Grün

Das bolivianische Internetfiasko

geschrieben von Marinela Potor

Marinela Potor ist digitale Nomadin. Kein fester Wohnsitz, immer unterwegs, Leben auf Reisen. Für viele ein Traum, für andere ein Graus. Bei BASIC thinking und auf Mobility Mag berichtet Marinela wöchentlich von ihren Reisen, was es mit dem Leben aus dem Rucksack auf sich hat und warum es sich lohnen kann, auch mal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.

Mein erstes Mal

Wir schreiben das Jahr 2012. Ich habe gerade all meine Zelte in Chile abgebrochen und toure mit Freund und einem viel zu schweren Rucksack durch Südamerika. Es ist mein erstes Mal. Mein erstes Mal, dass ich online arbeite und gleichzeitig reise. Mein erstes Mal als digitale Nomadin. Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt den Begriff noch gar nicht kenne. Dementsprechend schlecht vorbereitet bin ich.

So schlecht vorbereitet, dass mir meine schlechte Organisation zunächst gar nicht klar ist. Ich habe nur kleine Texterjobs, die ich wunderbar in Buenos Aires, Iguazu oder sogar in Filadelfia, Paraguay verrichten kann. Alles läuft also wie am Schnürchen.


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Und dann kommt Bolivien

Bis wir in Bolivien ankommen. Unsere erste Station ist Santa Cruz de la Sierra, die Hauptstadt des gleichnamigen Departamentos. Der Name klingt nach romantischen Bergen und kühler Brise, doch wie vieles in Bolivien: Nichts ist, wie es scheint. Santa Cruz ist heiß und stickig und wir verbringen den ersten Tag damit, in dieser HAUPTstadt nach einem Bankautomaten zu suchen, der unsere Kreditkarten akzeptiert.

Doch dann geht das Drama erst richtig los. Unser jugendliches Hostel hat damit geworben, eins der besten WLANs der Stadt zu haben. Für Santa Cruz im Jahr 2012 scheint das zu heißen: Ab 23 Uhr, wenn alle Gäste endlich feiern gehen, kann man eine Webseite öffnen. Als ob das nicht frustrierend genug wäre, fällt am nächsten Tag das Internet komplett aus.

Warum? Keiner weiß es so genau. Doch die nette Dame an der Rezeption hat schon den Reparaturdienst gerufen. Einen Tag später kommt der Techniker auch tatsächlich an. Als ich frage, warum alles so lange dauere, antwortet die nette Dame: „Das ist Bolivien, gewöhne dich dran!“

Internet nur neben einem bestimmten Baum

Was sie genau damit meint, merke ich bei unserem nächsten Stopp, Samaipata. Samaipata liegt tatsächlich in den Bergen, ist damit angenehme zehn Grad kühler und ein süßes kleines Dorf mit einer Mischung aus Einheimischen, ausländischen Familien, die hier Landwirtschaft betreiben und Reisenden aus aller Welt. So weit, so paradiesisch. Wir wollen eigentlich auch auf einer dieser Farmen arbeiten, bis uns der Besitzer mitteilt, dass er so weit außerhalb des Dorfes wohnt, dass es nur einen Generator gibt (der oft ausfällt) und man nur neben einem ganz bestimmten Baum mit einem USB-Stick Internetverbindung hat.

Seinen Stick möchte er uns selbstredend zur Verfügung stellen: Für 30 Minuten am Tag. Wenn wir selbst einen kaufen möchten, müssen wir nach Santa Cruz fahren.

Wir beschließen daher, im Dorf zu bleiben und einfach die Internetcafés zu nutzen. Wobei, eigentlich funktioniert das Internet tatsächlich nur in einem dieser Cafés und das mit einer Geschwindigkeit, die mich an Einwählmodems aus Anno Dazumal erinnern und mich wehmütig an das „schnelle“ WLAN aus unserem ersten Hostel in Santa Cruz denken lassen.

Da fällt auf einmal überall das Internet aus

Da unsere nächste Station aber Sucre ist – eine von Boliviens wichtigsten Städten – mache ich mir Hoffnungen, dass alles nur besser werden kann. Schließlich war auch ich schon einmal in Sucre und erinnere mich daran, dass das WLAN in meiner WG eigentlich sehr gut funktionierte. Als wir in der gleichen WG in Sucre ankommen, teilt uns mein ehemaliger Mitbewohner und Webprogrammierer mit, mit, dass er ebenfalls auf einen Internet-USB-Stick umgestiegen ist. Das WLAN per Modem war einfach zu unzuverlässig für seinen Job.

Er stellt uns zwar den Stick zur Verfügung, da er aber gefühlt 24 Stunden am Tag Codes schreibt, müssen wir auch hier mit unseren Laptops in Cafés gehen (Sucre ist voll davon, und übrigens auch von sehr schönen!) oder wieder ins Internetcafé. Das ist zwar umständlich, aber immerhin deutlich besser als alles was wir bisher von Bolivien kennen.

Wir vergessen mal wieder: Das ist Bolivien! So dauert unsere Freude auch nur etwa zwei Tage, bis das Internet komplett ausfällt. In der ganzen Stadt. Zum Vergleich: Das ist ungefähr so, als hätte ganz Hamburg plötzlich kein Internet mehr. Warum? Offensichtlich gibt es zu diesem Zeitpunkt zwei Internetanbieter in Bolivien. Der zuverlässigere davon – auf den offensichtlich jedes Café gesetzt  hat – hat einen Totalausfall. Nach langer Recherche finden wir endlich ein Café, das den anderen Anbieter nutzt und können so doch noch irgendwie arbeiten.

Das Modem ist aus, wir müssen Strom sparen

Nach Sucre geht es weiter in die Minenstadt Potosí. Wir zahlen den dreifachen Preis für ein Hostel mit WLAN, nur um dann festzustellen, dass das Internet nur im Innenhof funktioniert. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Potosí nicht auf 4.700 Metern über dem Meeresspiegel läge und nicht auch noch ein Klima wie Berlin im Winter hätte. So müssen wir bibbernd mit zwei Pullovern, Jacke und Decke draußen arbeiten.

Danach beschließen wir einen Abstecher nach Cochabamba zu machen. Hier finden wir überraschend schnell ein nettes Hostel, das – so versichert es uns der Rezeptionist – WLAN hat. Was er uns allerdings nicht verrät, es ist nur von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends eingeschaltet. Warum?

Offensichtlich möchten die Besitzer Strom sparen, und die leuchtende LED-Anzeige am Modem scheint ihnen ein Dorn im Auge zu sein. Kein Zureden, kein finanzielles Angebot unsererseits („Wir zahlen gerne mehr pro Tag, wenn ihr das Modem nicht ausschaltet!“), scheint sie zu überzeugen. Anstatt uns also die Stadt anzugucken, müssen wir den Tag nutzen, um zu arbeiten.

Bei dem ganzen Frust fällt mir dann auch noch mein Laptop vom Bett. Der Bildschirm ist Matsche. Obwohl Cochabamba keine Kleinstadt ist, finde ich auf die Schnelle keinen einzigen Laden der einen Standard-Bildschirm ersetzen kann. Ich kann es mir schon denken, ich muss dafür in eine größere Stadt. Zum Glück ist unsere nächste Station La Paz, wo ich tatsächlich einen Computerladen finde, der mir den Bildschirm ersetzen kann. Endlich kann ich wieder arbeiten.

Erst keine Steckdosen und dann auch noch Stromausfall

Nach La Paz möchten wir in der Gegend um Sorata herum wandern gehen. Sorata ist wirklich ein wunderschönes Fleckchen für Naturliebhaber. Für Liebhaber des Internets hingegen … nicht so sehr. In unserem ersten Hostel gibt es nur im Gemeinschaftsraum Steckdosen. Beziehungsweise einen Mehrfachstecker. Der ist entweder ständig besetzt oder so überlastet, dass beim Einstecken meines Laptops das Handykabel eines anderen Gastes durchbrennt. Hoppla!

Nach einer Nacht wechseln wir das Hostel, nur um zu merken, dass der Besitzer in diesem neuen Hostel seine Internetrechnung nicht bezahlt hat. Wir geben auf und arbeiten also wieder von den guten alten Internetcafés aus. Das geht einen Tag gut. Am nächsten Tag funktioniert nichts mehr. Warum? Stromausfall im ganzen Ort. Wann wird das wieder repariert? Wer weiß … Am nächsten Tag springt der Strom dann auch tatsächlich an.

Wettervorhersage: Wolkig bis Internetausfall

Wir ziehen weiter in den Norden. Unsere letzte Station in Bolivien ist Copacabana. Hier am Titicaca See haben wir uns in einem gemütlichen Hostel einquartiert. Wir haben uns vorher das Modem zeigen lassen, testen natürlich zunächst die Verbindung (nach einem Monat Bolivien macht man das automatisch). Alles scheint tip top zu funktionieren. Scheint. Denn – wir sind ja in Bolivien. Am späten Abend erscheint auf unseren Bildschirmen ein gelbes Ausrufezeichen, die Internetverbindung ist weg. Warum? Die Hostelbesitzerin zeigt nach oben: „Es ist zu wolkig.“

Zum Glück fahren wir am übernächsten Tag schon über die Grenze nach Peru. In Puno haben wir ein schnuckeliges, niegelnagelneues Hostel gefunden. Der Besitzer entschuldigt sich und gibt uns einen Preisnachlass, weil er bisher nur ein Modem im Wohnzimmer / Café des Hostels installiert hat und das Signal nicht bis in unser Zimmer reicht. Wir testen es. Draußen ist es wolkig, das Internet läuft. Es ist 22 Uhr abends, das Internet läuft. Wir öffnen eine Webseite innerhalb von zwei Sekunden – das Internet läuft. Halleluja – danke Peru!

Und die Moral von der Geschicht‘?

So habe ich nach diesem Internetfiasko in Bolivien zwei wichtige Lektionen als digitale Nomadin gelernt. Erstens: Fahre als digitaler Nomade nie, nie, nie in ein Land, bevor du nicht recherchiert hast, wie das Internet funtkioniert. Zweitens: Frage in Bolivien nie nach dem Warum!

Auch interessant: Vier Möglichkeiten, um langfristige Reisen zu finanzieren – ohne digitale Nomaden zu sein

Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.

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