am 13.+14.09. findet eine Tagung zum Thema
ICH, WIR & DIE ANDEREN
Neue Medien zwischen demokratischen
und ökonomischen Potenzialen II
in Karlsruhe statt. Veranstalter ist die staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie.
Unter anderem werden Don Alphonso, Peter Turi (die sich beide schrecklich lieb haben), Don Dahlmann und Dr. Michael Maier (Readers Edition) mit dabei sein. Ich mache im Panel „Forum Wir“ mit. Neben Dr. Maier und Dr. Grassmuck (Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik Berlin).
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Da ich meine Beiträge zu öffentlichen Veranstaltungen ins Netz stelle, mache ich auch diesmal keine Ausnahme. Laut ZKM wird das Thema wie folgt umrissen:
Der Titel der Veranstaltung steht inhaltlich für die von den Organisatoren getroffene Differenzierung der Betrachtungs- dimensionen: Was bedeutet, vermag und bewirkt das Soziale Web bzw. Web 2.0 für das Individuum bzw. den einzelnen Nutzer (ICH) und ein sich etablierendes oder bereits bestehendes Netzwerk (WIR)? Und schließlich: Was bedeutet, vermag und bewirkt dieses Phänomen für den Journalismus oder Konzerne (DIE ANDEREN)? Diskutiert werden diese Dimensionen jeweils von einem Wissenschaftler, einem versierten Nutzer sowie einem netzaktiven Journalisten.
ein erster Probelauf, wird wohl noch einige Mal redigiert werden (was nun schon mindestens einige Male passiert ist, wird also noch weitergehen.)
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Wir: Das Diktat der Wenigen
365/12/30/7/24 We-Producing nonstop
Das metaphysisch nicht näher zu definierende Web 2.0 – das manche auch als „das soziale Web“ aufgrund der vorherrschenden Gesprächsdominanz der Social Networks bezeichnen – versteht man weitläufig als das Mitmach-Netz. Jeder kann mit jedem, kultur- und länderübergreifend. Jeder kann seiner Individualität Ausdruck verleihen, jeder kann kleinste Interessensgruppen finden und sich anschließen, jeder kann bloggen, Bilder hochladen, Videos ins Netz stellen, seine Meinung kundtun, sein Wissen teilen und ein explizites Geflecht aus sozialen Netzwerkknoten knüpfen. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, zwischendurch durch Essen und Arbeiten unterbrochen. Das alles hört sich herrlich frei an, jeder kann selbstbestimmt das tun, wozu er Lust hat. Die Entfaltung einer Gesellschaft wird durch das Netz gefördert, sollte man meinen. Miteinander, und es gibt keinen Zweifel daran, dass Menschen im Miteinander mehr bewegen können als zu Zeiten der kleinsten Volksstämme, die kaum miteinander vernetzt waren, schon alleine durch die räumliche Entfernung. So konnte eben der frühzeitliche Komponist nicht auf begabte Musiker am anderen Ende der Welt zurückgreifen, um seiner Komposition einen klanglich-perfekten Ausdruck zu verleihen:) Ist dem aber so, dass uns das neue Mitmachzeitalter („web 2.0“) mehr denn je ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten bietet? Können sich die Menschen gemeinsam frei finden, frei entfalten und frei weiterentwickeln? Oder gibt es Barrieren, die auch im Netz den Individuen im Wegen stehen? Die dann natürlich auch den Aufbau von Net-Tribes hemmen? Dass das Netz noch weit davon entfernt ist, das Wir vergleichbar zur physischen Realität zu stärken, zeigt bereits dieses gedankliche Beispiel: ich kennen niemanden, der sagt, dass er „Internet ist“. Ich kenne aber viele, die sagen, dass sie Amerikaner, Chinesen, Deutsche sind. Dahinter steht ein Wir-Gefühl, etwas, das verbindet. Ebenso gibt es viele, die sagen, dass sie Sportler, Musiker, Produzenten und what ever sind. Ich kenne weniger, die sagen, dass sie Blogger, Podcaster, OpenSourcler sind. Zumindestens schwingt dann weitaus weniger Identität mit, im Sinne von Abgrenzung zu „ich bin nicht…“. Was schwächt aber das Heranwachsen eines gemeinsamen Netzverständnisses, eines gemeinsamen, im Netz gelebten Miteinanders ab? Zunächst das Individuum selbst:
Die Schizophrenie des Ichs
Man sollte annehmen, dass das Netz dazu beiträgt, einzelne Individuen weitaus besser zu vernetzen, als es jemals in der realen Welt möglich war und ist. Im Sinne des Longtails gesprochen und verstanden, entstehen abermillionen von kleinen Wir-Gemeinschaften, die der zunehmenden Heterogenität einer Gesellschaft Ausdruck verleihen. Und mehr noch, das Individuum kann in unterschiedlichen Gruppierungen eine jeweils andere, angepasste, soziale Identität annehmen. Auf einer Videoplattform ist Es der Verfechter einer Anti-Fake Personenpolitik. Keine Lonely-Girlies, die keine echten Personen sind. Auf einer Bilderplattform ist Es der Fotograf schlechthin für Landschaftsbilder, der Naturfreund, der Ruhige, der Ökologe. Auf seinem Blog ist Es der PR-Chef einer Agentur für Chemiekonzerne und versucht dort, eine Dialogkultur zwischen den Chemiefreunden ud Chemiefeinden herzustellen. Auf einem Social Network ist Es der anonyme Anführer einer Gruppe von Swingern, die gegen die sexuelle Monogamie kämpfen. Würde ich mit einem PR-Chef, der zugleich sexuell sehr freizügig, ökologisch, chemiefreundlich eingestellt ist eine kleine Gruppe von Gleichgesinnten bilden wollen, wenn ich all das wüsste? Weiß ich aber nicht, da ich immer nur einen Teil dieser Person kenne, deren einzelnen Bruchstücke seiner Identität völlig verteilt im Netz, teilweise anonym, liegen. In der Realität wohl kaum. In der Virtualität zunächst ja, bis eines Tages seine anderen Identitäten zum Vorschein kommen. Das zugleich zeigt aber, wie unterschiedlich die Welten sind. Im Netz kommt es nicht drauf an, dass ich eine Person ganzheitlich kennenlerne, bevor ich mit ihr zusammen etwas tue, was auch immer. In der Realität schon. Wir stellen uns also zufrieden mit Teilidentitäten. Und erstaunlicherweise funktioniert dieses Zusammensein im Netz bis hin zu großer, empfundener Nähe im geistigen Sinne. Dennoch, das Miteinander wird im Netz insgesamt gesehen weitaus schwächer empfunden. Aber, wird es umgekehrt in der physischen Welt dazu führen, dass man Personen trotz Widersprüchlichkeit differenzierter lernt zu lesen und zu akzeptieren? Welche Folgen hat das? Bevor das aber passiert, muss das Mitmachnetz noch offener und freier werden als heute? Dazu mehr in den folgenden Punkten.
Raus aus der Zwangsjacke, rein in die Zwangsjacke
Brave new world, jedem das seine, wie mans gerne hat, austoben und ausleben. Raus aus der Zwangsjacke der Gesellschaft. Wir werden alle glücklichere, bessere, freiere Menschen. Jedoch sehen die Realitäten anders aus. Man muss bedenken, dass all diese we-Inhalte nur von Wenigen produziert werden. Man spricht dann auch gern von der 1%-Regel. Wenige tragen einen überproportional hohen Beitrag zu den Gesamtinhalten bei. So haben rund 2-3% der Wikipedianer-Nutzer rund 60% der Inhalte beigetragen. Auf anderen Mitmachplattformen sieht das nicht anders aus. Überträgt man das gedanklich auf die klassischen Medien wie TV und Printpresse, so könnte man zum Schluss kommen, dass Wenige Öffentlichkeiten und Bedeutungshoheiten für Viele schaffen. So weit weg ist der Gedanke nicht. Obwohl man vom Mitmachnetz für alle spricht, läuft ein der Großteil der Aktivitäten durch ein Nadelöhr, das wenige Nutzer „kontrollieren“ und „beeinflussen“.
Gehen wir hierzu auf die deutsche Blogosphäre ein, um eine dieser brave new worlds genauer zu betrachten. Blogs sind ein Bestandteil des Mitmachnetzes: Jeder kann Bloggen, jeder kann mitlesen, jeder kann mitkommentieren. Es gibt unzählige Blogs, um die sich Gleichgesinnte bzw. Interessierte sammeln. Kleine Wirs an vielen Stellen. Wie sieht es denn mit dem „Wir“ dort aus? Ist das einzelne Individuum frei in seinem Tun wie auch seiner Entfaltung und welches „Wir“ hat sich denn dort kristallisiert?
Lex Blogii Externali – das Diktat der Mehrheit
Quae bloggio non sancit quod vult, aut iubendo, aut vetando*
Zunächst einmal gibt es externe Effekte, die Blogger daran hindern, sich so zu entfalten, wie man es eigentlich gedenkt zu tun. Das Recht ist ein scharfes Schwert, das nicht nur schützt, sondern auch das Tun limitiert. Versteht man Blogs als öffentlichen Raum, ist jedes geschriebene Wort, jeder geschriebene Satz unter juristischen Aspekten nicht frei gedacht und gesagt. Die zahlreichen Abmahnungsfälle haben Narben hinterlassen, so dass mindestens die Hälfte aller Blogger laut einer stichprobenartigen Umfrage heute mehr denn je über die Konsequenzen nachdenken müssen. Das betrifft jedoch nicht nur die Blogger, sondern auch die Kommentierenden. So ist es heute nicht möglich, auf einem Blog als öffentlichen Raum miteinander zu diskutieren, wie man bspw. ein Unternehmen boykottieren kann. In einem realen Umfeld sehr wohl. Das „Wir“ wird, wenn man so will, in seiner letzten Konsequenz unterdrückt. Damit aber ein echtes Wir entsteht, müssen die einzelnen Beteiligten ihren Gedanken auf anderen Wegen Ausdruck verleihen, was dem offenen Charakter des Blogs, dem Blog als Sammelplatz des Wir-Gefühls widerspricht. Man kann sich eben nicht persönlich „einfach so“ alternativ treffen. Also müsste man auf Mailinglisten oder geschlossene Forengruppen ausweichen, das ist aber für viele Beteiligte eine zu hohe Hürde, zudem ein zu frühes Commitment. Diesen Schritt geht man erst dann, wenn man sich als Gruppe sicher ist, ein Wir mit einer gemeinsamen Identität und einem gemeinsamen Verständnis zu sein. Das kann nur in einer offenen Umgebung geschehen. Muss man aber zu früh in den „Untergrund“ gehen, wird es ebenso schwerer, weitere Mitmacher zu finden. Das Recht ist lediglich nur ein externen Faktor, neben dem allgemeinen Verständnis von Moral, Ethik und Bräuchen. Von dem sich das Netz selbstverständlich nicht lösen kann, denn es sind -banal- Menschen, die das Wir-Netz ausmachen. Die im realen Leben geprägt wurden. Und damit all ihre Eindrücke mit ins Netz nehmen.
*Das Schriftliche Bloggische bestimmt nicht, was gutgeheißen oder abgelehnt wird. (abgewandeltes Zitat von Cicero)
Lex Blogii Internali – Das Diktat der Minderheit
Quae bloggio sancit quod vult, aut iubendo, aut vetando
Neben den externen Effekten gibt es interne Effekte innerhalb der Blogosphäre. Jede nationale Blogosphäre hat eine eigene Kultur entwickelt. Die hat niemand vorgeschrieben und festgelegt, sondern sie hat sich durch Einzelne entwickelt. Die deutschsprachige Blogosphäre hat zweifellos ihre Eigenheiten, die das Ich und das Wir mitbestimmen. In Deutschland ist das „Problembär“-Denken äußerst ausgeprägt. Alles ist ein Problem und muss zunächst kritisch beäugt und besprochen werden. Nun könnte man sagen, das ist kein Wunder, handelt es sich doch um das Land der Denker. Die den Dingen tief auf den Grund gehen. Adorno, Kant, Hegel, Marx, Jaspers, Nietzsche, Schopenhauer, und und und. Mein Gott, gibt und gab es jemals ein Land mit einer höheren Denkdichte? Man verzeihe mir den Brückenschlag, aber betrachtet man einflußreiche, deutsche Blogger, ist das wie ein Spiegelbild. Es gibt einen tiefen Grund, dazwischen Schicht um Schicht an Problemen. Es mag also nicht verwundern, dass zB das bekannteste deutsche Blog ausgerechnet ein Watchblog ist. „Wir haben ein Problem“ mit der Bild. Spreeblick: „Wir haben ein Problem mit uns“. Blogbar: „Wir haben ein Problem mit der Wirtschaft, den Bloggern und der Presse“. Stefan Niggemeier: „Wir haben ein Problem mit der Presse und Callactive“. Indiskretion Ehrensache: „Wir haben ein Problem mit der PR, der Presse und überhaupt“. Die Liste der Prominenzblogger ließe sich beliebig weiterführen. Prominenzblogger sind in Deutschland Problemblogger. Und genau wie der externe, juristische Effekt begrenzt er die Freiheit des Ichs ebenso wie die freie Entfaltung des Wirs. Jeder, der sich schon mal mit dem Bloggen befasst hat, wird diese Gedanken kennen: „wie betrete und durchwandere ich die Blogosphäre, ohne von links, von rechts, von hinten, von vorne oder von allen Seiten erschossen zu werden. Wie blogge ich richtig. Wie blogge ich falsch. Was darf ich. Was darf ich nicht.“ Muss man sich denn überhaupt wundern, dass viele erst gar nicht zum Bloggen antreten, weil sie genau davor zurückschrecken? Natürlich ist es äußerst schade, dass so zahlreiche Themen und Interessensgruppen nicht zusammenkommen, weil diese Felder offen gelassen werden. Blogs sind per se ideale Magneten im Netz, gemeinsame Interessen zu vernetzen.
*Das Schriftliche Bloggische bestimmt, was gutgeheißen oder abgelehnt wird.
Reality follows Virtuality
Um also vom Ich zum Wir-Verschiedene-Viele zu kommen, ist es noch ein weiter Weg. Was das Blogbeispiel angeht: selbstverständlich spiegeln die einflußreichen Blogs das wider, was eine Gesellschaft ausmacht. Wir sind nicht die US-Blogosphäre, die aus einer Aneinanderreihung von Glitzer-Blogs wie Engagdet.com besteht, wo aber auch die freie Entfaltung des Individuums mit allen Für und Wider in das genetische Kulturgut verankert wurde. Dort könnten zwar Menschen wie Dave Weinberger, Doc Searls, Dave Winer -allesamt Mit- und Vordenker der Weblogs- versuchen, das Blog-Diktat an sich zu reißen, es würde aber niemanden so sehr jucken wie in Deutschland, wenn sie denn hier leben würden. Das unterschiedliche Gefüge ist weder besser noch schlechter, da jede Gesellschaft ihren eigenen Weg geht. Doch eine Besonderheit gibt es: das Internet beginnt, die Gesellschaften zu beeinflussen. Nicht mehr nur das reale Leben ohne Netz, was uns seit Jahrtausenden geprägt hat. Es gibt keine Einbahnstraße Realität->Virtualität. Alles, was wir tun, beeinflusst die Umgebung und die Umgebung wiederum uns in einem unendlichen Kreislauf. Ob es aber das Wir und das Ich einfacher und besser gestaltbar macht, was auch immer einfacher und besser sein soll, das können wohl nur Adorno, Hegel und Kant sagen. Die sind aber leider tot. Also müssen es wir mit uns selbst ausmachen.
In diesem Sinne „we yourself„.
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hey, die Sonne scheint, das Leben ist easy, und nun so ein Beitrag? Locker, es ist ja nicht für jetzt, sondern fürs ZKM-Forum:) Bin mir aber nicht sicher, ob ich die Zusammenhänge richtig gedeutet habe. Alles so Henne-Ei mäßig, wie soll man das auseinanderwuseln?
Btw, kann jemand Latein? Ich hab zwar das Große Latinum, kann mir dafür aber nix kaufen: Wie heißt es denn korrekt? Lex „Blogis Externales/Internales“. Das interne und das externe Blog-Gesetz. Wie übersetzt man das richtig? Müsste es nicht Lex Blogum heißen? Und wie lautet das internales und externes? Internum, internae, internis? Hm…
Update, Dank der Mithilfe der ZKM-Mitarbeiter kam das heraus:
kurze rumfragerei im hause ergab:
– hä? blog ist doch kein lateinisches wort?!
– welcher kasus darfs denn sein?
– soll das: das interne und externe recht des bloggens oder
bloggen des internen und externen rechts heissen?rausgekommen ist dann:
lex blogii internali/externalioder wahlweise das pikante:
lex blogii internalii/externalii