Im Netz ist er als „Der bloggende Bahner“ bekannt. Doch wären da nicht der Bekannte seines Vaters und das faszinierende mechanische Stellwerk gewesen, hätte das Leben von Tim Grams möglicherweise eine andere Wendung genommen. Nach seiner Ausbildung zum Fahrdienstleiter arbeitet er mittlerweile im Social-Media-Team des Personenverkehrs der Deutschen Bahn. Im Interview erzählt Tim über sein Bewerbungsgespräch, einen ganzen Adventskalender voll von unprofessionellen Videos und über eine Spezies von Bahn-Reisenden, die zu zähmen er sich vorgenommen hat.
Mobility Mag: Kommt man eigentlich als „Bahner“ zur Welt, Tim?
Tim Grams: Nicht unbedingt, würde ich sagen. Bei mir war es so, dass ich bis 2012 null Kontakt zu den Berufen der Bahn hatte. Ich bin einmal im Jahr mit dem Zug zu einem Fußballspiel gefahren. Im Gegensatz zu anderen Kollegen, die schon als Kind eine Modelleisenbahn hatten und dann später Lokführer geworden sind, war ich diesbezüglich also nicht vorbelastet.
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Wie kam’s, dass du jetzt bei der Bahn arbeitest, und nicht bei der Post?
Ein Bekannter meines Vaters hatte damals erzählt, dass die Bahn Fahrdienstleiter suche. Zu dieser Zeit habe ich mich gefragt, was das denn für ein Beruf ist. Ich dachte, es gibt nur Lokführer bei der Bahn. Ich habe mich dann im Netz ein bisschen zum Thema schlaugelesen und mir gedacht: OK, dann werde ich halt mal Fahrdienstleiter. Allerdings nicht ohne den Hintergedanken, nach Abschluss der Ausbildung, etwas mit Computern machen zu wollen. Das war mir zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben irgendwie wichtig, einfach auch, weil ich sehr computeraffin war. Die Jobbeschreibung des Fahrdienstleiters an sich hat sich sehr interessant gelesen. Es ging darum, im jungen Alter Verantwortung zu übernehmen. Und dann habe ich mich beworben. Gut war auch, dass die Bahn eine Übernahmegarantie gegeben hat. Das ist für Berufsanfänger, wie ich einer war, natürlich attraktiv.
Was musste man denn können, damit man genommen wird?
Verantwortungsbewusstsein. Das klingt platt, aber natürlich hat man eine große Verantwortung, wenn man Züge koordiniert, in denen Lokführer und Fahrgäste drin sitzen, die sich auf einen verlassen. Außerdem geht es natürlich um die Navigation von Güterzügen, in denen auch mal hochentzündliche Stoffe transportiert werden. Flexibilität wird auch gefordert, weil man ja im Schichtdienst arbeitet. Und natürlich die obligatorische Teamfähigkeit. Zwar hat man als Fahrdienstleiter meistens keinen direkten Kundenkontakt, aber man arbeitet ja mit Kollegen daran, dass die Kunden letztendlich zufrieden sind. Direkte Kontaktpersonen sind zum Beispiel der Lokführer und der Zugdisponent, oder auch weitere Fahrdienstleiter in den Nachbarstellwerken und in der Betriebszentrale.
So läuft die Bewerbung bei der Bahn
Und dann hattest du ein reguläres Bewerbungsgespräch, oder wie muss man sich das vorstellen?
Bei mir war es so, dass ich direkt zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Vor mir saß damals meine spätere Azubi-Fachkoordinatorin und der Leiter derjenigen Betriebszentrale, bei der die Ausbildung dann letztendlich stattgefunden hat. Beide haben mich dann erst einmal über die Bahn allgemein ausgefragt und im Speziellen über das Geschäftsfeld DB Netz. Das ist die Tochtergesellschaft des Bahn-Konzerns, von der ich dann als Fahrdienstleiter angestellt wurde. Außerdem sollte ich ein bisschen was über mich als Person erzählen, also zum Beispiel was ich bisher so gemacht habe. Alles in allem war das ein übliches Vorstellungsgespräch, würde ich sagen.
Für alle, die sich heute bewerben möchten: Ist das Prozedere aktuell noch genauso?
Etwas anders. Heute muss man zunächst einen Onlinetest machen, bevor man zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird. Dieser Onlinetest soll Leuten, die in der Schule nicht so gut waren, die Möglichkeit geben, ihr Wissen unter Beweis zu stellen und letztendlich trotzdem bei der Bahn arbeiten zu können. Wenn man sich in dieser Prüfungssituation gut anstellt, sind Schulnoten nicht mehr so entscheidend.
Damit man Interessenten mal etwas Appetit auf die Bahn macht: Was war denn der spannendste Moment während deiner Ausbildung?
Das allererste wirklich tolle Erlebnis war, als ich in einem mechanischen Stellwerk war. Das war alles sehr nostalgisch dort. Und es ist schon unvorstellbar, dass eine Technik, die ja über Hundert Jahre alt ist, heute noch Züge von A nach B befördern und Signale stellen kann. Als ich da selbst werkeln durfte, das war ein Moment, der hat mich einfach begeistert. Aber natürlich war ich ab diesem Zeitpunkt auch sehr gespannt auf die moderne Technik.
Wie darf man sich die denn vorstellen?
Irgendwann habe ich in einem sogenannten Drucktasten-Stellwerk gearbeitet. Da muss man sich um eine ganze Reihe von Zügen kümmern. Und statt schwerer Hebel gibt es Knöpfe, die man ganz leicht bedienen kann. Danach kam das ESTW, das elektronische Stellwerk. Das war im Oktober 2013, als ich in Hannover vor diesen ganzen Monitoren saß und erst einmal nichts verstanden habe. Da war alles viel, viel größer als alles andere, was ich bisher gesehen hatte und ein komplett anderes System.
Aber du hast dich offensichtlich irgendwann mit allem ausgekannt und kein Reisender wurde beschädigt…
Richtig. Wir wurden als Azubis wirklich ins kalte Wasser geschmissen, damit wir uns die moderne Technik unter Anleitung erfahrener Kollegen aneignen. Ich dachte mir damals oft: Das schaffst du nie, was du hier siehst! Das war alles so komplex. Ein halbes Jahr später habe ich das aber schon komplett alleine machen können. Toll waren die Kollegen, die seit zwanzig oder dreißig Jahren diesen Job machen und mir sehr geholfen haben beim Lernen. Man kann sagen, dass es mich einfach spätestens gepackt hatte, als ich ganz am Anfang der Ausbildung auf diesem mechanischen Stellwerk gewesen bin.
Blog „Der bloggende Bahner“
Und dann hast du deinen Blog „Der bloggende Bahner“ gestartet…
Ich habe mich schon immer fürs Web interessiert, also dafür, wie Beiträge ins Internet kommen, wie man publiziert. Das wollte ich unbedingt selbst mal ausprobieren. 2014 habe ich meine Ausbildung bei der Bahn dann erfolgreich abgeschlossen und mich im Internet umgeschaut, wie der Konzern sich online präsentiert und was er tut, um junge Leute wie mich für Jobs bei der Bahn zu begeistern. Damals habe ich nichts gefunden – und mich gefragt: Warum tust du es denn nicht selber?
Hattest du Bedenken, oder bist du einfach durchgestartet?
Damals hatte ich noch keine Ahnung, wie man eine Website baut. Facebook, Twitter und Instagram hatte ich zwar schon eine Ewigkeit genutzt, mir aber nie größere Gedanken darüber gemacht, wie man diese Dinge intensiv nutzt.
Den Titel für den Blog hattest du aber schon?
Nein. Ich wollte auf jeden Fall, dass der Name einem im Gedächtnis bleibt. So etwas wie „Der Bahn-Blog“ war als Titel also nie eine Option. Christoph Koch, ein Journalist, hat mich im Vorspann seines Interviews mit mir eines Tages als „bloggenden Bahn-Mitarbeiter“ bezeichnet. Ihm werde ich ewig dankbar sein, weil es in diesem Moment bei mir Klick gemacht hat. Ich habe dann, wie man sehen kann, noch eine kleine Änderung vorgenommen, gecheckt, ob die Internet-Domain „derbloggendebahner.de“ noch frei ist – und schon konnte es losgehen. Eine gute Idee war, im Nachhinein gesehen, sicher, dass ich bald darauf angefangen habe, mit YouTube-Videos zu experimentieren. Das war so Mitte 2014.
Warst du von Anfang an mit dem Blog zufrieden?
Das war ein Prozess. Im Dezember 2014 habe ich einen Adventskalender gemacht, den ich mit 24 damals komplett unprofessionellen Videos bestückt habe, ohne Stativ und mit Handheld-Kamera, und in denen ich 50 Prozent über die Bahn und weitere 50 Prozent über mich und meinen Musikgeschmack gelabert habe. Zu dieser Zeit sind vor allem auf YouTube die Abonnentenzahlen ein bisschen gestiegen. Das war zumindest mal ein kleiner Erfolg, der einen ermutigt hat…
Du „kämpfst“, wie du fast martialisch schreibst, mit deinem Blog „für mehr Verständnis im Bahnbetrieb“. Wer in Deutschland lebt, weiß, dass das ein Kampf gegen Windmühlen sein muss…
So kann man das sagen. Hintergrund ist, dass ich mich mit Kollegen oft über Leute unterhalten habe, die sich täglich über die Bahn aufregen. Das sind oftmals Personen, die schlicht nicht wissen, wodurch Verspätungen oder andere Probleme entstehen. Wüssten sie das, würden sie sich vermutlich nicht oder zumindest weniger aufregen. Deswegen habe ich das Motto „für mehr Verständnis im Bahnbetrieb“ eingeführt. Nach wie vor gibt es aber offensichtlich noch zu wenig „Aufklärung“. Das merkt man schnell, wenn man Kommentare in den sozialen Medien verfolgt.
„Fünf Minuten Verspätung – und gleich ist die Bahn scheiße“
Da muss man sich als Bahn warm anziehen…
Manche Leute wollen offensichtlich überhaupt erst gar kein Verständnis aufbringen. Das sind oftmals diejenigen, die sieben Mal pro Woche Bahn fahren, und wenn einer dieser Züge mal fünf Minuten Verspätung hat, ist die Bahn gleich scheiße. Kleine Ahnung, ob man eine solche Haltung grundsätzlich verändern kann. Ich finde auf jeden Fall, dass die Bahn in Deutschland einen Ruf hat, der ihr nicht gerecht wird.
Dich nervt das richtig…
Ja. Aufregen kann ich mich auch über viele Zeitungen, die immer das Haar in der Suppe suchen, wenn sie mal wieder eine Geschichte über die Bahn bringen. Auch wenn es nur der Piepmatz auf der Oberleitung war, der den Betrieb gestört hat, und somit wirklich höhere Gewalt am Werk war, wird solch ein Vorfall oftmals zum Rundumschlag gegen das ganze Unternehmen genutzt. Der neue ICE 4 wird dann gleich noch mit den Dreck gezogen und das neue WLAN als „doch nicht so gut wie versprochen“ kritisiert. Da würde ich mir wünschen, dass man gewisse Dinge einfach wieder ein bisschen geraderückt.
Mittlerweile arbeitest du nicht mehr als Fahrdienstleiter, sondern bist Teil des Social-Media-Teams für den Personenverkehr der Deutschen Bahn. Was tut man da genau?
Wir schreiben Beiträge über Bahn-Themen und interagieren mit der Community. Da kriege ich logischerweise auch über die Kommentare schnell Feedback, ob ich am Endkunden vorbeigeschrieben habe, oder ob alles passt. Es ist nun einmal so, dass, wenn man schon länger in einem Unternehmen arbeitet, man ein gewisses Tunneldenken entwickelt und man gewisses Wissen voraussetzt, das beim Leser allerdings nicht vorhanden ist. Bei unserem Corporate-Blog inside.bahn.de ist es, glaube ich, auch von Vorteil, dass ich mit Kollegen zusammensitze, die wenig Bahn-Hintergrund haben und somit unsere Leser besonders gut abholen können. Im Idealfall sorgen wir im Team dafür, dass wir Bahnfahrer bestmöglich aufklären, um sie nicht anfällig werden zu lassen für überzogene Kritik am Unternehmen.
Ist die Bahn auf dich zugekommen, oder hast du gesagt, du möchtest nach dem Job als Fahrdienstleiter noch einmal was Anderes machen?
Die Bahn ist auf mich zugekommen, das war im Mai vergangenen Jahres auf der Konferenz „re:publica“ in Berlin. Sie haben mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, Teil des Social-Media-Teams für den Personenverkehr zu werden. Darüber war ich sehr überrascht. Ich habe nicht studiert, keine Onlinekommunikation, keinen Journalismus oder sonst etwas. Das hat mich natürlich gefreut, dass man das nicht vorausgesetzt hat. Das ist sicher nicht bei jedem Unternehmen so. Seit September arbeite ich jetzt dort, und habe den Job des Fahrdienstleiters aufgegeben. Das war schon ein bisschen traurig, gerade weil die Kollegen super waren. Ich schau bei Ihnen aber noch regelmäßig vorbei und bleibe auf dem Laufenden. Natürlich auch, weil ich als Blogger über aktuelle Themen berichten will.
Danke fürs Gespräch, Tim.
Gerne.
Tim beantwortet im Interview mit Mobility Mag auch Leserfragen. Wenn du etwas über den Bahnbetrieb wissen möchtest, schreib‘ uns einfach, unten in den Kommentaren, über Twitter, Facebook – oder per Kontaktformular.
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