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„All or Nothing“ und Co.: 5 Thesen zu den neuen Fußball-Dokus

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Philipp setzt sich kritisch mit Fußball-Dokus wie "All or Nothing: Manchester City" auseinander. (Foto: Screenshot / YouTube)
geschrieben von Philipp Ostsieker

Sie versprechen den Blick hinter die Kulissen der großen Fußballvereine. Welche Vorteile bieten die beliebten Fußball-Dokus? Wo besteht hingegen Diskussionsbedarf? Eine Analyse zu „All or Nothing“ und Co.

Im Prinzip fing es schon 2006 mit „Deutschland. Ein Sommermärchen“ an. Sönke Wortmann begleitete die deutsche Nationalmannschaft auf dem Weg zur und bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006.

Der Film war dem französischen Beispiel „Les Yeux dans les Bleus“ rund um die WM 1998 nachempfunden. Einige Jahre lang folgte kein bekanntes Beispiel dieser Art von Fußball-Dokus.


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2012 veröffentlichte Fox die Serie „Being: Liverpool“. Mittlerweile ist eine starke Entwicklung von „Original Content“ auf die starke Präsenz von Plattformen wie Amazon Prime, Netflix oder auch DAZN zurückzuführen.

Die Tech-Giganten suchen nach Alternativen zu teuren Sportrechten und auch die Teams versprechen sich zahlreiche Vorteile. Nachdem der Fokus zunächst auf dem American Football lag (Last Chance U, All or Nothing), mehren sich die Beispiele für Fußball-Dokus:

1. Fußball-Dokus bringen Aufmerksamkeit und Entschleunigung

Das Volumen und die Vielfalt von (Sport-)Inhalten nehmen zu. Für Fans wird es immer schwieriger, diese wirklich zu durchdringen.

Social Media erlaubt es Klubs und Medien, sehr gezielt in hoher Frequenz kleine Content-Häppchen auszuspielen. Das sind meist witzige Kurz-Clips, Spruchbilder oder auch Transfergerüchte.

Argumentieren wir aber nur mit Aufmerksamkeitsspannen, werden Content-Produzenten einfach nur noch kürzere Inhalte anbieten. Die Art der Fußball-Dokus erzieht die Zuschauer dazu, mehr Zeit zu investieren.

Wer „All or Nothing: Manchester City“ verfolgt, widmet den Citizens achtmal mindestens 45 Minuten. Ein starkes Argument also gegen schwindende Aufmerksamkeitsspannen!

2. Top-Produktion für starke Markenführung

Die Serien sind hervorragend produziert. Sowohl Amazon als auch Netflix haben sich dies offenbar einiges kosten lassen. Hinter der Juventus-Doku steht etwa der Marketing-Gigant IMG. IMG vermarktet die „Alte Dame“ ohnehin weltweit.

Mit echten Spielszenen wird durchaus nicht gegeizt. Die Einbindung ist glänzend und hochdramatisch umgesetzt. Der Einsatz von Kabinenansprachen, der Gang in die Eis-Sauna oder die Facetime-Einbindung eines verletzten Spielers sorgen für Nähe.

Klubs können eine Vielzahl von Protagonisten einbeziehen. Neben dem Team kommen auch Zeugwarte, Hardcore-Fans, prominente Fans oder auch Familienmitglieder zu Wort. Gleichzeitig entsteht die Möglichkeit, einzelne Personen in den Vordergrund zu rücken.

Mario Götze nutzt seine DAZN-Serie von vornherein als Selbstmarketing-Plattform. Manchester City fokussiert sich stark auf Pep Guardiola.

Zu guter Letzt: Beide Klubs werden am Saisonende Liga-Meister, was natürlich massiv der jeweiligen Außendarstellung dient.

3. Juve und Man City nutzen die volle Plattform-Power

Die internationale Präsenz von Netflix und Amazon Prime bietet ein gigantisches Publikum. Beide Klubs sind First Mover auf den Plattformen. Sie dürfen sich berechtigte Hoffnungen auf zahlreiche neue Sympathisanten machen.

So brachte es Netflix Ende März insgesamt auf mehr als 125 Millionen Nutzer. Davon sind knapp 119 Millionen zahlende Kunden. Im zweiten Quartal wollte Netflix den Umsatz um 41 Prozent und die Gesamtzahl seiner Nutzer auf über 131 Millionen ausbauen.

Amazon hat bislang nie Nutzer- oder Zuschauerzahlen zu seinen Prime-Video-Inhalten veröffentlicht. Gemäß Reuters zählt Amazon Prime Video allein in den USA rund 26 Millionen Nutzer. Weltweit gibt es 100 Millionen zahlende Prime-Abonnenten.

Amazon investiert viel in den Ausbau seiner Video-Inhalte. Allein im vergangenen Jahr waren es Analysten zufolge rund 4,5 Milliarden US-Dollar.

4. Storytelling: zu glatt, zu viel Hollywood

Können wir überhaupt von „Fußball-Dokus“ sprechen? Speziell „All or nothing: Manchester City“ zeichnet das Bild eines perfekten Fußballklubs.

Wer hier von „Dokumentationen“ spricht, meint eigentlich eine Marketing-TV-Serie. Was zunächst authentisch wirkt, ist lediglich großartig inszeniert.

Juventus setzt eben nicht nur seine Spieler, sondern auch seine Sponsoren in Szene. Ist der Blick hinter die Kulissen bei Werbedrehs ein besonders authentisches Element?

Klar, diese Art der Inszenierung ist völlig legitim und vermutlich sehr erfolgreich. Auffällig ist, dass die großen Klubs wenig Mut aufbringen, sich mit kritischen Themen auseinander zu setzen. Man City etwa ist eben nicht nur Fußball-Tradition, sondern Teil eines Multi-Club Ownerships der City Football Group.

Sönke Wortmanns „Sommermärchen“ schaffte 2006 einen schönen Spagat. Das Duo Podolski/Schweinsteiger sammelte fleißig Sympathiepunkte als künftige Marketing-Protagonisten.

Gleichzeitig durfte Jürgen Klinsmann die DFB-Strukturen kritisieren und man zeigte offen die Team-internen Diskussionen zum Auftritt auf der Fanmeile. Zudem verdeutlichte der Film die umfangreiche Logistik rund um das WM-Projekt.

5. Das Format ist nicht für alle Klubs adaptierbar

Salopp gesagt: Zwei sehr wohlhabende Klubs gewinnen ihre nationalen Meisterschaften. Genügt das wirklich als große Story?

Und wenn ja, für wie viele Klubs ist diese Erzählform wirklich relevant? Klar, vielleicht folgen bald Real Madrid, der FC Bayern oder Paris Saint-Germain. Aber wer kommt danach?

Dient das Beispiel 1860 München als Gegenbeispiel? Sky Deutschland begleitete die Löwen in der Saison 2014/15 in der vierteiligen Doku-Serie „57, 58, 59, Sechzig“.

Die Zweitligasaison sorgte für wenig Glanz und endete katastrophal in der Relegation. Der Verein zeigte sich relativ offen, bewies aber auch das Risiko, sich beim Storytelling nur auf einen linearen sportlichen Saisonverlauf zu fokussieren.

Die Vorzeigeprojekte von Amazon und Netflix profitieren von der Nutzung spielbezogenen Materials. Daraus ergeben sich zwei Diskussionspunkte:

  1. Kommt der „echte“ Original Content überhaupt ohne Sportrechte aus?
  2. Können kleinere Klubs ohne das Investment der Plattformen diese Kosten überhaupt alleine stemmen?

Original Content: Was bleibt?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Für Sportbusiness-Begeisterte sind diese Formate absolutes Pflichtprogramm. Und wer Fan von Juventus oder Man City ist, wird diese Fußball-Dokus lieben.

Die großen Plattformen fügen ihrem umfangreichen Programm einen weiteren spannenden Mosaikstein hinzu. Klubs von Welt, die als First Mover aktiv sind, können zum Start definitiv punkten.

Begeistern wir uns aber auch für die Serien der nächsten Weltklasse-Klubs, wenn darin niemand einen Fehler macht, keine Konflikte entstehen und alles heile Welt ist?

Gerade Klubs ohne internationale Aura werden sich inhaltlich wesentlich stärker differenzieren müssen, wenn sie über ihre eigene Fan-Basis hinweg interessant sein möchten.

Ein paar Beispiele für mögliche Fußball-Dokus:

  • Der FC Bayern im klubinternen Konflikt zwischen Tradition und Moderne
  • Wattenscheid 09 auf dem Weg zu Fußball-Europas digitaler Nummer eins
  • Schalke 04 als Pionier im E-Sport
  • 1899 Hoffenheim als Fußball-Innovator im Schatten der Traditionsklubs
  • Hertha BSC: Wie gelingt der Kulturwandel beim Hauptstadtklub?

Ob die Klubs sich für derartige Beispiele begeistern können? Das hängt natürlich maßgeblich von den jeweiligen Marketing-Zielsetzungen ab. Die Zukunft wird zeigen, wie viel Mut die Verantwortlichen aufbringen möchten, um einzigartige Geschichten zu erzählen.

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Über den Autor

Philipp Ostsieker

Philipp Ostsieker ist Medien- und Digitalmanager aus Hamburg. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als selbstständiger Digital Content Strategist schreibt Philipp für BASIC thinking die Kolumne „Matchplan“, in der er über den Tellerrand blickt und durch die innovativen Ideen der Sportbranche führt.