon geht, wie schon erwähnt, auf die kognitive Entwicklung zurück. In jungen Jahren können Kinder zum Beispiel Entfernungen oder Geschwindigkeiten aufgrund noch nicht voll entwickelter tiefenperspektivischer Wahrnehmung noch sehr schlecht einschätzen.
Ist die Lücke zwischen den Autos groß genug, dass man Zeit hat, über die Straße zu gehen? Das ist für Kinder bis neun oder zehn Jahren oft ganz schwer abzuschätzen.
Das Gehirn kann auch noch nicht abstrahieren. Das kommt erst im Alter von etwa zwölf Jahren. Wenn ein Kind zum Beispiel auf dem Schulweg an eine Umleitung kommt, kann es oft den neuen Weg nicht ableiten. Man muss also wirklich jedes Stück Weg mit Kindern individuell üben.
Radfahren ist für Kinder problematisch
Ist es darum auch aus Sicht der Verkehrspsychologie problematisch, Kinder mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu lassen?
Genau. Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren sollten noch nicht alleine mit dem Rad zur Schule fahren. Da sind sie einfach noch nicht so weit.
Neben der noch nicht voll entwickelten kognitiven Verkehrskompetenzen sind Kinder in dem Alter auch damit überfordert, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Schulterblick und abbiegen ist zum Beispiel sehr schwierig für sie.
Genau deshalb organisieren wir auch Verkehrssicherheitsworkshops mit Eltern, damit diese ihre Kinder dem Alter entsprechend Schritt für Schritt an verschiedene Verkehrssituationen heranführen können und dabei die Kinder gleichzeitig aktiv Erfahrungen sammeln lassen, ohne sie zu über- oder zu unterfordern.
90 Prozent der verkehrsauffälligen Fälle sind Männer
Du arbeitest aber nicht nur mit Eltern und Kindern, sondern auch mit verkehrsauffälligen Verkehrsteilnehmern. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das sind vor allem Verkehrsteilnehmer, die Nachschulungen machen müssen, weil sie mit Drogen oder Alkohol am Steuer erwischt wurden oder auch sehr aggressive Autofahrer.
Ganz klischeehaft würde man jetzt raten: Das sind vor allem Männer?
Das stimmt. 90 Prozent aller verkehrsauffälligen Fälle sind Männer. Da sehen wir wirklich ganz stereotypes Verhalten. Der „typische“ alkoholauffällige Lenker ist Anfang bis Mitte 40, der „typische“ drogenauffällige Lenker oder Schnellfahrer Anfang oder Mitte 20.
Es ist immer noch so, dass Männer Motor-affiner sind als Frauen und insbesondere auch in der Pubertät ein ausgeprägteres Risikoverhalten haben. Das sieht man dann entsprechend am riskanten Fahrverhalten.
Kann man da etwas machen oder muss man einfach hinnehmen, dass junge Männer so sind?
Ja und nein. Einerseits ist es einfach eine Phase in der Hirnreifung. Es ist ja auch wichtig, dass junge Menschen risikofreudig sind. Genau das lässt sie ja neue Dinge ausprobieren und entwickeln und weiter reifen.
In Österreich gibt es aber verschiedene, auch gesetzlich implementierte Bemühungen, um die Verkehrssicherheit von Führerscheinneulingen zu verbessern, ein Beispiel wäre etwa der Probeführerschein. In den USA gibt es in einigen Staaten auch Regelungen, dass junge männliche Autofahrer nur alleine im Auto fahren dürfen.
Wieso das denn?
Weil insbesondere junge Männer dann ein höheres Risikoverhalten an den Tag legen, wenn sie ihre Peers beeindrucken wollen. Sind sie dagegen alleine unterwegs, fahren sie vorsichtiger.
Alkohol am Steuer ist No Go
Inwiefern sind eigentlich Alkohol und Autofahren in der Verkehrspsychologie noch ein Thema?
Damit werde ich berufsbedingt natürlich öfter konfrontiert. Hier hat sich aber insgesamt in den letzten 20 Jahren sehr viel getan. Als ich mit der Verkehrspsychologie angefangen habe, galt angetrunken Autofahren noch als Kavaliersdelikt.
Es war natürlich schon damals gesetzlich verboten, aber die gesellschaftliche Wahrnehmung war noch: „Ach, das ist ja nicht so schlimm.“
Das hat sich komplett geändert. Betrunken Autofahren ist ein absolutes No Go und mit einer sozialen Ächtung verbunden. Das sehe ich auch an der Zahl der Nachschulungen in dem Bereich. In den vergangenen Jahren haben sich diese in Österreich nahezu halbiert.
Handys komplett verbieten?
Apropos gesellschaftliche Ächtung. Genau das hat der Deutsche Verkehrsgerichtstag zur Handy-Nutzung am Steuer gefordert. Wie siehst du das?
Das Handy, beziehungsweise sogar das Telefonieren mit dem Handy, ist ja jetzt schon am Steuer verboten, mit der Ausnahme von Freisprechanlagen. Doch wir sehen sehr viele Fälle, in denen Autofahrer beim Fahren Videos drehen oder Fotos machen.
Unsere Smartphones sind insbesondere bei jüngeren Generationen ein derart wichtiger Teil unseres Alltags geworden, dass viele das beim Fahren einfach aus Gewohnheit fortführen.
Dabei ist das sehr gefährlich. Die meisten Autounfälle erfolgen, weil jemand abgelenkt war. Viele Autofahrer überschätzen sich hier auch.
Wie meinst du das?
Wir glauben alle, dass wir tolle Multitasker sind. Das Multitasking wird auch noch als etwas Positives gehypt. Doch Menschen sind gar nicht so gut darin, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.
In einem Simulator-Test haben Verkehrspsychologen Autofahrer gefragt, wann sie dachten, dass es sicher sei eine SMS zu schicken. Die meisten Fahrer unterschätzen hier völlig die Gefahrenlage und wie sehr sie eine SMS vom Straßengeschehen ablenkt.
Neue Studien zeigen sogar, dass selbst das Telefonieren mit Freisprechanlage so ist, als würde man angetrunken fahren. Sollte man das Handy dann nicht lieber komplett verbieten?
Ein Verbot sollte eigentlich der letzte Schritt sein. Sobald man das Smartphone am Steuer verbietet, finden die Leute Wege, um es zu umgehen. Idealerweise muss man Autofahrer hier so erziehen, sodass sie selbst erkennen, wann sie ihr Handy nutzen können und wann nicht.
Im hektischen Feierabendverkehr ist es zum Beispiel keine gute Idee zu telefonieren. Nachts auf freier Autobahn ist es – selbstverständlich mit Freisprecheinrichtung – wieder etwas anderes.
Wichtig ist, dass Autofahrer eigenverantwortlich handeln und es auch gute Role Models in diesem Bereich gibt, die das sichere Verhalten vorleben.
„Wir brauchen einen Perspektivenwechsel“
Eine Sache, die im Straßenverkehr sehr auffällig ist: Die verschiedenen Verkehrsteilnehmer sind oft sehr aggressiv miteinander. Radfahrer hassen Autofahrer. Autofahrer hassen LKW-Fahrer … und so weiter. Woher kommt das eigentlich?
Diese Verkehrskonflikte haben oft etwas mit einem Wissensmangel zu tun. Wer viel Auto fährt, weiß nicht, wie man sich als Radfahrer fühlt.
Autofahrer schimpfen zum Beispiel oft über Radfahrer, die in der „Pole Position” an der Ampel starten. Dabei ist das für die Radfahrer einfach sicherer als zwischen vielen Autos zu starten.
Fußgänger wiederum denken nicht darüber nach, dass man sie nachts ohne Beleuchtung gar nicht sieht.
Und junge Verkehrsteilnehmer regen sich darüber auf, wie langsam Senioren sind.
Kann man mit Verkehrspsychologie dagegen etwas tun?
Ich plädiere hier wirklich für einen Perspektivenwechsel.
Radfahrer sollten sich zum Beispiel mal in einen LKW setzen und sehen, wie groß der tote Winkel wirklich ist. Dann kann man viel besser nachvollziehen, wie man sich als Radfahrer sichtbarer positioniert.
Wir haben mal jungen Menschen einen Instant-Aging-Anzug gegeben, damit sie sehen, wie schwierig es für ältere Menschen sein kann, über die Straße zu gehen.
Sobald man sich besser in andere Verkehrsteilnehmer hineinversetzen kann, steigt die Empathie und auch das gegenseitige Verständnis auf der Straße.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zum Weiterlesen
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