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Kommentar: Wohin mit dir, Facebook?

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Facebook testet in einem Beta-Test Sternbewertungen in Anzeigen.
geschrieben von Guido Augustin

Was haben wir gejubelt über das Web 2.0, weil es die Welt demokratisiert. Doch wir haben uns schrecklich getäuscht. Zuckerbergs Mission, jedem auf der Welt eine Stimme zu geben, stürzt die Menschheit ins Unglück. Es ist der Neubau des Turms zu Babel – ein Projekt, das ja bekanntlich schon einmal für ziemlich Ärger gesorgt hat. Ein Kommentar.

In Babel sprachen alle die gleiche Sprache

Dereinst, so erzählt das 1. Buch Mose, war die Menschheit einig und alle sprachen eine Sprache. Nimrod war ihr König. Doch der war immer noch sauer auf Gott, weil er Nimrods Vorfahren in der Sintflut hatte ertrinken lassen. Also wollte der König Gott zeigen, wo der Hammer hängt und begann einen gigantischen Turmbau, so hoch, dass Gottes Wasser die Menschen nicht mehr erreichen konnte. Das war gar nicht Gottes Humor, er schniggte den Turm um, gab den Menschen verschiedene Sprachen, so dass sie einander nicht mehr verstanden und verteilte sie auf der ganzen Welt – die babylonische Sprachverwirrung.

Was haben wir geschwärmt: Endlich ein Rückkanal, nicht mehr die gefilterten Wege der Informationsverteilung. Endlich konnten wir in Echtzeit in einen Dialog eintreten und vor allem: Jeder sein eigener Verleger, so ein Blog, ein Social-Media-Profil, schnell gemacht und schon hört die ganze Welt zu – wenigstens theoretisch. Wir haben Geschichten erzählt von Schulmädchen, deren Systemkritik sie bis in die großen TV-Talkshows brachte, von Sexismus-Debatten (#Aufschrei), die die Kraft hatten, Gesellschaften zu verändern, von Regierungssprechern, die dem einfachen Bürger über Twitter antworteten.


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Von Märchen zu Web 2.0

In einem Vortrag unter dem Titel „Märchen 2.0“ zeige ich Parallelen auf zwischen der archaischen Situation der Märchenerzähler, deren Geschichten von Dorf zu Dorf zogen, Sender und Empfänger räumlich und zeitlich vereint. Dann kam die Verschriftlichung (Bibel, Koran, Ilias, Beowulf, …), dann die ganze Medien-, IT- und Online-Welten – in denen Sender und Empfänger über Jahrhunderte entkoppelt waren. Bis letztlich das Web 2.0 die Ursprungssituation wieder herstellte, Sender und Empfänger im (virtuellen) Raum in Echtzeit wieder vereinte. Toll, oder?

Ich habe dabei jedoch zwei Aspekte außer Acht gelassen: Unser Hirn hat sich seit Hunderttausenden von Jahren nicht verändert, während die Entwicklung der Kommunikation immer schneller wird. Wir können ja nicht einmal zwischen Gefahr und Risiko unterscheiden. Angriff, Verstecken, Flucht – unser Stammhirn kennt nur diese Möglichkeiten.

Außerdem habe ich nicht bedacht, dass es einen himmelweiten Unterschied macht, ob eine Geschichte zwischen zwei Bergspitzen im Tal bleibt oder sich zwischen zwei Polen über die ganze Welt verbreitet. Aus einem regionalen Thema kann so ein internationaler Flächenbrand werden, der Blick auf die Persönlichkeitsstruktur der weltgrößten Herrscher über Atomarsenale lässt nichts Gutes erahnen.

Dann kam Zuckerberg: „Meine Arbeit ist es, die Welt miteinander zu verbinden und jedem eine Stimme zu geben“.

Facebook als neuer Turmbau zu Babel

Wir fordern verzweifelt Medienkompetenz, sind doch selbst überfordert und sehen ratlos zu, wie Zuckerberg mit seiner weltumspannenden Plattform Facebook der Menschheit einen babylonischen Turm hinstellt, bis zum Himmel hoch, auf der alle eine Sprache sprechen. Sie ermöglicht gezielte Desinformation interessierter Kreise, entzieht sich jeder professionellen Kontrolle und legt in Diskursen, die den Namen nicht mehr verdienen, das Schlimmste im Menschen bloß.

Jeder ist sein eigener Verleger – und jeder ist sein eigener Populist. Auf dieser Plattform treffen sich Milliarden Menschen jeden Tag und allzuoft sind Begegnungen dabei, die im richtigen Leben niemals stattfänden, weil menschliche Instinkte sie verhindern. Wenn mir auf der Straße jemand entgegenkommt, der mir nicht gefällt (oder sein Hund), sehe ich ihn von weitem und kann präventiv die Seite wechseln.

In sozialen Netzwerken geht das nicht. Und wenn ich erstmal auf einen geprallt bin, der allem widerspricht, was ich über Anstand, Kultur und Menschlichkeit weiß, ist es zu spät. Ja, ich kann ihn löschen, sperren, melden. Aber er ist schon in meinem System und so schnell werde ich ihn emotional nicht mehr los.

Deswegen habe ich mich zuletzt weitgehend aus Debatten herausgehalten, weniger Timeline gelesen und nichts vermisst. Was ich als Diskurs kenne ist schwer krank auf Facebook und ich bewundere all jene, die sich immer wieder mutig und mutwillig in die tosende Brandung stürzen und sie auszuhalten glauben.

Bildung als Makel

An dieser Stelle sollte eigentlich die Schlussfolgerung stehen. Ich habe aber keine. Ich mag Facebook nicht abschalten, weil ich es professionell gerne nutze und schätze; ich treffe dort alte Freunde und manchmal neue. Doch ich verzweifle zugleich daran und stehe sprachlos vor einer Entwicklung, die sich im vergangenen halben Jahr beschleunigt zu haben scheint, bin allzu oft blank entsetzt, wie Menschen (!) miteinander umgehen, selbst wenn sie vieles gemeinsam haben.

Ich mache mir große Sorgen über den seelischen Zustand unserer Gesellschaft, wenn unterschiedliche Meinungen regelmäßig zu übelsten persönlichen Diffamierungen führen, wenn allzuoft keine inhaltliche Auseinandersetzung möglich scheint und wenn Bildung, Wissen und Recherche zum Makel werden.

Auch interessant: Mein Facebook gehört mir! Warum es meine Aufgabe ist, mich von Freunden zu trennen

Über den Autor

Guido Augustin

Guido Augustin (guidoaugustin.com) denkt so klar, dass er als Autor lebt. Er teilt seine Gedanken in wöchentlichen Kolumnen auf "Guidos Wochenpost", in seinem Podcast, in Büchern, Vorträgen und launigen Moderationen.

15 Kommentare

  • Ich habe mich Anno Tobak gegen eine Nutzung von Facebook entschieden wegen der Geschäftsbedingungen. Die Diskussions-Unkultur dort bestätigt meine Entscheidung täglich auf’s Neue. Allerdings ist die Überschrift etwas irreführend. Es ist nicht (oder nicht nur) Marc Zuckerberg, der teufels Werk tut. Es sind all die millionen Nutzer, die Facebook mit einem Kriegsschauplatz verwechseln. Facebook ist nur Mittel zum Zweck. Ein Werkzeug. Die Nutzer sind es, die die Kommunikation derartig zerstören.

  • Nachtrag zum Turmbau zu Babel:
    Diese Geschichte ist so natürlich von Dir frei erfunden. Biblisch ist, dass dieser Nimrod ein Gewaltherrscher und Eroberer war („…war der Erste, der Macht gewann“). Das heisst also, er hat die umliegenden Völker mit anderer Sprache und anderer Kultur unterworfen und somit viele Kulturen und viele Sprachen gewaltsam ersetzt durch seine eigene Kultur und Sprache. Die sogenannte Sprachverwirrung war also nichts Anderes als die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Vielfalt scheint also in Gottes Interesse zu liegen, keine Monokulturen.

    • So ähnlich sehe ich das aus. Der Turmbau hat vielleicht direkter etwas mit dem Thema zu tun, als die lustige Umdeutung der Geschichte hier:

      Zu Beginn der Episode vom Turm in Babel heißt es im 1. Buch Moses 11,4: »Kommt – lasst uns für uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze im Himmel ist.« Im hebräischen Original heißt es: »Hava niwneh lanu ir – Kommt, lasst uns für (!) uns eine Stadt bauen«.
      Das Schlüsselwort hier ist „lanu“ – »für uns«.
      Wenn man sich anschaut, wer diese Sätze spricht, wird der Ausspruch etwas klarer: Diejenigen, die Ziegel formen können und die auch in der Lage sind zu bauen. Dies traf mit Sicherheit nicht auf die gesamte Bevölkerung Babels zu. Das Projekt war nur für die Bauherren selbst bestimmt.
      Dies erklärt zugleich den zweiten Teil des Verses »… damit wir uns einen Namen machen und nicht über die ganze Erde verstreut werden«.
      Beim Aufbau der Stadt ging es nicht um den Aufbau oder die Befestigung eines sozialen Gebildes oder eines Gesamtprojekts mit einem Turm in der Mitte.
      Der Fehler lag nicht allein darin, dass es Menschen gab, die den Turm für sich bauen und sich ein Denkmal setzen wollten. Der Fehler lag auch darin, dass die Menschen alle Werkzeuge hatten, um weiterhin in einem angenehmen, ja nahezu perfekten Umfeld zu leben. Sie waren mit einer Sprache vereint, lebten dicht beieinander und hätten folglich Großes erreichen können.
      Das haben sie nicht »eingelöst« und wurden deshalb bestraft. Wir haben da auch tolle Werkzeuge bekommen – und sie nicht entsprechend genutzt.

  • Dumm ist halt, dass nun jeder, der früher nicht im Traum darauf gekommen wäre einen Stift in die Hand zu nehmen oder sich bei einem Forum anzumelden, seinen geistigen Dünnschiss in die Welt hinausposaunen kann und dabei noch jede Menge Zustimmer findet.

    Begünstigt wird das durch Smartphones, durch die jeder jederzeit Zugriff auf das Internet hat. Alleine der Gang zum Desktop-Rechner, einschalten, booten, anmelden war früher ein guter Filter, um einen Gedanken noch einmal zu überprüfen. Es schützte auch vor Affekt-Postings.

    Mit einem gewissen Mindestmaß an Intelligenz, oder zumindest der Bereitschaft das Hirn zu benutzen, sollte auch nichts postfaktisches geben. Offenbar scheint das aber mit Schmerzen verbunden zu sein.

    Früher posaunte der Dorfdepp seinen Schwachsinn am Stammtisch heraus und jeder wusste: Es ist nur der Dorfdepp! Es blieb im kleinen Kreis. Heute stecken sich die Dorfdeppen dieser Welt gegenseitig an und werden zu einer großen Stimme. Das macht mir Angst!

    Es macht mir auch Angst, dass die Gleichen die Minderheiten vergasen oder aufhängen würden, bei Facebook ein Profilbild mit ihren Kindern und Katzen und eine Timeline voller Diddlmäuse und herzerweichender Deppen-Memes haben.

    Wir werden hier im wahrsten Sinn noch unser „blaues“ Wunder erleben! Facebook scheint mittlerweile eine der gefährlichsten Waffen zu sein, weil es den Deppen und hasserfüllten Gehirnkranken eine Stimme gibt.

    • Ich denke nur, man sollte sich klar machen, dass die Schuld nicht beim „bösen Facebook“ liegt. Facebook ist nur ein Werkzeug. Das Problem sind die Menschen, die dieses Werkzeug missbrauchen.

      Übrigens, wg. Katzenvideos: Es ist gerade auch von SS-Schergen der Konzentrationslager bekannt, dass sie „privat“ liebevolle Familienväter waren. Das scheint offenbar kein Widerspruch zu sein. Es heisst zwar in eimen Lied „Böse Menschen haben keine Lieder“, aber das ist leider gelogen. Schön wär’s, wenn die Unterscheidung so einfach wäre.

    • Das habe ich mir auch gedacht. Er kritisiert andere für den“geistigen Dünnpfif“, macht aber eben genau das selbige hier.

  • […] Und auch unser Kolumnist Guido Augustin ist zunehmend ratlos, wie er mit seinem Facebook-Account umgehen soll. Einerseits sei er gerne auf Facebook, nutze es beruflich wie privat. „Doch ich verzweifle zugleich daran und stehe sprachlos vor einer Entwicklung, die sich im vergangenen halben Jahr beschleunigt zu haben scheint, bin allzu oft blank entsetzt, wie Menschen (!) miteinander umgehen, selbst wenn sie vieles gemeinsam haben“, schreibt er in seiner Kolumne. […]

  • Vielleicht liegt es auch daran, dass wir „spontan“ und „aus dem Bauch heraus“ in den letzten Jahren/Jahrzehnten übermässig verherrlicht haben und „sorgfältig nachdenken“ sowie die Unterscheidung zwischen Vermutung und Tatsachen mit mit oberflächlichen Bemerkungen als irrelevant abgetan haben?

    • Interessanter Gedanke. Ich habe ebenfalls schon seit Jahren beobachtet, dass „Gefühle zeigen“ und „authentisch sein“ beinahe immer verwechselt wird mit „Wut rauslassen“. Als ob es keine anderen Gefühle gäbe. Vielleicht hat das tatsächlich was mit den Entgleisungen zu tun, die bei Facebook zu beobachten sind.

  • Sachlich genutzt ist Facebook eine gute Sache aber leider gibt eine Herde von schwarzen Schafen die es missbrauchen für ihre Zwecke eigendlich schade