Ich frage mich noch immer, ob dieser Klassenkampf-Text, den ich gestern bei „Spiegel Online“ gelesen habe, wirklich ernst gemeint war, oder es sich eher um eine gezielte Provokation handelt. Geschrieben, das zumindest steht fest, hat ihn Bernd Kramer und überschrieben ist er mit dem Titel „Staatskonzern Deutsche Bahn: Schafft die erste Klasse ab!“
Wahrscheinlich hätte er so in keinem anderen Medium als im „Spiegel“ erscheinen können, aber sei es drum. Wie man aus der Zeile bereits ablesen kann, hat sich der Autor entschieden zu rebellieren – und zwar gegen die, wie er schreibt, „Teilung der Fahrgäste nach Besitzverhältnissen“ (ist das wirklich so?), also in erste und zweite Wagenklasse.
Man kann nur darüber mutmaßen, ob er erst nach Aufstellung seiner schmissigen These nach Argumenten suchte, oder ob er tatsächlich der Meinung ist, dass das Anrennen gegen erprobte Realitäten eine gute Idee ist.
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Klassendenken und Besserverdienerarroganz?
Als stärkstes Argument jedenfalls führt er an, dass die Bahn als in Bundeshand befindliches Unternehmen gefälligst nicht dafür zu sorgen habe, „Klassendenken und Besserverdienerarroganz zu befördern“. Nun ist es, das muss man schon einwenden, ziemlich kühn, davon auszugehen, dass alle, die in der 1. Klasse reisen, demonstrativ „Besserverdienerarroganz“ an den Tag legen.
Vielleicht möchten sie auch nur einfach in einem meist etwas ruhigeren Teil des Zuges ihrer Arbeit am Laptop nachgehen. Denn in der 2. Klasse, das gibt Herr Kramer in seinem Manifest nämlich sogar zu, geht es manchmal dann doch etwas lauter zu:
Mit der Lektüre, die mir nicht zusteht, setze ich mich in einen Waggon, in dem ich sie nicht lesen kann: Ein Baby schreit, zwei Reihen weiter hinten telefoniert jemand zu laut, ein Damenkegelklub reicht Eierpunsch herum.
Ein „Akt zivilen Ungehorsams“
Fast möchte man Herrn Kramer hier empfehlen, doch mal ein Ticket für die erste Klasse zu lösen, vielleicht zahlt der „Spiegel“ ja sogar dafür. Stattdessen nimmt er sich (während seines Spaziergangs in die gebuchte Holzklasse) die für die Fahrgäste der ersten Klasse bestimmten Zeitungen mit – und freut sich anschließend diebisch über seine Tat:
Aber immerhin habe ich einen Akt zivilen Ungehorsams gegen die Erstklässler drei Wagen weiter vorn ausgeübt.
Das ist eigentlich nur eines: albern. Genauso wie der Vergleich, den Kramer bemüht. Wenn ein Unternehmen, das dem Staat gehört, einfach so seine Wägen in zwei Klassen einteilt, dann sei das ja so, wie wenn „die Straßenlaternen im Villenviertel heller leuchten würden als anderswo“.
Weg mit iPhones, Mercedes und BMW?
Würde man dieser Argumentation folgen, würde in unserer Gesellschaft wohl nichts mehr bleiben, wie es ist: Es dürfte keine iPhones mehr geben, keine Mercedes und BMW und Porsche mehr, und irgendwie trieft ja auch der Golf GTI schon vor „Besserverdienerarroganz“, oder – wie Kramer es weiter unten in seinem Text nennt: „Geltungskonsum“:
Man betont die feinen Unterschiede. Man markiert Status.
Man kann es tragisch finden oder doof: Unsere Gesellschaft besteht aus Individuen, die sich voneinander abgrenzen und mitunter auch voneinander abgrenzen wollen. Das kann viele Gründe haben. Nicht alle sind schäbig. Und arrogant ist daran auch erst einmal nichts.
Erste oder zweite Klasse?
Ich kenne viele Menschen, die das nötige Kleingeld hätten und trotzdem zweite Klasse fahren. Entweder, weil sie Geld sparen wollen, oder weil sie kaum Unterschiede zur ersten Klasse sehen, oder weil sie gerne unter mehr Menschen sind.
Zum Ende seines Textes zaubert Kramer noch eine Studie aus dem Hut, mit dem er offensichtlich noch die letzten Zweifler von seiner steilen These zum Freitagabend überzeugen möchte. Sie geht so:
Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass die Klassentrennung auch aus anderen Gründen ein Problem für Verkehrsunternehmen sein kann: Katherine DeCelles von der University of Toronto und ihr Kollege Michael Norton von der Harvard Business School fanden heraus, dass Passagiere in Flugzeugen mit First-Class-Bereich häufiger randalieren als in Maschinen mit Einheitssitzen. Ungleichheit macht unzufrieden.
Einem Konzern wie der Bahn „mit einem eher schwierigem Image“ sollte diese Erkenntnis „zu denken geben“, empfiehlt Kramer. Die praktizierte „Klassentrennung“ sei nämlich „problematisch“.
Dass im neuen ICE 4 gar 25 Prozent der Sitzplätze solche für „Luxuskunden“ seien, hält der Autor folgerichtig und offensichtlich für einen Skandal. Man darf nur hoffen, dass der Text nicht so ernst gemeint war, wie er erscheint. Und dass nicht schon bald Straßenschlachten im Innenraum des ICE ausgefochten werden.
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Was für eine merkwürdige Forderung. Der Spiegel setzt ja schon geraume Zeit auf Clickbaiting und offenbar will er nun auch noch der taz den Rang ablaufen, zumindest in Sachen Klassenkampf.
Die Forderung ist ein stiller Schrei nach Aufmerksamkeit, mehr nicht.
Word! Ich bin weder ein Besserverdiener, noch – hoffentlich – arrogant. Und trotzdem fahre ich bei Fahren + 3 Stunden konsequent 1. Klasse. Grund ist dabei nicht mein unglaublicher Geltungsdrang, sondern die Tatsache, dass Reisen für mich Stress sind und die 1. Klasse diesen Stress (weniger Menschen, Reservierung, mehr Beinfreiheit bei 1,89m Körperlänge) etwas lindert. Danke für die Replik!
Ich fahre aus genau diesen Gründen auch 1. Klasse bei längeren Zugfahrten (bei ähnlichen 1,85m Körperlänge). Dank des sinnlosen Ticketpreissystems bei der DB sind Tickets in der 1. Klasse zudem in manchen Fällen auch günstiger als Tickets in der 2. Klasse (z.B. wenn man kurzfristig buchen muss). Ansonsten: Bis auf mehr Ruhe und Beinfreiheit und etwas saubere Toiletten hat die 1. Klasse ansonsten keine zusätzlichen Benefits, ist also mehr Schein als Sein.
Man könnte den seltsamen SPON-Artikel an der Stelle sogar noch weiterspinnen und den ICE als „1. Klasse“ gegeüber IC/EC und RE/RB verunglimpfen. Auf Strecken wie München – Augsburg verkehren nämlich sämtliche Zugarten und man könnte Menschen Geltungsdrang unterstellen, die lieber den ICE nehmen als den RE (wobei sie alle gleich langsam fahren und gleich unzuverlässig sind, das nur am Rande).
Ich fand den Text vom Zeitungsdieb Kramer empörend blöde. Nicht stringend argumentiert, nicht an Zahlen orientiert, keine Beispielrechnung durchgeführt und die Sache mit den randalierenden Erste-Klasse-Kunden im Flugzeug passt ja nun überhaupt nicht rein. Glaubt er, die Randalierer würden sich benehmen, wenn sie in der Economy-Class säßen? Wenn er die Originalstudie so interpretiert wie die Zahlen, dann gute Nacht Marie.
Im Gegensatz zu Kramer habe ich mir die Mühe gemacht und errechnet, dass die erste Klasse die zweite Klasse quersubventioniert: http://couponschneider.blogspot.de/2016/10/wenn-man-nicht-rechnen-kann-kommt-sowas.html
Und selbst wenn die 2. Klasse zu 90 % gefüllt ist und in der 1. Klasse nur einer säße, wäre es zum Vorteil der 2. Klasse, weil der eine in der ersten Klasse die anderen mit wenigen Cent quersubventioniert. Das kann man sich alles errechnen: Man braucht nur einen Bleistift und ein Blatt Papier.
Problematisch wird es erst, wenn die erste Klasse praktisch immer leer ist, die zweite Klasse aber rappelvoll. Demzufolge gibt’s in S- und U-Bahnen auch keine Klassen mehr. Aber das kann man mit ICEs und ICs nicht gleichsetzen.
[…] unsere vergangene Woche war vor allem geprägt von einem Text: unserer Antwort auf einen „Spiegel“-Beitrag, in dem der Autor die Abschaffung der 1. Klasse bei der Bahn forderte. Viele Nutzer bezeichneten dessen Argumente als „lächerlich“, „naiv“, „sozialistisch“ – oder einfach nur „dumm“. Wir haben uns zu vieler Adjektive dieser Art enthalten – und einen Antwortbeitrag verfasst. […]
[…] Ich konnte es bereits mehrfach testen und habe auch einige Kundenmeinungen eingefangen. Das Ergebnis im Testbetrieb wird von Woche zu Woche besser. Tatsächlich hatte ich bisher kaum Probleme mit dem neuen System. Es ist einfach und schnell. Aus meiner Sicht sind das die wichtigsten Punkte für ein WLAN-System. Im Vergleich zu den bisherigen Telekom-Hotspots ist die Verbindung deutlich einfacher zugänglich und endlich auch in der 2. Klasse kostenlos. […]
Lieber Autor, bitte lesen Sie mal Pierre Bourdieu, oder beschäftigen Sie sich in nur irgendeiner erdenklichen Form mit irgendeiner Form von gesellschaftlicher Kritik und eventuell, wenn das nicht zu viel verlangt ist, auch mit dem Wort „Ideale“. Wenn Sie davon nichts halten sollten, würde ich gerne einen Artikel von Ihnen lesen mit einem Titel der in etwa so geht: „Wie ich versuche den schon zu Lebzeiten als Klassiker betitelten und sehr viel rezipierten Soziologen Borudieu in seiner Gesellschaftskritik zu kritisieren“. Ich würde mich sowohl über Antwort, als auch über Artikel wahrlich freuen!
Grüße der 2. Klasse
Egal wie viel Geld man hat, man wird dadurch nichts Besseres. Die Bahn sollte verpflichtet werden, alle Kunden gleich zu behandeln. Wer einsteigt, sollte sich seinen Platz frei aussuchen können. Ist im Bus auch so.