Wirtschaft

Die estnische E-Residency: der virtuelle Wohnsitz im digitalen Zeitalter

Tallinn, Estland, E-Residency
Deine E-Residency-Karte kannst du in Tallinn abholen. (Foto: Pixabay.com / jackmac34)
geschrieben von Carsten Lexa

Mit gerade einmal 1,3 Millionen Einwohner gehört Estland zu den kleinsten Ländern Europas. Trotzdem belegt es in puncto Digitalisierung seit Jahren einen Spitzenplatz. Im Fokus steht dabei die sogenannte E-Residency. Doch was verbirgt sich dahinter? Und: Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden?

Virtueller Wohnsitz

Die E-Residency kann man als virtuellen Wohnsitz beschreiben. Sie stellt zwar gerade keine Staatsbürgerschaft dar und verleiht auch nicht die gleichen Rechte, die einem estnischen Staatsbürger zustehen, birgt jedoch vielfältige Möglichkeiten, durch die digitale ID Services des estnischen Staates in Anspruch zu nehmen.

Bereits 41.000 Menschen aus über 160 Ländern haben bis Juni 2018 das Antragsverfahren für eine E-Residency in Estland begonnen – und die Tendenz ist steigend.

Drei zentrale Charakteristika

Konkret lassen sich drei zentrale Charakteristika der E-Residency nennen:

  1. Zum einen beinhaltet sie eine digitale Signatur für die eindeutige Identifikation und Sicherheit mittels spezieller Verschlüsselungstechnologie.
  2. Zum anderen kann man mit ihr digitale Bankgeschäfte durchführen. Dazu zählen beispielsweise der Zugang zu internationalen Zahlungsdienstleistern und zentralen Dokumenten wie Geschäftsberichten, um Unternehmensgründungen durchführen.
  3. Schließlich ist es möglich, Steuererklärungen online abzugeben.

Unternehmerische Prozesse werden hierdurch auf eine neue Ebene gehoben. Internationale Verträge können in Sekundenschnelle, flexibel und ohne die Erfordernis einer notariellen Beglaubigung geschlossen werden, da die smarte ID wie eine handschriftliche Unterschrift eingeordnet wird.

Die Sicherheitsstandards der E-Residency sind dabei der derzeitigen Technologie angepasst. Durch einen Mikrochip mit 2048-Bit-Verschlüsselung und zwei Sicherheitsschlüssel (Starter-Kit) für digitale Unterschriften und die Autorisierung für Online-Services ist der E-Resident möglichst optimal geschützt.

Förderung von schnellem Handeln und internationaler Vernetzung

Unabhängig von der nationalen Staatsbürgerschaft ist es nun Menschen weltweit mit der E-Residency möglich, einen hohen Grad der Vernetzung zu erhalten und damit agil und ortsunabhängig zu handeln. Insbesondere in der Start-up-Szene ist dies ein entscheidender Vorteil.

Er ermöglicht den Eintritt in den europäischen Markt, ohne selbst vor Ort zu sein. Die E-Residency unterstützt junge Unternehmer, flexibel ihrer unternehmerischen Idee nachzugehen und ihren Hauptfokus auf Produkt oder Dienstleistung zu legen. Bürokratische Hürden treten dabei in den Hintergrund.

Standardisiertes Antragsverfahren

Die Erlangung der E-Residency erfolgt durch ein standardisiertes Verfahren. Dafür braucht es lediglich 15 Minuten und Grundlagenkenntnisse der englischen Sprache. Dabei sind persönliche Daten und ein Passbild digital in ein Online-Formular einzupflegen.

Im Anschluss beginnt eine vierwöchige Prüfungszeit, in der die estnische Polizei die persönlichen Angaben prüft und dabei sicherheitsrelevante Themenfelder (zum Beispiel über Europol) berücksichtigt.

Abschließend geht idealerweise ein positiver Bescheid der Behörde zu, der eine Aufforderung erhält, die E-Residency persönlich auf einer hinterlegten Polizeistation in Estland (in Tallin) abzuholen. Hierfür besteht eine Frist von sechs Monaten.

Besteuerung – auf Gesellschaftsebene

Das Thema Steuern hat in Bezug auf Estland eine gewisse Brisanz erlangt. Zum einen hört und liest man immer wieder, dass Estland ein Paradies zur Vermeidung von Steuern sei.

Zum anderen sind die Steuersätze in Estland im europäischen Vergleich relativ niedrig, sodass in diesem Zusammenhang gerne vorschnell von Steuerdumping gesprochen wird.

Die Realität jedoch ziemlich unspektakulär – zumindest wenn man große Steuervorteile erwartet. In der Tat sind die Steuersätze, verglichen mit anderen europäischen Ländern, eher niedrig.

Unternehmer zahlen keine Steuern auf wieder investierte Gewinne. Das heißt: Gewinne, die nicht ausgeschüttet werden. Ausgeschüttete Gewinne werden mit 14 oder 20 Prozent besteuert. Das ist abhängig davon, ob die Ausschüttung an eine juristische oder eine natürliche Person erfolgt.

Steuersätze sind aber immer ins Verhältnis zu setzen mit den staatlichen Leistungen, die ein Bürger erhält. Diesen Vergleich durchzuführen, maße ich mir jedoch nicht an.

Besteuerung – auf Gesellschafterebene

Allerdings darf man aber auch nicht voreilig meinen, dass mit der Zahlung der 14 oder 20 Prozent schon alles an Steuerzahlungen erledigt ist.

Denn mit der Steuerzahlung in Estland ist ja noch nichts gesagt über die Steuern, die beispielsweise ein Deutscher, der die Ausschüttungen seines estnischen Unternehmens erhalten hat, in Deutschland zahlen muss.

Diese Besteuerung erfolgt in Deutschland wie in allen anderen Fällen auch nach den üblichen Methoden – zum Beispiel mittels Abgeltungssteuer, Halbeinkünfteverfahren oder Volloption.

Übrigens erfolgt die Besteuerung von deutschen Kapitalgesellschaften – zum Beispiel einer GmbH – nach einem Prinzip, das ähnliche Ergebnisse produziert. Denn eine GmbH zahlt in Deutschland die sogenannte Körperschaftssteuer. Diese beträgt 15 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und betrifft nur die Ebene der Gesellschaftsbesteuerung.

Die Ausschüttung des GmbH-Gewinns an die Gesellschafter wird jedoch genauso besteuert wie es bei einer estnischen Gesellschaft der Fall ist. Zur Steuervermeidung ist also die Gründung einer estnischen Gesellschaft mittels Nutzung der E-Residency wohl nicht geeignet.

Unternehmensgründung

Vielfach wird in Estland der Markteintritt über die Form einer Private Limited Company (Osaühing – OÜ) vorgenommen.

Diese ist einer deutschen GmbH ähnlich. Die Gründung erfolgt dabei online und kann innerhalb von einem Tag durchgeführt werden. Der Rekord einer Gründung liegt bei 18 Minuten!

Das Mindestkapital dieser Gesellschaft liegt bei 2.500 Euro und die Ein-Personen-Gründung – die Gesellschaft hat also nur einen Gesellschafter – ist ohne weiteres möglich.

Die estnische E-Residency – ein Modell für Deutschland?

Estland hat vor einigen Jahren beschlossen, voll auf die Möglichkeiten der Digitalisierung zu setzen und seinen Bürgern und interessierten Ausländern einfach und schnell staatliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Und auch heute baut das Land die Möglichkeiten immer weiter aus.

Die E-Residency ist ein leistungsfähiges Modell. So können Personen schnell und kostengünstig mit der Nutzung der Dienstleistungen beginnen. Die E-Residency kostet rund 100 Euro an Gebühren. Hinzu kommen die Kosten für einen Flug nach Tallinn zur Abholung der Karte.

Insbesondere der Blick auf die Gründung von Unternehmen und die Abgabe von Steuererklärungen zeigt die große Stärke der E-Residency: Prozesse werden verschlankt, was letztendlich Aufwand und Kosten spart.

Natürlich ist die E-Residency nicht für alle gleichermaßen geeignet. Und natürlich unterscheiden sich Deutschland und Estland in vielfältiger Weise. Dennoch könnte Estland für Deutschland ein entscheidendes Vorbild für zukünftige Digitalisierungsprozesse sein – dies ist möglicherweise schon durch die Erneuerung des Personalausweises angestoßen worden.

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Über den Autor

Carsten Lexa

Rechtsanwalt Carsten Lexa berät seit 20 Jahren Unternehmen im Wirtschafts-, Gesellschafts- und Vertragsrecht. Er ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht, BWL und Digitale Transformation sowie Buchautor. Lexa ist Gründer von vier Unternehmen, war Mitinitiator der Würzburger Start-up-Initiative „Gründen@Würzburg”, Mitglied der B20 Taskforces Digitalisierung/ SMEs und engagiert sich als Botschafter des „Großer Preis des Mittelstands” sowie als Mitglied im Expertengremium des Internationalen Wirtschaftsrats. Er leitete als Weltpräsident die G20 Young Entrepreneurs´Alliance (G20 YEA). Bei BASIC thinking schreibt Lexa über Themen an der Schnittstelle von Recht, Wirtschaft und Digitalisierung.