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Künstliche Intelligenz: Wie bringt man einer KI das Vergessen bei?

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pixabay.co / geralt
geschrieben von Marinela Potor

Sie steckt in Haushaltsgeräten, Autos und natürlich in Smartphones: Künstliche Intelligenz. Dabei hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber Menschen: Sie kann sich alles merken. Doch Wissenschaftler merken jetzt: Wenn KI voranschreiten soll, müssen wir ihr das Vergessen beibringen.

In welcher Seitentasche waren die Eintrittskarten fürs Konzert? Wo sind die Autoschlüssel? Und wie hieß diese Schauspielerin noch gleich? Vergessen ist menschlich – und meistens nervt es. Doch Vergessen hat auch Vorteile.

Ein Mensch ist einer KI überlegen – weil er vergisst

Zum einen schaffen wir dadurch Raum für neue Informationen. Zum anderen hilft es uns, die Welt besser zu verstehen. Indem unser Gehirn irrelevante Informationen von wichtigen Details trennt, können wir in neuen Situationen schneller auf dieses Wissen zurückgreifen – und entsprechend reagieren.


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Was für eine Person wichtig oder unwichtig ist, lässt sich natürlich nicht verallgemeinern. Einige Menschen sind besonders gut darin sich Details zu merken. Andere wiederum merken sich Dinge besser, wenn sie wiederholt werden. Für andere dagegen sind Informationen einprägsamer, wenn sie widersprüchlich sind.

Auch Emotionen, die man mit einem Ereignis verbindet, spielen fürs Erinnern und Vergessen eine Rolle.

So können sich die meisten von uns wahrscheinlich noch genau daran erinnern, wo wir am 11. September 2001 waren als das World Trade Center in New York einstürzte. Doch den 10. September 2001 haben wir vermutlich komplett vergessen.

Vergessen ist also ein komplexer Vorgang und deswegen sagen viele: Die Art und Weise, in der das menschliche Gehirn vergisst, macht uns Künstlicher Intelligenz überlegen.

Ja, KIs haben ein Elefantengedächtnis und können massenhaft Daten speichern. Doch Informationen vergessen? Das ist noch eine große Herausforderung. Doch warum ist das überhaupt wichtig?

Sollten Daten von Kindern gelöscht werden?

Eine der wichtigsten Errungenschaften der neuen Datenschutz-Grundverordnung – kurz DSGVO – ist das „Recht auf Vergessenwerden“.

Dieses „digitale Radiergummi“ soll unsere Privatsphäre schützen und auch dafür sorgen, dass unsere persönlichen Daten nicht ewig im Internet herumgeistern und in unbefugte Hände geraten.

Das Problem dabei: Viele unserer Daten werden an KIs verfüttert. Die Filme, die Netflix dir empfiehlt? Die Lieder, die Spotify speziell für dich aussucht? Hinter all diesen Empfehlungen stecken smarte Algorithmen, die gelernt haben, was dir gefällt.

Im Marketing-Sprech nennt sich das „Personalisierung“ und „Individualisierung“ und wird als großer Vorteil verkauft. Während es auch durchaus stimmt, dass all dies deine Nutzererfahrung verbessert, ist das sehr kurzfristig gedacht.

Denn was passiert, wenn wir wollen, dass eine KI unsere persönlichen Informationen vergisst?

Was geschieht etwa mit den Daten, die Sprachassistenten schon jetzt von unseren Kindern sammeln? Sollten diese bei Volljährigkeit automatisch vergessen werden? Oder nur ein Teil davon? Wie sieht es aus mit medizinischen Daten? Und was sollte eine KI mit den Informationen einer Person machen, wenn diese stirbt?

Das sind wichtige Fragen, die bislang jedoch kaum in der breiten Masse disktutiert werden. Dabei wäre es höchste Zeit. Es kann nämlich auch gefährlich sein, wenn eine KI Daten nicht vergisst.

In einer Studie zeigten Wissenschaftler zum Beispiel, wie man eine KI durch „Folter“ dazu bringen kann, hoch sensible Informationen preiszugeben.

Klar ist: Je mehr Informationen Künstliche Intelligenzen speichern, desto schneller müssen wir uns Gedanken darüber machen, was langfristig damit passieren soll. Dazu müssen natürlich ethische, juristische sowie datenschutzrechtliche Aspekte mit einbezogen werden.

Doch darüber hinaus stellt sich auch technisch die Frage: Wie genau sollen KIs eigentlich Informationen vergessen?

Wie bringt man einem Roboter das Vergessen bei?

Wissenschaftler tüfteln derzeit an verschiedenen Modellen, um KIs das Vergessen beizubringen. Das, was wir normalerweise am Computer tun – alles löschen –, scheint nicht sehr sinnvoll.

Nehmen wir an, eine KI hat gelernt, Senioren zu betreuen. Dann möchte man vielleicht, dass die KI nach einer gewissen Zeit personenbezogene Informationen vergisst, nicht aber das gesamte Wissen zur Senioren-Betreuung.

Denn damit wäre sehr viel Arbeit, Zeit und Wissen verloren, weshalb Forscher diese Art der KI-Vergessenheit auch „katastrophisches Vergessen“ nennen. Daher arbeiten Experten aktuell an anderen Modellen, damit KIs lernen, strategisch zu vergessen – genau wie auch wir Menschen.

Das lange Kurzzeitgedächtnis

Eines dieser Modelle heißt Long Short Term Memory Networks (LSTM) oder langes Kurzzeitgedächtnis. LSTM funktioniert in drei Schritten:

  1. Vergessen / Erinnern: Hier bringt man einer KI bei, welche alten Informationen sie behalten und welche sie vergessen soll, wenn neue Informationen hereinkommen.
  2. Speichern: Im zweiten Schritt lernt die KI, welche Aspekte der neuen Information gespeichert werden sollen.
  3. Fokussieren: Eine KI muss Information fokussieren können, also verstehen, welche gespeicherte Information in welchem Kontext wichtig ist.

Elastic Weight Consolidation

Ein anderer Ansatz ist die Elastic Weight Consolidation.

Hierbei erkennen KIs, welche Neuronen beziehungsweise Codes wichtig sind, um eine spezifische Aufgabe auszuführen. Diese werden als „wichtig“ markiert und gespeichert, während unwichtigere Codes gelöscht werden können.

Der Flaschenhalseffekt

Vor einigen Jahren schließlich führte der Computer- und Neurowissenschaftler Naftali Tishby eine weitere Theorie ein, Vergessen nach dem Flaschenhalseffekt.

Das kann man sich folgendermaßen vorstellen: Eine KI nimmt am Anfang sehr viele Informationen auf. Diese werden dann in einem zweiten Schritt komprimiert. Dabei werden lediglich die Dinge behalten, die wichtig sind, um die allgemeinen Konzepte wiederzufinden.

Dieses Komprimieren wäre damit laut Tishby eine Form, mit der Künstliche Intelligenzen Informationen strategisch vergessen könnten.

Welche Methode effektiver ist und in welcher Form KIs sie aufgreifen werden, ist noch völlig unklar. Doch über eine Sache scheinen sich Experten einig zu sein: Wenn KI weiter voranschreiten soll, müssen wir ihr das menschliche Vergessen beibringen.

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Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.