Dr. Kai Gniffge ist ein Medienprofi – das sieht man immer wieder. Kurz vor Weihnachten hatte der Chefredakteur der Tagesschau nonchalant angekündigt, dass es schon im neuen Jahr eine iPhone-App für die Nachrichtensendung geben werde: dank der Rundfunkgebühren sei sie dann sogar für alle Nutzer kostenfrei! Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung bei den Gebührenzahlern und vor allem bei den privaten Verlagen los: „Wettbewerbsverzerrung!“ wurde bei Springer gerufen. Die ARD wolle ein neues Geschäftsfeld der Presse „bereits im Ansatz zerstören“, maulte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, ebenso der Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Gestern ging dann gar der Bund der Steuerzahler auf die Barrikaden: „Zunächst müssen die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten ihrem Auftrag gerecht werden“, motzte der Bundesgeschäftsführer Reiner Holznagel in der BZ.
Gniffke muss sich das Theater von Hamburg aus amüsiert angesehen haben: eine kleine App und die machen so einen Aufstand! Doch in der Nacht zum Mittwoch zog er erstmals die Reißleine. Der Grund? Nun, die BILD hatte schweres Geschütz aufgefahren und schließlich das komplette Gebührensystem öffentlich in Frage gestellt („Der GEZ-Irrsinn“).
Wir sind der Sündenbock
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Kurz nach Mitternacht setzte sich Gniffke deshalb vor seinen Rechner und schrieb einen längeren Post im Tagesschau-Blog: „Holla, was da alles aufgefahren wurde“, fasst er dort die Ereignisse der letzten Tage zusammen. Bei dem ganzen Wirbel würde es sich jedoch in erster Linie um ein großes Missverständnis handeln. Medienrechtlich sei das Vorhaben nicht zu beanstanden, da die Inhalte 1:1 vom bestehenden Programm in die App übernommen werden. Dem Gebührenzahler würden es darüber hinaus keinen Cent extra kosten: „Der Content für diese App ist wie erwähnt bereits vorhanden und erfordert deshalb kein zusätzliches Personal geschweige denn zusätzliche Gebühren. Es ist ein einmaliger Programmieraufwand erforderlich. Dies müssen und können wir im Rahmen unseres Wirtschaftplanes leisten“, so Gniffke.
Nach eigenem Bekunden würde er die Bedenken der privaten Nachrichtenanbieter nachvollziehen können, weshalb man bei der Entwicklung der App keine journalistischen Grundsätze über Bord werfen werde. Der Respekt gegenüber den Kollegen in den Verlagen, „die wirklich in einer schwierigen Situation stecken“, soll gewahrt bleiben. Doch dann kann sich Gniffke nicht helfen und stichelt wieder einmal zurück: „Aber wir sind nicht für diese Situation verantwortlich, sondern sollen wohl eher gerade als Sündenbock herhalten.“ Springer und Co. bräuchten sich vor einem GEZ-finanzierten Vernichtungsschlag der Tagesschau nicht zu fürchten: „Wir beschränken uns dabei (bei der App, Anm.) auf das harte Nachrichtengeschäft und werden dem ‚interaktiven BILD-Girl‘ sicher keine Konkurrenz machen.“
Lagerfeuer 2.0
Bleibt die Frage nach dem „Warum überhaupt?“. In Hamburg wird argumentiert, dass die Tagesschau, immerhin „ein halbes Jahrhundert“ als Institution in der Gesellschaft „verankert“, den Auftrag habe, die Menschen überall zu erreichen und sie sich deshalb den Trends der Zeit nicht entziehen könne. „Die Tagesschau ist gewissermaßen eines der letzten großen Lagerfeuer, um das sich Millionen von Menschen aller Altersgruppen versammeln“, sagt Gniffke. Ja. So ist das damals gewesen; als die Menschen kleine Puppen aus Stroh bauten und in die Flammen starrten. Gniffke will uns allerdings ein Lagerfeuer verkaufen, das auf einem 3,5 Zoll großen Multi-Touch-Widescreen-Display flackert – und nicht für jeden sichtbar ist.
Ich habe gerade eine Anfrage nach Hamburg geschickt, weil da für mich doch noch die eine oder andere Sache ungeklärt geblieben ist. Zwar sollen die Gebührenzahler nicht für die laufenden Kosten aufkommen – doch der einmalige Programmieraufwand muss entlohnt werden. Ich habe darum gebeten, uns mitzuteilen, ob schon ein Entwickler in Sicht ist und wie hoch das eingeplante Budget ist. Vielleicht geht es hier ja nur um ein paar hundert Euro – und der ganze App-Streit ist ein völlig überflüssiger Lückenfüller zwischen den Feiertagen. Sobald ich eine Antwort habe, gibt es sie an dieser Stelle.
(André Vatter)