Ein Kieler Start-up hat ein sogenanntes Aeromaterial entwickelt, das zu 99,9 Prozent aus Luft besteht und trotzdem stabil ist. Es könnte ganze Industriezweige verändern.
Ein Material, das überwiegend aus Luft besteht: Das klingt zunächst vielleicht nach einem schlechten Scherz. Aber genau das ist kürzlich einem Start-up aus Kiel gelungen. Denn die Ingenieure des Spinoffs Aero Materials der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) entwickelten einen Nanowerkstoff, der zu über 99,9 Prozent aus Luft besteht.
Dieses Aeromaterial ist so leicht, dass ein Mensch es kaum in der Hand spüren würde, so Rainer Adelung, Professor an der CAU. Gleichzeitig sei der Stoff so funktional, dass er komplette Systeme ersetzen kann. Das eröffnet den Einsatz in vier wichtigen Bereichen:
der Aktorik (also schnelle Bewegungen), der Filtration (mit selbstreinigenden Filtern), der Optik (für energiesparende Beleuchtung) und bei der Abschirmung von sensibler Elektronik. Gerade bei Drohnen oder mobilen Geräten, bei denen jedes Gramm zählt, kann das Material einen Unterschied ausmachen.
Aeromaterial: Ein Gerüst, das einfach nur hohl ist
Die Basis des Materials sind winzige Partikel, die aussehen wie kleine vierarmige Sterne, genauer gesagt tetrapodale Zinkoxid-Strukturen (t-ZnO). Die Forscher bauten daraus ein 3D-Gerüst und tränkten es dann mit einer Mischung aus Wasser und Graphen (eine Schicht mit nur einem Atom Dicke) oder mit Silikat, dem Basisstoff für Glas.
Am Ende entfernen sie das Zinkoxid chemisch. Übrig bleiben Hohlröhren mit ultradünnen Wänden, die ein offenes Netzwerk bilden, das eben fast komplett aus Luft besteht. Luft und Flüssigkeiten können dadurch ungehindert durchströmen.
Die erste große Marktlücke sehen die Gründer bei der Aktorik. Das ist der Bereich, in dem elektrische Signale etwa bei Robotern in Bewegung umgewandelt werden. Das Graphen im Gerüst ist leicht, stabil und leitet besonders gut.
Wenn die Forscher Strom anlegen, heizt es sich innerhalb von Millisekunden auf. Die Luft im Inneren dehnt sich aus und erzeugt eine mechanische Kraft. Durch diese kann ein System schneiden, schalten oder Bauteile in automatisierten Systemen bewegen.
Material aus Luft: kleine Bewegung, große Power
Das Besondere: Die Technologie benötigt keinen externen Kompressor. Die Bewegung kommt direkt aus dem Material, ganz ohne Schläuche, Ventile oder eine komplizierte Infrastruktur. Das macht die Konstruktionen kompakt und flexibel, was gerade für Robotik-Anwendungen von Vorteil ist.
Caprice Mohr, technische Geschäftsführerin des Start-ups, sagt, dass das den Wartungsaufwand senkt und eine viel nachhaltigere Alternative zu den klassischen pneumatischen Systemen ist.
Und das Material kann noch mehr. In Tests mit Industriepartnern bewährte es sich zum Beispiel als Lautsprechermembran. Die Struktur vibriert durch elektrische Ansteuerung, deckt den gesamten hörbaren Frequenzbereich ab und reagiert blitzschnell und präzise.
Auch als selbstreinigender Filter ist es geeignet. Der Staub, der sich ablagert, kann einfach ausgebrannt werden. Ein Prototyp für selbstreinigende Filter hat sogar schon erfolgreich seinen Testeinsatz im Flugzeug bestanden.
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