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Die Angst der Verbände vor der Zeitenwende: "Soziale Netze fördern das Schwarzfahren"

Im Kino ist zur Zeit der Stummfilm „The Artist“ zu bewundern. Hinter einer tollen Kulisse und beeindruckenden Bauten verblasst dabei die Geschichte fast ein bisschen. Oder sie wird mit so erdrückender Eindeutigkeit ins Auge des Betrachters eingehämmert, bis sie auch der Letzte im Saal verstanden hat: Geh mit der Zeit, verschließ dich dem Neuen nicht, wie der Stummfilmheld George Valentin, der den Schritt in Richtung Tonfilm nicht mitgehen will. Der Film spielt Ende der 1920er Jahre – einer Zeit, die der heutigen nicht unähnlich ist. Wirtschaftskrise, Ungerechtverteilung des Kapitals, neue Medien (damals das Radio) und doch eine hoch technisierte Gesellschaft und eine starke Macht der Presse.

Diese Zeitenwende erleben wir heute erneut. Es sind (soziale) Online-Medien, die viele alte Strukturen aufbrechen. Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband bekommt das derzeit stark von der App MyTaxi zu spüren. Und aktuell – angeblich – auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Er will höhere Strafen für Schwarzfahrer. Der Grund: Die Schwarzfahrer gehen mit der Zeit, würden sich, so der Verband, zunehmend via Facebook organisieren. Klingt teuflisch. Aber stimmt das eigentlich auch?

„Jetzt ist es also schon so weit, dass potenzielle Schwarzfahrer sich online öffentlich helfen und organisieren. So wird das Fahren ohne gültigen Fahrausweis in der öffentlichen Wahrnehmung verharmlost“, beklagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Was er fordert, hatte man fast befürchtet: „Dem muss der Gesetzgeber durch entsprechende Regelungen entgegenwirken.“


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Höhere Strafen für Wiederholungstäter

Dem aktuellen Gesetzgeber ist so einiges zuzutrauen. Sogar, dass er auf eine solch amüsante Forderung eingeht oder Facebook gleich ganz blockiert. Man sollte den Politikern hier allerdings mal wieder das viel zitierte Bild von den Kanonen und den Spatzen vor Augen halten. Der VDV schätzt selbst, dass 3,5 Prozent der Fahrgäste der Verkehrsverbünde schwarz führen und den Verbünden damit 250 Millionen Euro im Jahr durch die Lappen gingen. Jeder Achtundzwanzigste in Deutschland fährt damit schwarz! Man wundert sich, warum die Bild-Zeitung auf diese heiße Geschichte noch nicht angesprungen ist. Ach so, ist sie; aber in einer erstaunlich wenig reißerischen Story.

Die eigentliche Meldung dieser Geschichte ist, wie ein Verband plötzlich die sozialen Medien entdeckt und darin – wie so oft – erst einmal nur Gefahren erkennt. Jahrzehnte lang war alles immer beim Alten geblieben, jetzt plötzlich kommt das böse Facebook daher und versalzt die fade Suppe. Ausfälle in Millionenhöhe, zunehmend wegen Facebook – bereits im vergangenen August geisterten entsprechende Horrorgeschichten durch die Medien, die Politikern mehr boten als der durchschnittliche „Tatort“: Schwarzfahrer-Apps, antikapitalistische Facebook-Gruppen und aufmüpfige Twitter-Accounts. Sollte man sich das mit den Gesetzen wirklich mal überlegen? Der VDV fordert künftig 60 statt 40 Euro Strafe für eine Schwarzfahrt und für Wiederholungstäter 120 Euro.

Lob für zivilen Ungehorsam

Wegen Facebook? Es lohnt sich, mal genauer hinzuschauen: Die Facebook-Gruppe „Schwarzfahren Köln“ etwa lebt vom Nutzer-Input von Fahrgästen. Davon gibt es derzeit im Schnitt etwa eine pro Tag. Viele der übrigen Meldungen dort sind Verweise auf heroische Meldungen, in denen Menschen zivilen Ungehorsam begangen hätten. Der Twitter-Account „Schwarzfahren Berlin“ verzeichnet seinen letzten Eintrag am 31. August 2011. Aktiver scheint dafür die Facebook-Gruppe Schwarzfahren Hamburg, wo es in etwa stündlich neue Informationen über Kontrolleure gibt. Zum Beispiel, ganz sachlich: „S1 Richtung Poppenbüttel Grad Berliner Tor 3 Kerle normal angezogen“ oder emotionaler: „S2 Richtung elbgaustr 4 uniformiere / Sind stadthausbrücke ausgestiegen /…das die Schweine sich bei den ganzen Ausfällen noch trauen zu kontrollieren…“

Die Hauptgruppe „Schwarzfahren Deutschland“ hat 36 Abonnenten und verbreitet keine eigenen Infos über die Heimsuchung durch Kontrolleure. Die Gruppe „Schwarzfahren Dortmund„, für die man erst eine zwielichtig klingende App installieren soll, verzeichnet 70 Zugriffe im Monat. Stolze 5.500 Menschen haben dafür bei der Gruppe „Schwarzfahren Nürnberg“ auf „Gefällt mir“ geklickt. Die letzten beiden Warnungen dort sind vom 1. Februar und dem 24. Januar. In der Düsseldorfer Gruppe stammt die letzte Warnung vor Kontrolleuren vom 25. Januar.

Damit sich bloß nichts ändert

Ich will die Gefahr gar nicht herunterspielen. Die sozialen Medien könnten wirklich dafür sorgen, dass vielleicht bald schon jeder Siebenundzwanzigste schwarz fährt. An den Preisen von inzwischen 1,70 Euro für 2 Haltestellen oder 7,10 Euro für die etwa 20-minütige Fahrt zwischen Bonn HBF und Köln-Süd kann es natürlich nicht liegen. Also Gesetze verschärfen und Bußgelder heraufsetzen? Der Kampf des VDV erinnert mich stark an den Aufschrei des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands, über den wir vergangene Woche berichteten. Nachdem dieser Jahrzehnte lang schalten und walten konnte wie er wollte, kam plötzlich MyTaxi daher und wollte etwas für die Taxifahrer tun. Die Verbände, die sich da zu Wort melden, wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Und wenn sich die Zeiten ändern, Kunden etwa durch die sozialen Medien eine Stimme bekommen, ruft man eben den Gesetzgeber an.

Ich hoffe, dass da in Berlin noch einige sitzen, die das Ganze als das erkennen, was es ist: ein Wehklagen auf sehr hohem Niveau.

Eins muss man dem VDV aber lassen: Jedes Mal, wenn vor den Gefahren aus dem Netz gewarnt wird, steigt die Wahrnehmung solcher Möglichkeiten sprunghaft an. Als Indikator könnte hier die Android-App Schaffner-Radar dienen. Sie sammelt derartige Warnungen und wurde dafür im vergangenen August häufig von Nutzern bewertet, als die Geschichte zum ersten Mal hochkochte. Danach gab es noch einige wenige Bewertungen im September und Oktober und jetzt wieder im Februar. Auch die Zahl der Installationen steigt dank der jüngsten Meldungen wieder stark an. Zuletzt aktualisiert wurde die Beta der App am 15. August.

(Jürgen Vielmeier, Bilder: Delphi, VDV)

Über den Autor

Jürgen Vielmeier

Jürgen Vielmeier ist Journalist und Blogger seit 2001. Er lebt in Bonn, liebt das Rheinland und hat von 2010 bis 2012 über 1.500 Artikel auf BASIC thinking geschrieben.

26 Kommentare

  • Ja, das böse Internet ist schuld. Nicht die überteuerten Preise und erst recht nicht die Vernachlässigung von einfachen Methoden die Schwarzfahren quasi unmöglich machen würden.
    Mir erscheint das System im deutschen ÖPNV von vornherein sehr rückständig: Papiertickets, Kontrolleure die stichprobenartig zuschlagen, freies Ein- und Aussteigen. Wen wundert’s, wenn jemand sein Glück versucht wenn er eh nur eine Station weit fährt, und wie kann man es ihm verdenken?

    Warum installieren die ach so gebeutelten Betreibergesellschaften nicht Drehkreuze wie es in jedem mir bekannten U-Bahn-System in Asien der Fall ist? In Singapur sind die Drehkreuze mit Kartenlesern bestückt, die automatisch beim Einsteigen den maximalen Fahrpreis von einer Chipkarte („EZ-Link“ – http://tinyurl.com/6n7c9pq) abziehen und beim Aussteigen die Differenz wieder draufbuchen. Die Karte kann an jedem Geldautomaten beliebig aufgeladen werden; für Einzelfahrten kann man sich ein Ticket mit dem exakten Fahrpreis plus Pfand zulegen. Kameras und Personal haben die „Fare Gates“ gut im Blick – Problem gelöst. Funktioniert übrigens auch im Bus und reibungslos beim Übergang zwischen zwei Betreibergesellschaften.

    Resultat: überhaupt keine Schwarzfahrer durch ein wasserdichtes System, keine Verluste in Millionenhöhe und auch kein Bedarf an Kontrolleuren mit teuren Personalkosten oder komplizierter Bürokratie zur Bestrafung von Missetätern. Die Investition für die Einführung eines solchen Systems sollte sich dadurch recht gut decken.

    Es geht also, sehr einfach sogar, aber ich sehe hier einmal mehr einen Fall nach dem selben Schema das wir beim Copyright in gleicher Weise erleben: statt Veraltetes bzw. Fehlerhaftes zu verbessern verteufelt man lieber das Neue, „Gefährliche“ und verbarrikadiert sich hinter neuen Gesetzen und Regelugen. Beim Copyright ist die Sache sehr kompliziert, aber beim ÖPNV ist es wirklich nur lachhaft. Getreu dem typisch deutschen Motto: erst jammern, dann denken…

  • Was hat die Bußgeldhöhe denn mit den Schwarzfahrer-Apps zu Tuen ?
    Eigentlich doch nichts, oder sie Spekulieren dadurch auf weniger Bußgeldeinnahmen und Erhöhen vorsoglich die Preise um von denjenigen die sich Erwischen lassen den Ausgleich zu bekommen.
    Es ist das gleiche Prinzip wie die Tempoblitzer nach Kassenlage wo Bußgelder schon fest im Haushalt eingeplant sind.
    Eigentlich müssten sie ein Facebook oder Twitter Verbot fordern , nur dafür haben sie keine Traute?

  • Ich habe ja in meinem Marketing-Studium gelernt (auch wenn es schon eine Weile her ist), dass positiv motivieren viel bessere Effekte erzielt als Bestrafung.

    Wie wäre es mit 10% Rabatt Ticketrabatt auf die Follower bei facebook / twitter? Oder gar irgendwelche Sonderaktion bei foursquare (Bürgermeester von Wandsbek Markt bekommt eine Freifahrt im gesamten HVV-Netz etc.). Aber ist wahrscheinlich zu innovativ gedacht…

  • „An den Preisen von inzwischen 1,70 Euro für 2 Haltestellen oder 7,10 Euro für die etwa 20-minütige Fahrt zwischen Bonn HBF und Köln-Süd kann es natürlich nicht liegen.“

    Danke! ^^

  • Habe es gerade mal nachgerechnet. Die Schwarzfahrer müssen ein absolut neues Phänomän sein. Seit Dezember wurde nämlich mein Fahrpreis exakt um 2,5% erhöht.

  • Es ist ein billige Ausrede, höhere Strafen für Schwarzfahrer sind nur wegen der ständigen Fahrpreiserhöhungen notwendig.
    Sonst würden ja irgentwann die Strafe nicht mehr „Abschrecken“ im Gegenteil günstiger sein als manches Ticket 🙂
    Natürlich ist diese Wahrheit nicht Populär es muss eine andere Ausrede dafür her , also kamen facebook / twitter gerade Recht.

  • Schwarzfahrer wirds immer geben. Ich bin auch schon teils ausversehen schwarz gefahren weil meine Monatskarte einen Tag zuvor abgelaufen war.

  • „An den Preisen von inzwischen 1,70 Euro für 2 Haltestellen oder 7,10 Euro für die etwa 20-minütige Fahrt zwischen Bonn HBF und Köln-Süd kann es natürlich nicht liegen.“

    Niemals!

    Bei unserem privaten Regionalbahnbetreiber kosten 5 Haltestellen (~15 Min) auch nur 4,80€ – also quasi geschenkt!

    😉

  • Das ist aber doch sehr häufig der gängige Reflex. Sieht man ein gesellschaftliches Problem, so sind schnell die neuen Medien Verruf. Ausufernde Parties (Tessa), Google Street View und viele, viele weitere Beispiele zeigen doch immer gleich das Facebook mit Schwarzfahrern, Randalierern, politischen Aktivisten unter einem Dach steckt. Und wie schon oben erwähnt es ist sicher besser positiv zu motivieren, als immer gleich die neuen Medien zu verteufeln. Also liebe Taxiinnung, Verband deutscher Verkehrsunternehmen einfach mal mehr Kundenservice und ein positivere Grundhaltung zu den eigenen Kunden wäre doch viel schöner.

  • Die moralische Aufregung beim Schwarzfahren ist doch unnötig. Wer erwischt wird, muß bezahlen. Fertig. Ist doch beim Autofahren und -parken nicht anders.

    Was mir sehr gut gefällt ist der Hinweis auf die (nicht) erbrachte Leistung. Ich fahre mit dem Taxi zum nahen Bahnhof, weil der Bus Samstag Abends nicht kalkulierbar zu spät kommt. Kann ich jetzt die 7EUR Taxi von den 7,10 DB Bonn->Köln Süd abziehen? Warum nicht? Mit welchem Recht kontrolliert der Schaffner im Zug meine Fahrkarte, obwohl ich für einen saftigen Preis und Vorkasse mal so eben die Fahrtzeit HH-BN verdoppelt bekommen habe?

  • Was bringt das mir wenn ich weiß das auf der Strecke Xy um 14 Uhr kontrolliert wurde. In Frankfurt steigen die Kontrolleure ein, kontrollieren zwischen 2 Haltestellenund steigen dann wieder willkülich um in die nächste S-Bahn. Was bringt es mir da mich vorher auf Facebook zu informieren

  • Wollte auch gerade den MVV-Blitzer ergänzen, der erfreut sich noch reger Beteiligung.
    Wobei in München das Schwarzfahren auch eher schwer ist zur Zeit, bei den Ausfällen.^^

  • Für mich muss ich ja sagen, dass ich dank Handyticket weniger schwarz fahre. Sonst war schon mal der Automat kaputt oder kein passendes Kleingeld zur Hand.
    Bin allerdings noch nie in eine Kontrolle damit gekommen, wie das dann fubktioniert.

  • Die Idee den Nahverkehr in Großstädten generell kostenlos zu machen hätte doch enorme Vorteile.
    – Man hätte weniger Autoverkehr
    – Man spart sich die Kontrolleue
    – Man spart sich die Verkaufsstellen
    – Man muss nicht Automaten leeren

    Sicher würden eine Vielzahl Leute vom Auto auf Bus und die Ubahn umsteigen, was doch die Politiker angeblich wollen, und für die Umwelt sicher gut wäre. Durch diesen Zuwachs bräuchte man mehr Busse und somit auch wieder mehr Personal. Also gibt es nicht mehr Arbeitslose deswegen.

    Nun gut, bei 650 Mio Einnahmen 2010 (München) stellt sich natürlich die Frage: Wer soll das bezahlen?

    Andererseits kostet eine Fahrt in die Stadt 2,20 – 2 Erwachsene 1 Kind kommen da auf 11 Euro – mit der Tageskarte etwas weniger. Da ist das Auto immer eine Alternative! Billiger, schneller und bequemer.

  • Finde ich auch, Susi. ÖPNV ist Infrastruktur, wie Wasserleitungen oder Straßen. Zumal eine Verbrauchsgerechte Abrechnung überhaupt nicht funktioniert. Oben hatte ich noch geschrieben dass ich 7,10 für eine einfache Strecke BN-Köln zahle. Das mache ich gar nicht, ich habe ein Jobticket für 50EUR, mit dem ich ständig zwischen Ahrweiler und Dormagen herumfahren könnte. Bei den unglaublich übertrieben teuren Einzeltickets lohnt sich das Jobticket auch für mich als sehr-selten-Fahrer. Dass man, wie Du schreibst, für einen kurzen Ausflug in die Innenstadt mit der Familie mit dem Auto auch noch billiger wegkommt, ist einfach ein Unding.

  • Es wär auch mal ne gute Idee die Parkgebühren zweckgebunden zu erheben. Oder für Gäste die Kurtaxe inklusive der Bustickets usw.

    … oder die Hotel MwSt wieder auf 19% und in den Nahverkehr – naja vielleicht bei der nächsten Regierung;-)

  • es gibt bald jeden Tag neue Dinge über welche man sich aufregen kann oder auch nicht. Aber wenn ich das hier so sehe. Das mit dem schwarz fahren ist sicherlich so eine Sache aber man sollte doch einmal darüber nach denken das die meisten dies nicht machen weil es spaß macht. Viele die schwarz fahren haben einfach mal nicht die Finanziellen Mittel oder haben es schlicht weg vergessen zu bezahlen, diese trifft es dann jetzt noch viel härter… Ob das so der Sin des ganzen ist… Ich bezweifel das