Egal ob im Süden Deutschlands, in den Mittelgebirgen, in Berlin oder an den Küsten: Die vergangenen Tage und Wochen müssen grausam gewesen sein. Wer die Wetterbericht-Erstattung verfolgt hat, muss in Angst und Schrecken verfallen sein. Schuld daran trägt die Digitalisierung, die den Journalismus zerstört. Ein Kommentar.
Halleluja! Es hat fast überall in Deutschland wieder zweistellige Temperaturen. Das heißt: Wir können endlich mal wieder in Ruhe durch die Nase atmen und unseren Herzschlag auf ein normales Niveau bringen. Diese Erholungspause ist auch dringend notwendig, denn wer weiß schon, wann das nächste Schnee-Chaos sprichwörtlich vor der Tür steht.
An dieser Stelle will ich gleich betonen: Schnee und Eis stellen eine ernstzunehmende Gefahr dar. Das gilt sowohl für Autofahrer als auch für Menschen, die sich unter widrigen Wetterbedingungen zu Fuß oder mit dem Rad auf den Weg in die Arbeit machen müssen. Es geht mir explizit nicht darum, diese Gefahr zu verharmlosen. Vielmehr geht es um die Wetterbericht-Erstattung.
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Was ist überhaupt dieser „Winter“?
Um dem Problem der Wetterbericht-Erstattung auf die Spur zu kommen, müssen wir erstmal schauen, was dieser ominöse Winter überhaupt ist. Laut Wikipedia handelt es sich um die „kälteste der vier Jahreszeiten“.
Und weiter:
Phänologisch kann der Winterbeginn vom astronomischen erheblich abweichen und wird neben der Land-Meer-Verteilung (maritimes vs. kontinentales Klima) oft durch den Beginn einer dauerhaften Schneedecke markiert.
Wir fassen zusammen:
- Im Winter ist kalt – und das auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Schließlich erstreckt sich der Winter über fast drei Monate.
- Im Winter gibt es Schnee und Eis. Aufgrund der kälteren Temperaturen gefrieren der Regen beziehungsweise das Wasser und der Aggregatszustand verändert sich.
Es ist also vollkommen normal und keinesfalls außergewöhnlich, wenn Schnee im Winter vom Himmel fällt und dieser auch liegen bleibt. Das kann auch mehrere Tage oder Wochen der Fall sein.
Wetterbericht-Erstattung: Früher war mehr Schnee
Trotzdem haben die letzten Tage und Wochen gezeigt, dass Schnee und Eis offenbar aus dem allgemeinen Gedächtnis oder zumindest aus den Erinnerungen der für die Wetterbericht-Erstattung zuständigen Journalisten verschwunden sind.
Anders lässt es sich nicht erklären, dass überspitzt gesagt der Notstand samt Schulschließungen ausgerufen wird, nur weil es entweder viel regnet oder maximal fünf bis zehn Zentimeter Neuschnee gefallen sind. Tatsächlich tritt das Phänomen Winter allerdings seltener auf.
Das zeigt eine Untersuchung des Deutschen Wetterdienstes. Dieser hat im Dezember 2022 analysiert, ob früher wirklich mehr Schnee war. Dafür hat der DWD den Schneefall (Schneedecke von mindestens drei Zentimetern) im Zeitraum zwischen 1961 und 2021 verglichen.
Und tatsächlich gab es unter 300 Höhenmetern im Jahr 2021 65 Prozent weniger Schneetage als noch 60 Jahre zuvor. In Höhenlagen über 700 Metern ist der Rückgang mit 30 Prozent deutlich geringer. Insbesondere in der letzten Dekade ab 2010 gab es sehr wenig Schnee. Somit zieht auch der Deutsche Wetterdienst das Fazit: „Ja, mit ein paar wenigen Einschränkungen war früher mehr Schnee.“
Die Digitalisierung zerstört die Wetterbericht-Erstattung
Wenn wir allen Sarkasmus beiseite lassen, kennen auch die jüngsten Journalisten selbstverständlich noch Schnee und Eis. Wie das einmal bei unseren Kindern und Kindeskindern in 20 oder 50 Jahren ist, ist eine andere Frage. Aktuell sollten Redakteure wie Streckenplaner bei der Deutschen Bahn fest damit rechnen, dass der Winter jedes Jahr wieder kommt.
Warum also diese unsägliche Panikmache? Dieses Problem ist größtenteils hausgemacht. Denn obwohl hinlänglich bekannt, haben die Verlage keine (wirklich gute) Lösung zur Finanzierung von digitalem Journalismus gefunden. Die Paywall als harte Lösung schreckt viele Menschen ab. Also bleibt noch die Werbefinanzierung über Banner und In-Text-Ads.
Doch damit die Werbungtreibenden das Geld auch zahlen, müssen die Inhalte auch gesehen werden. Und wie gelingt das? Vereinfacht gesagt, indem alles ins Extreme gezogen wird. „5 Zentimeter Neuschnee erwartet“ lockt keinen Leser hervor. „Horror-Winter: Schneeeinbruch über Nacht gefährdet Region“ macht da doch gleich viel mehr her.
Um im Haifischbecken Online-Journalismus zu bestehen, lassen sich immer mehr Redaktionen bei der Wetterbericht-Erstattung dazu hinreisen, die Wahrheit so weit zu verdrehen, um angstgesteuerte Menschen anzulocken und somit Geld zu verdienen.
Die Frage der Glaubwürdigkeit
Wer nicht gelesen wird, verschwindet von der digitalen Landkarte. Deshalb verlassen auch vermeintlich seriöse Medien die normale Wetterbericht-Erstattung und greifen zu radikalen Wortspielen und angsteinflößenden Formulierungen. Was früher nur bei der BILD-Zeitung vorstellbar war, ist mittlerweile auch in allen Tageszeitungen und bei überregionalen Medien Normalität.
Dass Geld zum Überleben wichtig ist, ist nachvollziehbar. Wenn jedoch Medien ihre Leserinnen und Leser nur noch in die Irre führen und Klicks um jeden Preis erzwingen, verliert der Journalismus an Standing. Diese „vierte Gewalt“ ist jedoch insbesondere in Zeiten, in denen sich die politischen Gruppen zunehmend radikalisieren, essenziell.
Eine gute, zuverlässige Berichterstattung ist das Rückgrat einer funktionierenden Gesellschaft. Die Journalisten decken Missstände auf und informieren über das, was passiert. Dabei sollten Information und Aufklärung an erster Stelle stehen. Das gilt auch für die Wetterbericht-Erstattung.
Um die Glaubwürdigkeit nicht komplett zu verspielen, sollten Medien und Medienmacher dringend aufhören, alles zu dramatisieren. Sonst steht viel mehr auf dem Spiel als nur ein paar Klicks.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Kommentar. Diese journalistische Stilform spiegelt die Meinung des Autors wider. Kommentare sind weder objektiv noch sind sie für die gesamte Redaktion repräsentativ.
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Danke, Sie sprechen aus, was viele aus meinem Bekannten- und Familienkreis sagen. Teils machen wir uns lustig über solche hysterischen Schlagzeilen, teils widert es einen einfach nur an, wenn Journalismus zu einem reinen Konsumprodukt verkommt. Und dies nicht nur bei der Wetterberichterstattung, leider. So schafft sich die vierte Gewalt im Staat wegen Unglaubwürdigkeit irgendwann selbst ab.
Lösbar sein könnte der Spagat zwischen „Nachrichten umsonst“ und finanzierbarer, souveräner journalistischer Arbeit, indem die einzelnen Artikel gekauft werden können, statt immer geleich ein komplettes Abo für die ganze Zeitung abschließen zu müssen. Oder was der heise-Verlag mit „heise+“ anbietet, ist auch ein interessantes Modell, das ich gern nutze. Verlage könnten hier gern mehr Flexibilität wagen.
Tip für Ihre Redaktion: kommen sie ins Fediverse zu Mastodon. Dann kann ich Ihren Artiel dort teilen und sie erweitern ihre Leserschaft. Dort lese ich oft, dass auf guten Journalismus Wert gelegt wird und viele dafür auch bereit sind, dies fair zu bezahlen.
Die eigentlichen Ursachen liegen nicht beim Journalismus sondern beim „Verbrennen“ unserer Werte. Wenn ich sehe, dass die Fahrbahnen nicht mehr geräumt werden, die Bäume umstürzen, weil es vorher zu lange geregnet hat und so manche Truckerfahrer ohne Winterausrüstung unterwegs sind, ganze Autobahnen nächteläng gesperrt bleiben und die Lockführer rücksichtslos in den Dauerstreik übergehen, was noch mehr Kfz auf die Straße bringt, dann kann man das mit dem Wetter vor 60 Jahren nicht mehr vergleichen. Ach ja, da gibt es ja noch die Ampel, die verhndert, dass manche Menschen sich keineWinterreifen mehr kaufen können. Hemmungsloses Schulden machen heißt Kaufkraft vernichten und zieht Inflation nach sich. Auch das hat mit dem Wetter nichts mehr zu tun. Die Kaufkraft des Teuro ist seit Einführung um mehr als 80% eingebrochen. Und dann gibt es ja noch den Mindestlohn. Nur wenn die Leistung der Arbeitnehmer über der Normalleistung liegt, erfolgt die Bezahlung im Akkordlohn. Bleibt die Arbeitsleistung unter der Normalleistung oder entspricht sie ihr, erhält der Arbeitnehmer den Mindestlohn. Wann also ist etwas normal? Wann ist das Wetter normal?
Danke für diese Zeilen. Hatte mich in den vergangenen Wochen schon gefragt, ob ich irgendeine Entwicklung verpasst hatte. Wohne in einem Luftkurort am Rande des Spessarts, bin täglich an der „frischen Luft“ (mit meinem Redaktionshund) und kann die Unterschiede in Luftqualitäten sehr gut vergleichen.
War schon etwas überrascht, als gerade über die Meldungen von wetter.com die Luftqualität schlagartig von Bestwerten auf höchst gesundheitsgefährdend abgestuft wurden. Auch diese permanenten Hinweise über aufziehende Extremkälte und Weltuntergangsszenarien, sobald sich ein Regenwölkchen zeigt oder schlimmstenfalls Minustemperaturen drohen, bewirken bei mir zunehmend Kopfschütteln bis zum Schleudertrauma.
Von daher: Danke für Ihren Kommentar, mein Tag ist gerettet. 😉
Ralf Baumgarten, Bad Orb
Treffend kommentiert. Die durch die (un-)sozialen Medien vorangetriebene Hysterisierung macht selbst vor der Wetterberichterstattung nicht halt. Alles wird aufgeblasen, größer gemacht, als es vielfach ist, bloß um den nächsten Klick zu generieren. Für den seriösen Journalismus ist das keine gute Entwicklung. Weniger ist in der Tat manchmal mehr! Ich bin überzeugt, dass man auch mit wirklich relevanten Inhalt punkten kann und nicht das Rattenrennen ums Click Baiting mitmachen muss.
Ich kann dem Kommentar nur zustimmen.
Nur eine kleine Frage am Rande:
Wetterbericht-Erstattung, oder vielleicht eher Wetter-Berichterstattung? 😉