Ich will im Folgenden ein wenig poltern, deshalb stelle ich gleich am Anfang die gerade veröffentlichten Zahlen vor. Nokia macht in diesen Tagen eine extreme schlechte Figur. Die Quartalsergebnisse sind raus und auch, wenn sich 1,1 Milliarden Dollar Gewinn in der Handy-Sparte nicht schlecht anhören, so ist es doch nichts gegen die die 1,6 Milliarden, die Apple zwischen Juli und September dank des iPhone einfahren konnte. Dass der kleine Wettbewerber den Mammut (sowohl in der Größe als auch in Alter) des Mobilfunks mit einem Produkt (das es vor zwei Jahren noch gar nicht gab) links überholt, ist auf den ersten Blick mehr als überraschend. Nokia beherrscht rund 44 Prozent des weltweiten Handy-Marktes, während Apple die 11-Prozent-Marke bereits im Blick hat. In konkreten Zahlen ausgedrückt: das iPhone wurde im dritten Quartal 7,4 Millionen Mal verkauft, Nokia vertickte 108,5 Millionen Geräte. Wie es so etwas geben kann?
Vielleicht habe ich hier eine Antwort: Wer blickt beim Nokia-Lineup (hier schön vom Kollegen Lücke zusammengetragen) denn überhaupt noch durch? Geht man auf die Produktseite der Finnen, heißt es: „139 Modelle entsprechen Ihrer Auswahl.“ Wie viele Zielgruppen sollen hier bedient werden? Und ich schätze, genau das ist der Grund, weshalb Nokia im Smartphone-Segment immer weiter an Bedeutung verlieren wird.
Wer so breit aufgestellt ist, verliert in diesen Zeiten schnell die Orientierung – und damit auch die Kunden. Als Steve Jobs Mitte der Neunziger zurück zu Apple kam, bestand seine erste Amtshandlung darin, im Produktportfolio einen radikalen Kahlschlag zu veranstalten (ich habe in seiner sehr sehenswerten Keynote von 1998 mal an die richtige Stelle vorgespult). Dieses vertikale Geschäftsmodell (also lieber auf wenige Zugpferde zu setzen, sie dafür aber gescheit zu trainieren) hat sich für Apple schnell bezahlt gemacht – wie wir sehen nicht nur im Rechnermarkt, sondern auch bei den eigenen Projekten im Mobilfunk.
Sicher, man sollte nicht verschweigen, dass Apple beim iPhone ganze andere Margen erzielen kann, als Nokia beispielsweise mit dem 1200. Doch den Finnen steht derselbe Weg offen! „Streamlining“ heißt das Zauberwort, das BWLer gerne in den Mund nehmen, wenn sie eigentlich nur von „Ausmisten“ reden. „Loslassen lernen“, würden Therapeuten dazu sagen. Denn der Gegenwind wird immer rauer. LG, Samsung, HTC – jetzt kommt auch noch das totgeglaubte Motorola und wirft plötzlich mit dem Droid neue Maßstäbe auf das Marktparkett.
Nokias Antwort? Das N900. Kennt ihr nicht? Ja, kein Wunder. Weil es ja unter geht – in dem ganzen PR-Tanz rund um die 140 anderen Modelle. Da hilft leider auch kein noch so gut gemachtes Werbevideo. Spezialisten sind gefragt, keine Allrounder – Mann!
(André Vatter)