In Ingolstadt entsteht derzeit das erste „Haus fast ohne Heizung“ in Deutschland. Dank einer speziellen Bauweise soll es ohne zentrales Heiz- und Kühlsystem auskommen. Ziel ist es, nachhaltiger, ressourcenschonender und kostengünstiger zu bauen, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Hintergrund: Das erste „Haus fast ohne Heizung“
- Das „Haus fast ohne Heizung“ basiert auf dem 2226Konzept, das ganzjährig eine Raumtemperatur zwischen 22 und 26 Grad vorsieht – ohne Heiz- oder Kühlsystem. Stattdessen soll durch die Abwärme der Bewohner, der technischen Geräte und der Beleuchtung geheizt werden. Sensoren steuern zudem Lüftungsflügel, um die Temperatur und den CO2-Anteil zu regulieren. Eine teure Haustechnik entfällt.
- Der Neubau soll über 15 Mietwohnungen verfügen und Ende 2025 fertig sein. Innenwände und Decken wurden in massiver Bauweise errichtet, um Wärme oder Kälte speichern zu können. Jede Wohnung verfügt über eine eigene Warmwasserversorgung. Für sehr kalte Wintertage wird eine elektronische Flächenheizung für den Notfall eingebaut.
- Das „Haus fast ohne Heizung“ basiert auf dem Gebäudetyp-e. Ziel ist es, bei Bauvorhaben auf nicht zwingende Baustandards zu verzichten, um schneller und kostengünstiger zu bauen. Das geplante Gebäudetyp-E-Gesetz konnte bislang nicht abgeschlossen werden. Laut Bundesgerichtshof (BGH) ist der bisherige Gesetzesentwurf zur Herbeiführung seines Ziels nicht geeignet.
Einordnung: Nachhaltiges und kostengünstiges Wohnen
Mit dem „Haus fast ohne Heizung“ nimmt der Traum von nachhaltigem und kostengünstigen Wohnen erstmals auf politischer Ebene Gestalt an. Es besteht jedoch das Risiko, dass die relativ einfache und günstige Bauweise zu einem Synonym für schlechte Qualität verkommt.
Denn: Wenn Standards gekippt werden und gesetzliche Schlupflöcher entstehen, könnte neben der Kalkulation auch das Vertrauen der Verbraucher wackeln. Eine einfache Haustechnik, weniger Wartungsarbeiten und niedrige Betriebskosten dürften jedoch Musik in den Ohren vieler Mieter sein.
Die Idee, Wohnraum großflächig so zu planen, dass er Klima und Konto schont, ist derweil schon lange überfällig. Unterm Strich bleibt das „Haus fast ohne Heizung“ zunächst aber ein mutiges Experiment. Erst am gebauten Beispiel kann die Theorie in der Praxis getestet werden.
Stimmen
- Der bayerische Bauminister Christian Bernreiter ist vom „Haus fast ohne Heizung“ überzeugt: „Bei diesem Projekt haben engagierte Bauherren gemeinsam mit erfahrenen Planern innovative Konzepte entwickelt, die das Bauen vereinfachen und Kosten senken. Der Verzicht auf eine Unterkellerung oder auf eine aufwändige Gebäudetechnik beeinträchtigt nicht die Wohnqualität. Im Gegenteil – dadurch wird der Betrieb kostengünstiger. Davon profitieren auch die Mieter.“
- Auch Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, blickt optimistisch in die Zukunft: „In Bayern arbeiten wir aktuell mit 19 Pilotprojekten an der praktischen Umsetzung. Damit können wir einen wichtigen Beitrag leisten, um das Bauen einfacher, schneller, aber auch nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten und so mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“
- Florian Becker, Geschäftsführer des Bauherren-Schutzbundes (BSB), weist auf mögliche Risiken hin: „Es ist sehr fraglich, ob Verbraucher von geringeren Planungs- und Produktionskosten tatsächlich profitieren würden oder stattdessen denselben Preis für schlechtere Qualität zahlen müssten. Das Ziel, Bauen einfacher und günstiger zu machen, ist ein notwendiger Schritt. Doch die Umsetzung darf nicht zulasten von Bauqualität und Verbraucherschutz erfolgen.“
Ausblick: Das letzte „Haus fast ohne Heizung“?
Wenn das „Haus fast ohne Heizung“ in der Praxis von Erfolg gekrönt sein sollte, würde Bayern zum Baukasten für klimafreundliches und kostengünstiges Wohnen werden. Das Projekt könnte zudem deutschlandweit Schule machen.
Damit das gelingt, braucht es jedoch ein solides rechtliches Fundament. Andernfalls droht ein Konzept, das sich im Paragrafendschungel verheddert. Dafür braucht es ein Gesetz, das keine Schlupflöcher beinhaltet, um sowohl Mieter als auch Bauherren zu schützen.
Die Politik ist deshalb gefragt, das Projekt in ein stabiles Modell zu übersetzen. Sollte das gelingen, könnte das „Haus fast ohne Heizung“ auf breite Akzeptanz treffen – vor allem bei einer hohen Kostenersparnis. Scheitert das Vorhaben, bleibt es ein architektonischer Heizlüfter.
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