Es gibt unzählige Arten, Nachrichten online zu konsumieren. Zwischen Nachrichtenapp, Digitalkiosk, Instant Article, Datenjournalismus, Clickbait, Twitter und E-Paper findet man sich nur schwer zurecht. Hendrik Geisler führt in seiner Kolumne durch den Mediendschungel und schreibt über Apps, Tools und Services für Leser und Medienmacher. Diesmal: News-Apps und ihre „Breaking News“-Eilmeldungen.
Warum ist das wichtig?
Die digitalisierte Nachrichtenwelt hält mehr Informationen für Nutzer bereit, als diese jemals in der Lage sind zu verarbeiten. Medien versuchen, mit ihren Apps Nutzer an sich zu binden. Eines ihrer Mittel sind vermeintliche Eilmeldungen, mit denen Aufmerksamkeit beim Empfänger generiert werden soll. Damit man nicht seine Zeit mit Geschwafel und unnötigem Aufmerksamkeitsgeheische verbringt, hat Hendrik Geisler sich mit Breaking News bombardieren lassen.
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Das World Wide Web hat den Menschen das Geschenk der vollumfassenden Berichterstattung gemacht. Wer zu einem beliebigen Thema das gesammelte Wissen der Menschheit nutzen möchte, um zu einem Experten zu werden, hat es heute leichter als jemals zuvor. Und wer lediglich das Bedürfnis verspürt, regelmäßig über die neuesten Meldungen auf den aktuellen Stand gebracht zu werden, findet tausende Angebote im Netz. Will man 24/7 Neues lesen, ist das im digitalisierten Alltag ein Zuckerschlecken. Früher hat man sich die Zeit genommen, – meist beim Frühstück – die Tageszeitung zu lesen und ist damit gut und ausreichend informiert durch den Tag gekommen. Abends gab es dann die Tagesschau und das war’s.
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Wer heute wirklich immer mitreden können will, muss mehrmals täglich die Nachrichtenseiten scannen und in den sozialen Netzwerken nachfühlen, über welche Themen diskutiert wird. Die einzelne Nachricht geht dabei häufig im Dauerrauschen des Informationssturms verloren. Wer schon einmal versucht hat, wirklich alles Wichtige, jeden vorgeschlagenen Artikel, sämtliche Newsletter und die gesamte Twitter-Timeline abzuarbeiten, weiß, dass 24 Stunden nicht ausreichen würden, auch nicht ohne Notwendigkeiten wie Schlaf, Essen und Arbeit. Damit Nutzer über das Allerwichtigste aber trotzdem informiert sind, schicken News-Apps Pushmeldungen mit Breaking News auf Smartphones und Tablets. Ich habe mir angeschaut, wie die verschiedenen Medienhäuser Eilmeldungen handhaben, ob es überhaupt wichtig ist, wer schneller die Nachricht hat, und wie man Breaking News verbessern kann.
Eine Woche Breaking News-Bombardement
Die deutsche Wikipedia definiert eine Eilmeldung als „eine journalistische Nachricht, die eine derart hohe Relevanz besitzt, dass eine reguläre Nachrichtensendung in Hörfunk und Fernsehen nicht abgewartet werden kann, sondern das laufende Programm unterbrochen werden muss“. Dass diese Definition bei der heutigen Verwendung des Begriffs überdacht und angepasst werden muss, liegt auf der Hand. Klassischerweise liegt die Verwendung der Eilmeldung beim Hör- und Rundfunk, seit Jahren aber werden Breaking News vor allem auch online verkündet. Mit dem Aufkommen eigener Apps haben die Medien die Chance genutzt, per Pushmeldung die Nutzer immer und überall über wichtige Ereignisse zu informieren.
Testweise habe ich mir die Apps von Upday, BR24, N24 News, tagesschau, faz.net, NYTimes, ZDFheute, Spiegel Online und stern auf mein Android-Smartphone geladen und mich fast eine Woche bombardieren lassen mit Eilmeldungen oder was die Betreiber der Apps dafür halten. Ziel des Tests war es, Häufigkeit und Relevanz der Breaking News zu bewerten. Schnell habe ich mich dazu entschieden, Benachrichtigungen per Ton zu deaktivieren. Ich hatte gedacht, dass in knapp einer Woche gar nicht so viel Bahnbrechendes passieren kann und mich mein Handy nur hin und wieder über das Geschehen wirklich wichtiger Dinge hinweisen würde. Oh, wie falsch man liegen kann. Ereignisse, die einer Eilmeldung bedurft hätten, waren rar; die Eilmeldungen hingegen nicht.
Nachrichten-App | Anzahl Eilmeldungen |
---|---|
BR24 | 8 |
N24 | 29 |
Spiegel Online | 13 |
Tagesschau | 8 |
ZDF | 8 |
Stern | 3 |
New York Times | 11 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | 7 |
Upday | 5 |
Häufigkeit: Dauerfeuer nervt
Nach unten sollte es eigentlich keine Grenze geben, da je nach Nachrichtenlage mehr oder weniger an die Nutzer rausgeht. Die Stern-App hat sich während der Testphase nur drei Mal bei mir gemeldet und geriet so etwas in Vergessenheit. Diese Feststellung darf jedoch nicht dazu taugen, die Arbeitsweise den Personen hinter N24 News anzupassen. Lieber denke ich nicht an eine App, die sich dann in wichtigen Momenten an mich wendet, statt aufgrund ständiger Benachrichtigungen so genervt zu sein, dass ich die App löschen möchte. Spiegel Online nimmt den zweiten Platz ein, hat aber ganze 16 Eilmeldungen weniger verschickt als die N24-App. Nimmt man die Ausreißer stern und N24 News aus der Rechnung, ergibt sich ein Durchschnitt von rund 8,6 Eilmeldungen pro News-App. Im Grunde ist dieser Wert auch nicht wirklich bewertbar, solange er nicht nach oben ausreißt. Warum es mir aber doch zu viel war, erläutere ich anhand der Relevanz.
„Modigliani’s ‚Nu Couché‘ was sold for $170.4 million, the second-highest price paid at auction“. „WADA-Kommission empfiehlt Ausschluss Russlands“. „Frisierte CO2-Angaben: VW übernimmt mögliche Kfz-Steuer-Nachzahlungen“. „Bundestag stimmt für Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe“. „Deutscher Urlaubern (sic!) in Kenia erschossen“. „Historiker Hans Mommsen gestorben“. Das sind einige der „Breaking News“, die ich in den vergangenen Tagen erhalten habe. Durch sie zieht sich ein roter Faden: Jede einzelne der Meldungen ist von Interesse, für mich sind sie aber kein einziges Mal so wichtig, dass ich dafür eine andere Tätigkeit unterbrechen möchte. Ich lese genug Nachrichten und erfahre von diesen Vorkommnissen auch ohne, dass sie mir vor’s Gesicht gehalten werden. Mein Handy vibriert, der Blinkfeed leuchtet auf, ein Signal ertönt oder ich sehe die Benachrichtigung, wenn ich nach der Uhrzeit schaue. Auf jeden Fall wird meine Aufmerksamkeit auf die Nachricht gelenkt.
Relevanz: 95 Prozent sind keine „Breaking News“
Das möchte ich aber nicht. Das amerikanische Satire-Blatt The Onion fragte bereits 2013, ob das Wort „Breaking“ seine Bedeutung verloren habe. Ich will gestört werden, ja. Aber eben nur, wenn die Eilmeldung für mich von Relevanz ist. Vielleicht kommt jetzt der Einwand: „Ja, mich interessiert aber das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe.“ Mag sein. Interessiert dich in gleichem Maß die Krise bei VW, der Tod eines Menschen in Kenia, dass ein bekannter Historiker gestorben ist, russische Leichtathleten in großem Ausmaß gedopt haben oder der Preis eines Kunstwerks bei einer Auktion? Wenn ja, dann lade dir fleißig die Apps runter und setze dich dem Breaking News-Dauerfeuer aus. Du kannst dann jetzt hier aufhören zu lesen.
Pi mal Daumen waren 95 Prozent der „Breaking News“ Meldungen, die man normal hätte online stellen können. Ein Aufruf an die Verantwortlichen: Man muss nicht alles, was der Agenturticker vor einer Minute rausgehauen hat, auf die mobilen Geräte jagen. Das bringt mich nur dazu, die News-Apps wieder zu löschen. Ausschließlich relevante Meldungen hat leider keine der Apps bereitgestellt. Besonders nervig – nein, ich hacke nicht extra auf der App rum – war N24. Neben Nachrichtenmeldungen bekam ich Programmhinweise, ein Listicle „Fünf wichtige Tipps zu Steuern: Wie Sie jetzt noch einmal richtig sparen können“ oder eine Eilmeldung, die mich zum Artikel „N24-Umfrage: Deutsche uneins über Transitzonen und Einreisezentren“ führte. Hätte man jetzt gedacht, dass Transitzonen für Flüchtlinge bei 99 Prozent der Deutschen der totale Renner sind, dann wäre die Meldung vielleicht noch wichtig gewesen. So ist sie einfach nur vollkommen aussagelos. Auf 29 „Eilmeldungen“ zu kommen, fällt bei der Herangehensweise nicht schwer.
Alles eilt = nichts eilt
Selbst die meisten wichtigen Eilmeldungen waren meines Erachtens nicht so relevant, dass man sie nicht auch wie jeden anderen Artikel hätte behandeln können. Zschäpe-Aussage wird verschoben auf nächste Woche? Muss ich nicht Minuten nach der Entscheidung wissen. Es gibt ein neues Dokument zur mutmaßlich gekauften WM 2006? Dafür unterbreche ich doch nicht meine Arbeit. Wahrscheinlich hat eine Bombe zum Absturz des russischen Fliegers in Ägypten geführt? Meldet euch wieder, wenn ihr das „wahrscheinlich“ durch ein „sicher“ austauschen könnt. Der Spiegel hat ein Gespräch mit Guido Westerwelle über dessen Krebserkrankung geführt? Sehr interessant, kann aber auch warten, bis ich eh die Nachrichten durchforste. Das Muster ist stets das gleiche: Alles Nachrichtenmeldungen mit wichtigen Informationen, aber eben auch einfach simple Nachrichtenmeldungen und keine Eilmeldungen. Die Überflutung mit Breaking News führt bei mir nicht zu gesteigertem Interesse an den Themen, sondern zu Überdruss und Gleichgültigkeit. Wenn alles eilt, eilt überhaupt nichts.
BR24 ist ein Lichtblick
Ein Lichtblick ist die App des Bayerischen Rundfunks. BR24 macht vieles richtig und auch bei den Breaking News sind sie auf einem guten Weg. Wenn sie ihren App-Nutzern auf die Geräte senden, dass die am gleichen Tag stattfindende Pegida-Demonstration soeben vom Kreisverwaltungsreferenten Münchens nun doch genehmigt wurde, ist das für viele bayerische Leser der Meldung mit hoher Wahrscheinlichkeit von Mehrwert und wichtig, diese Nachricht eilig zu erfahren. Gut gefällt mir bei BR24 auch, dass schon in der Vorschau der Pushmeldung die wichtigsten Fakten zu sehen sind. Als am Dienstag die Eilmeldungen eintreffen, die verkünden, dass das Arbeitsgericht Düsseldorf den Streik der Lufthansa-Flugbegleiter untersagt, kann ich – ohne auf die Meldung zu klicken – nur bei BR24 klar erkennen, dass sich diese Entscheidung nur auf Dienstag und den Standort Düsseldorf bezieht.
Dass Upday fünf Minuten schneller die Nachricht verbreitet hat, spielt für mich eine untergeordnete Rolle. Hat man mehr als eine, höchstens zwei News-Apps mit aktivierter Eilmeldung-Funktion auf dem Smartphone? Eher nicht. Ob jetzt diese oder jene App ein bisschen schneller war, merkt man also meist nicht, ist mir auch vollkommen egal und nur interessant für Beobachtungen. Ein viel größeres Problem ist, dass viele Eilmeldungen überhaupt keine Eilmeldungen sind, wie auch schon ein mittlerweile eingestelltes tumblr-Blog feststellte. Die Erfahrungen meines Tests zeigen sowieso, dass die Ergebnisse zur Schnelligkeit nicht konstant sind und mal die eine, dann wiederum die andere App vorne liegt. Wer es wissen möchte: Die Nachricht vom Tod Helmut Schmidts wurde bei mir als erstes und zugleich am detailliertesten von BR24 geteilt, dahinter liegt Upday. Spiegel Online, tagesschau und N24 News sind gleichauf und ZDFheute liegt weitere zwei Minuten dahinter. Welche Aussagekraft das jetzt hat, darf jeder für sich selbst entscheiden.
„Thanks for bugging me“
Und was sind dann gute Breaking News? Mein Gefühl sagt mir: Gibt es momentan nicht als Gesamtpaket eines Anbieters. Bei Apps, die mich die Nachrichteninhalte personalisieren lassen, sollte es doch eigentlich auch möglich sein, nur Eilmeldungen zu bestimmten Themen zu bekommen und auch festzulegen, ab welchem Grad der Schlagkraft einer Meldung ich unterrichtet werden möchte. Dann könnte jeder für sich selber entscheiden, ob man über alles, was irgendwie verkündet wird, direkt Bescheid wissen muss oder ob meine Routine wirklich nur Breaking News durchbrechen dürfen, die es wert sind. News, die mich staunen lassen, über die ich sofort mehr wissen muss, über deren Sprengkraft ich den Rest des Tages mit Kollegen und Freunden reden werde, Nachrichten, die es wert wären, dass ein wildfremder Mensch mich in der Bahn beim Lesen stört, um mir sie zu verkünden. Das wären wahre Breaking News.
Der amerikanische Autor und Internet-Guru Jeff Jarvis schreibt in seinem Buch „Geeks Bearing Gifts: Imagining New Futures for News“ (kostenlos!):
I think there is an opportunity to build services that specialize in the alert – the real alert, the kind of update that […] is worth the interruption, that makes the user say, ‚thanks for bugging me‘.
Danke für die Störung! Wer eine App entwickelt, die mir Breaking News auf die Scheibe schmeißt, die mich das sagen lassen, meldet sich bitte bei mir. Den ersten Download hätte die Person sicher.
Welche App nutzt du für Breaking News? Gehen dir vermeintliche Eilmeldungen auch auf die Nerven oder beziehst du aus ihnen deine Informationen? Kennst du eine wirklich gute App für Breaking News? Schreib mir hier in den Kommentaren oder auf Twitter (@hendrikgee) mit #Mediendschungel.
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Interessant und schöne Analyse! Könnte mir vorstellen, dass man solch ein Thema auch als wissenschaftliche Arbeit ausweiten könnte.
Habe das vor kurzem auf dem iPad getestet. 2 Wochen, 28 Apps, 1350 Push-Nachrichten. Es hat sich also nichts gebessert.
https://medium.com/@querdenker/das-ist-keine-eilmeldung-wie-uns-medien-mit-push-nachrichten-terrorisieren-d9f448f6e3e4#.xq6fywrhp
Das Lob für die BR 24-Pushnachrichten kann ich aber nicht ganz nachvollziehen, da hat mich die MDR Sachsen-Anhalt-App mehr überzeugt.
Meiner persönlichen Meinung nach fehlen hier ein paar „größere“ Publikationen mit eigener App und „Breaking News“ Push-Notifications Funktion in der Übersicht. Ansonsten ein schöner Artikel, den man in einer größeren Untersuchung noch einmal aufgreifen könnte. Allerdings ist das Empfinden, was jetzt wirklich relevant und was nicht ist, ziemlich Subjektiv.
[…] am 11.11.2015 beschäftigte sich BasicThinking mit den Nachrichtenapps und ihren häufigen Eilmeldungen und weißt darauf hin, dass es […]