Sonstiges

Basic Sunday: Der Schatten

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Du kennst mich noch nicht lange. Vor einigen Wochen wusstest du nicht einmal, dass ich überhaupt existiere. Doch ich bin immer bei dir. Ich beobachte dich, ich verfolge dich, ich höre dir zu. Immer dann, wenn du denkst, dass du alleine bist, bist du es nicht. Du weißt es zwar noch nicht, aber ich bin ein Teil von dir. Eigentlich bist du ein Teil von mir. Untrennbar sind wir miteinander verbunden. Noch bist du mir immer noch einen Schritt voraus und doch weiß ich: Mein Tag wird kommen und dann werde ich es sein, der die Fäden in der Hand hält. Du ahnst von alledem nichts. Träumst nur den Schlaf der Gerechten obwohl die Gerechtigkeit uns schon lange eingeholt hat.

Als du heute morgen aufgewacht bist, war ich schon lange wach. Ich bin dir näher als du denkst und jeden einzelnen Schritt von dir habe ich gesehen. Hätte ich eingreifen wollen, hätte ich es getan. Doch ich will dir nicht schaden. Ich begehre dich, ich will bei dir sein und doch hasse ich dich abgrundtief. Die Art, wie du dich im Spiegel anschaust, lässt mich erzittern. Deine zarte weiche Haut – ich habe sie so oft schon gefühlt. Wie gerne würde ich dir sagen, was ich für dich empfinde, wie ich fühle, wie sehr ich dich begehre. Doch noch bin ich zu schwach dafür. Doch jeden einzelnen Tag wird meine Macht stärker und bald schon – bald wirst du mich hören. Doch dann wird es zu spät sein.

Ich bin immer bei dir


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Jeden einzelnen Morgen das gleiche Spiel: Du wachst auf, begibst dich mit kleinen Schritten ins Bad und machst dich für den Tag fertig. Doch diesen Morgen ist es anders. Du fühlst, dass du nicht alleine bist. Mit großer Verwunderung schaust du dich in deiner Wohnung um, nur um festzustellen, dass du scheinbar alleine bist. Ich grinse in mich hinein. Mich kannst du nicht finden. Ich bin dort, wo du mich als Letztes erwarten würdest. Und mit jedem einzelnen Moment deiner Angst, deiner Furcht und deiner Sorge werde ich mutiger, werde ich stärker. Dein zartes, weiches Haar – heute Nacht habe ich es zum ersten Mal gespürt und gestreichelt. Es war nur ein kurzer Moment, denn du bist aufgewacht und ich musste mich zurückziehen.

Ich beobachte dich

Ich bin bei dir, wenn du dir dein Frühstück machst, die Zeitung liest und dich für die Arbeit fertigmachst. Ich beobachte dich, während du dich umziehst und dich auf den Weg zur U-Bahn machst. Jeder Tag ist etwas Besonderes mit dir. Und doch ist heute ein spezieller Tag. Denn heute hast du mich das erste Mal gehört. Ich habe „Ich liebe dich“ gesagt und vor lauter Schreck hast du deinen Kaffee fallen lassen und dich umgedreht. Doch niemand war da. Ich war nicht da. Doch du wusstest: Du warst nicht alleine. Es war der Höhepunkt unserer bisherigen Beziehung. Endlich konnte ich mich dir offenbaren und einen Teil von mir dir zugänglich machen. Du hast meine Stimme gehört – endlich hast du sie gehört. Und du bist nicht schreiend davongelaufen. Innerlich liebst du mich, da bin ich mir sicher. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch du erkennst, dass wir für immer zusammen gehören. Ich kann warten.

Ich begehre dich

Die nächsten Wochen wurde ich immer stärker und mächtiger. Mehr und mehr habe ich die Kontrolle erlangt und war wach, während du geschlafen hast. Ich bin durchs Haus gewandert, habe deinen Körper erkundet und mich dann von dir entfernt. Anfangs waren es nur wenige Sekunden doch von Mal zu Mal wuchs meine Macht über dich. Vergangene Nacht war ich mehrere Stunden da und hatte dich in meinem Bann. Stundenlang habe ich dich angesehen, habe verschiedene Kleider von dir anprobiert und mich dann am Ende des Tages wieder zurück gezogen. Nicht immer ist alles glatt verlaufen: So habe ich das eine oder andere Mal Gegenstände verwendet und nicht wieder zurückgelegt. Doch was im ersten Moment ein Fehler war, hat im nächsten Moment ein großes Glücksgefühl in mir ausgelöst. Denn während der Schrecken durch deine Glieder fuhr, spürte ich erneut, wie die Macht in mir wuchs und ich mich von deiner Angst nährte.

Ich offenbare mich

Heute Morgen, nach der langen Zeit, ist es endlich passiert. Wir standen uns gegenüber. Haben uns durch unsere Augen angesehen. Und obwohl du mich nicht bewusst wahrgenommen hast, hast du mir doch direkt in mein Innerstes gesehen. Es wird Zeit, mich dir zu öffnen und dir zu sagen, wer ich bin. Nach den nächtlichen Panikattacken, deinen Selbstgesprächen und sogar den wiederkehrenden Anrufen bei deinen Freunden ist mir klar geworden, dass auch ich dich nicht weiter in dieser Ungewissheit lassen kann. Ich bin ein Teil von dir und werde es immer sein.

Vorgestern haben wir das erste Mal miteinander geredet. Große Angst stand dir ins Gesicht geschrieben, während ich mich die ganze Zeit fragte, wie ich dir sagen solle, was dir noch bevor steht. Denn eigentlich lebst du mein Leben. Das Leben, was ich mir immer wieder gewünscht habe. Und doch bleibt mir nichts anderes übrig, als die Zeit abzuwarten, wenn du dich schlafen legst, um meinen Teil deines Lebens zu leben. Ich bin du und du bist ich. Heute und für immer. Und mit jedem Tag, mit jeder Stunde, mit jeder Sekunde deines Lebens wirst du schwächer und ich mehr ein Teil von dir. Halte dich fest, so sehr du möchtest. Du wirst dennoch hinabrutschen in die Grube, in der ich mich einst befand und aus der ich langsam herausgekrochen bin.

Ich bin du und du bist ich

Einige Monate später ist es endlich soweit und ich lebe mein Leben, was einst deines war. Meine Stimme ist nicht mehr ein Flüstern. Ich kann tagsüber mein Leben leben und das tun, was ich bislang immer als stiller als stiller Beobachter verzweifelt mit ansehen musste. Während wir uns gegenüberstehen, haben sich unsere Rollen gewandelt. Mehr und mehr bist du zum Beobachter geworden und ich habe die Kontrolle gewonnen. Die Kontrolle über dich. Doch deine Augen sind nicht voller Hass und voller Wut sondern spiegeln eher die Gewissheit wieder, dass wir beide in einem Körper stecken, in einer Seele und in einem Gleichgewicht. Leise lächle ich in den Spiegel hinein und schenke dir einen Kuss. Unsere Ängste sind besiegelt und doch umgeben von einer wundersamen Zweisamkeit, die uns nicht auseinander bringen kann. Jetzt bin ich es, die unseren gemeinsamen Körper lebt, doch wie lange dieser Zustand halten wird, weiß ich nicht.

Nachts gebe ich dir die Möglichkeit, dein Leben zu leben. Nicht mehr in der strahlenden Sonne, nicht mehr immer mit deinen Freunden und Bekannten, aber ich unterdrücke dich nicht, ich fessle dich nicht. Denn du und ich sind immer etwas ganz Besonderes gewesen. Eine letzte zärtliche Geste, als ich meine Hand an den Spiegel setze, dir noch einmal tief in die Augen blicke und mich dann ins Bett begebe. Deine Nacht hat begonnen, meine Liebste. Nutze sie und lebe das Leben, was mir lange Zeit versagt war. Wir beide sind nun Eins und werden es für immer sein.

(Alper Iseri / meetinx.de)

Über den Autor

Ehemalige BASIC thinking Autoren

Dieses Posting wurde von einem Blogger geschrieben, der nicht mehr für BASIC thinking aktiv ist.

9 Kommentare

  • Hallo Alper,

    ich habe die Geschichte jetzt zum 2. Mal intensiv gelesen und ich habe die Geschichte in der Geschichte leider nicht verstanden?

    Ganz unanonyme Grüße aus Berlin
    Doreen

  • Es geht um zwei Seelen, die in einem Menschen stecken. Ob nun eine Schizophrenie oder eine andere schlimme Begebenheit. Einer dieser Seelen lebt das Leben, die andere Seele wird unterdrückt. Eines Tages ändert sich das jedoch. Die schwache Seite wird immer stärker und mächtiger und kann zunächst Nachts, wenn die „andere Person“ schläft, die Kontrolle über den Körper erlangen. Irgendwann dann können sie direkt miteinander reden. Und am Schluss dann ist es genau umgekehrt. Die bislang unterdrückte Seite erhält die Kontrolle und hat die Macht über den Körper, während die bislang starke Seite nun in der schwachen Position ist.

    Am Anfang soll der Leser denken, dass die Person verfolgt wird, dass es sich um einen Stalker oder ähnliches handelt. Erst nach und nach wird klar, dass es diese andere echte Person gar nicht gibt sondern es sich um ein und denselben Menschen handelt.

  • und im bayerischen Wald verdrägen gerade die Sonnenschatten endlich wieder die aufkeimenden Winterdepressionen 😉

  • Wow. Und vor allem toll, dass man nicht ab dem ersten Abschnitt erraten konnte, wie es ausgehen wird, da es nicht um Internetzensur und der gleichen geht! 😉
    Interessant geschrieben, ja fast schon krankhaft genial.
    Bin auch froh, dass der letzte Abschnitt nicht zur Aufklärung führt, sondern man erstmal im Dunkel gelassen wird, bis du selbst im Kommentar aufgedeckt hast um was es sich genau handelt.
    Hut ab, Gratulation und ich freue mich umso mehr auf nächsten Basic Sunday.
    Wünsche Euch allen einen angenehmen Dienstag!

  • Dann habe ich Deine Geschichte richtig verstanden. Ich bin fasziniert, wie Du es schaffst, mein inneres Hin und Her in Worte zu fassen…
    Danke,
    Ada