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Blogwasserstand: Halbvoll oder Halbleer

Die Deichwarte machen sich Sorgen um den Rückstand der deutschen Blogosphäre gegenüber anderen Nationen wie den USA oder Japan gegenüber der deutschen Bloglandschaft. Anlass war die kürzlich gelaufene Konferenz LesBlogs in Paris mit einem der Redner namens Jochen Wegner.Heise:

Jochen Wegner, Wissenschaftsredakteur des Focus, zeichnet ein pessimistisches Bild. Deutschland ist definitiv Entwicklungsland in Sachen Blogs.“ Zur Untermauerung dieser These stellte er die Versorgung mit Breitbandanschlüssen und die Anzahl der Weblogs unterschiedlicher Länder gegenüber. Wegner: „Das ist recht fair, denn Bloggen ist ein Breitband-Phänomen.“ Legt man diese Zahlen zu Grunde, findet man Deutschland nicht nur weit hinter den USA und Japan, selbst China hat einen mehr als deutlichen Vorsprung. Aber Wegner hat noch weitere Thesen für die deutsche Blog-Verweigerung parat:

* Es gebe nicht ein einziges wirkliches „Impact-Blog“,
* keine ernsthaft betriebenen professionellen Blogs
* und sehr wenig qualitative Blogs.
* Ferner seien die Eliten in Deutschland technologiefeindlich,
* die Menschen würden sich sehr an Reputation orientieren,
* in Deutschland existiere keine Kultur der Rhetorik,
* und schließlich gebe es kein öffentliches Verständnis für Blogs oder wenigstens für die Idee des „Freedom of Speech“.

Nico, Manager von Blogg.de, meint, es könnten gerne mehr sein (was soll man denn sonst sagen, wenn man verantwortlich für sein Business ist, daß es etwa gerne weniger sein könnten?):

Ich jedenfalls teile Jochens Einschätzung, dass zum einen in Deutschland an einem Grossereignis fehlt, das in den Blogs entsprechend thematisiert wird und dazu führt, dass sich mehr Leute in ihren Blogs mit dem Thema auseinandersetzen, zum anderen aber auch erst Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Bloggen wirklich populär machen werden. Das Schöne an Jochens Thesen ist ja, dass sie überspitzt formuliert wurden, so dass man sich daran reiben kann. Mir jedenfalls würden 5 Päpste auch Spass bringen, Gegenpäpste waren im Mittelalter schliesslich nahezu Normalität.

Jochen selbr will keinem auf die Füße treten und relativiert den Heise Bericht (von Mario Sixtus geschrieben):


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Weil Nachrichten gerne etwas knapp ausfallen, hier ein paar Erläuterungen zu den recht kurzen, hie und da womöglich misszuverstehenden Punkten, die teilweise den Folien entnommen wurden. Es gilt das dazu gesprochene Wort.

Stefan nervt der Bloghype, Mr. Ich-will-Werbeeinahmen-SWR findet, daß Jochen ein Newbie ist, der nicht berufen ist, etwas zum Blogwasserstand zu sagen und Silberlinge mutmaßt, daß bloggende deutsche Unternehmer/n dann vom anderen Stern sein müssen, wenn es so wenige Blogs überhaupt in D gibt.

Hm… was nun? Man kann zB der These von dogfood & Heikos stante pede Schlußfolgerung folgen (siehe Kommentar bei Lumma), daß „> der franzose an und für sich ist ein schwätzer. (dogfood)
Da sind dann aber viele Franzosen im Heise-Forum (Heiko)
.“
Yep, der saß… ich muß mir gerade die Lachtränen wegwischen :-)))

Also was nun? Ist das schlimm? Muß man morgen zum Arzt? Nein, es sei denn, man hängt mit Leib und Seele am Blogwesen und leidet unter der vermeintlichen Rückständigkeit der deutschen Blogosphäre. Was ist denn rückständig? Ein Gedankenspiel: Ist es rückständig, daß ein ganzes 1. Bundesliga-Fußballstadion voll mit Menschen ist und alle bloggen? Wie hoch ist das Fassungsvermögen des größten deutschen Stadions? Ich tippe auf Berlin mit 80.000, weiß es aber nicht, sorry. Auf jeden Fall wird das größte Stadion nicht ausreichen, diese Menschenmasse aufzunehmen. Und nun stellt sich einer auf den Anstoßpunkt hin, nimmt ein Mikro und schreit rein „ihr seid zu wenig, rückständig seid ihr auch„. Alle werden sich anschauen, ins Stadionrund blicken, die schieren Menschenmassen erblicken, das Gedränge verfluchen und eventuell den armen Kerl auf dem Rasen bemerken. Wenns gut kommt, machen die eventuell eine La Ola für ihn.

Also nochmals: Sind wir zu wenig? Oh my… bullshit! Sind wir rückständig, weil wir keine Promiblogger haben? Sind „wir“? Sind wir was? Ein jeder blogged warum auch immer, der allergeringste Teil aus geschäftlichen Interessen am Blogging. Natürlich bereitet es dem geschäftlichen Teil der Blogschaufelverkäufer Sorgen, daß es nicht schneller geht. Je länger ein Business dauert, umso schlechter die Chance auf einen schnellen ROI. Umso mehr kommen neue Player hinzu, die goldene Schaufeln verkaufen. Ich habe nix gegen Geld verdienen, auch nicht mit Blogs, es ist eine neue Geschäftsgelegenheit und füttert möglicherweise ein paar Menschen mehr durch. Aber Sorgen machen würde ich mir nicht. Irgendwann ist ein Stadion nicht genug, da wird es eine Großstadt sein, dann Hessen, dann halb Deutschland vielleicht sogar. So what? Wenn ein jeder der Geschäftemacher wüßte, wann man wo und wie in was investieren sollte, würde der nicht klagen müßen. Und genau das macht ja Unternehmertum so spannend. Den privaten Blogger interessiert es also nicht, wie die Volksblogstatistken aussehen, er nimmt es höchstens mit einem Randblick wahr.

Man sollte nicht fragen, warum Deutschlands Bloglandschaft zurückhängt, sondern einfach nur feststellen, daß es manch einem nicht schnell genug gehen kann. Es geht dabei nur um Business,Ungeduld und sonst nix. Kommt Zeit kommt Blog. Kommt Blog kommt Geld. Kommt Geld für wen?

Das sind lediglich meine entspannten und neugierigen Blicke in die Strategien und Erwartungshaltungen der Businessblogger. Guter Kuchen braucht seine Zeit eben :-))

Einige Randbemerkungen zum Schluß, warum in meinen Augen eine Kommerzialisierung der Blogosphere nicht schlecht ist. In einem wirtschaftlich ausgerichteten System ist es gut und wichtig, daß man Mehwerte schafft. Das ernährt – wie oben angedeutet – manch eine Familie. In Deutschland sind es ca. 34-38 Mio. Privathaushalte, die vom Wirtschaftskreislauf mal mehr mal weniger gefüttert werden. Und zum Wirtschaftskreislauf gehören bereits jetzt schon Blogs. Mit diesem neuen Kommunikationswerkzeug können Entwickler, Berater, Referenten, Bloghoster, etcpp ihre Brötchen verdienen. IT/Kommunikations/Rechtsabteilungen werden sich damit auseinandersetzen und solche Tools (Kombinationen aus RSS/Blogs/Wikis/Social Networks/Podcasts/etc) einsetzen. Man wird neue Wege entdecken, das Infomanagement innerhalb der Firma zu verbessern. Die Unternehmen werden auch dadurch ein Stück weit effizienter. Und mit zunehmenden Blogzahlen wiederum weitere Brötchenmacher ins Spiel bringen, wie zB Werbeagenturen, PR-Agenturen, Sponsoren. Je mehr bloggen, umso mehr werden ein Blog aufsetzen. Das war in der IT-Historie bei Überschreiten einer imaginären kritischen Masse nie anders.

Vor 30 Jahren gab es zB nicht die „ITK-Branche“. Heute werden rund 10% des BSP (mehr, weniger?) aus diesem Bereich erwirtschaftet und ich weiß nicht wie viele 100.000nde von Menschen beschäftigt. Beklagt einer heute, daß man einen PC besitzt? Ein Telefon? Blogs sind nur ein weiteres Stückchen auf dem Weg ins Irgendwohin. Es ist also nicht schlimm, was da passiert. Es wird und kam auch schon zu überhitzten Erwartungen. Das ist ein normaler Lernprozess, bis man ein Tool richtig einordnen und verstehen kann. Kann mich gut an die Zeit erinnern, als die ersten Firmen E-Mails im Intranet einsetzten. Oder gar Intranet-Homepages. Was für eine schleichende Revolution. Keine Socke wußte damals etwas damit richtig anzufangen. Es gab wesentlich mehr Nörgler als Visionäre. Und tatsächlich, wer konnte damals schon die Bedeutung dieser „Tools“ auf die Geschäftsprozesse vorausdeuten? Niemand besitzt diesen vorausschauenden Blick, was genau passieren wird. Man kann es immer nur erahnen. IP-Telefonie? Wie lange hört man schon Voice-over-IP? Und wie lange hat es gedauert, daß diese Technik langsam aber sicher die alte Telefonie ersetzt? Und es wird noch Jahre dauern, bis das mehrheitlich in die Privattelefonie Einzug hält.

Blogs? Wird die Kommerzialisierung der Bloglandschaft also wehtun? Ich stelle nochmals fest, daß sich kaum jemand über die Telefonie beklagt. Es wird seinen normalen Weg gehen, wohin auch immer. Und es wird hoffentlich verdammt viele Mäuler ernähren. Blogs haben weltweit einen fantastischen Durchstarter hingelegt, in Deutschland ist es großartig, daß weit über 50.000 Blogs aktiv sind.

Mein Gott, diese klitzekleinen Mistdinger – die für einen guten Developer kein Programmierproblem darstellen – haben die Barrieren für asynchrone Internetkommunikation unglaublich gesenkt, in der Praxis finden sich mittlerweile vielfach bewährte Wege, abgeleitet aus dem Blogsystem, wie man Informationen verteilen, anreichern, ablegen und mit neuen Informationen verknüpfen kann. Sie sind eine Fortsetzung der Entwicklungsphasen des Netzes, was ich schon zig mal behauptet hatte (umso mehr freut es mich, daß hellere Köpfe als ich wie Joi zB diese Sichtweise ebenso verfolgen), daß in der Frühphase Maschinen, später Content und nunmehr der einzelne Mensch über das Netz mit anderen Menschen noch persönlicher verbunden wird, es gemeinsam erobert, formt und neue Dinge gemeinsam schafft. Nicht nur Blogs scheinen ein frühes Trägermodell für diese Vermenschlichung des Netzes sein, sondern auch Usenets, E-Mailing, Wikis, IM, Foren, Social Networks und was weiß ich noch was. Ich bin fasziniert von dieser Entwicklung.

Über den Autor

Robert Basic

Robert Basic ist Namensgeber und Gründer von BASIC thinking und hat die Seite 2009 abgegeben. Von 2004 bis 2009 hat er über 12.000 Artikel hier veröffentlicht.