Seit einigen Wochen nun besucht mich Patient 3462 mit einem sehr interessanten Fall von Gedächtnisverlust. Nicht, dass er selber von sich behaupten würde, er wüsste nicht mehr, wer er ist. Schließlich war nicht er es, der sich dazu durchgerungen hat, meine Praxis aufzusuchen. Die Behörden haben ihn zu mir geschickt. Und es ist ein wahrlich interessanter Fall. Während seine motorischen und geistigen Fähigkeiten auf den ersten Blick keinerlei Einschränkungen vorzuweisen scheinen, leidet er unverkennbar an einer Art Persönlichkeitsverlust, die mir in all den Jahren erst einmal untergekommen ist. Damals handelte es sich um einen besonderen Fall von Schizophrenie, welche mit den geeigneten Mitteln behandelt werden konnte. Heute führt der Mann ein erstaunlich beschwerdefreies Leben und ist ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft.
Doch dieser Mann ist ein besonderer Fall. Er behauptet von sich, jemand Anderes zu sein und lässt sich weder mit Medikamenten noch anderen Mitteln davon abbringen. Selbst eine Hypnose, der er sich unerwartet offen gegenüber zeigte, brachte keine Besserung. Ganz im Gegenteil – nach Vorführung der Aufnahmen beharrte er sogar darauf, dass ich ihm doch glauben möge. Fast wäre ich geneigt es zu tun, doch die Beweise sprechen eine vollständig andere Sprache. Heute findet seine zwölfte Therapie-Sitzung statt und wir werden uns zwei Stunden Zeit nehmen, um die vergangenen Wochen noch einmal Revue passieren zu lassen. Vielleicht finden wir noch einige Aspekte, die uns weiterbringen. Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben.
Ein Fall von Verwechslung?
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Guten Tag Herr Schmidt. Schön, dass Sie wieder hier sind. Setzen Sie sich.
Hallo. Bitte nennen Sie mich nicht so. Wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass Sie einem Irrtum unterliegen? Mein Name ist nicht Schmidt sondern Müller. Wann fangen Sie endlich an, mir zu glauben?
Entschuldigen Sie Herr Schmidt. Wir haben letztes Mal doch vereinbart, dass wir uns Ihren Ängsten stellen möchten. Und dazu gehört nun einmal ganz besonders Ihr Name.
Ich kann mich immer noch nicht damit abfinden. Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass mich niemand vermisst, dass mich niemand sucht? Glauben Sie, dass ich mein Leben lang als Eremit unterwegs war? Mit keinerlei Freunden, keinem Beruf und keiner Familie? Schauen Sie mich an. Jeden Tag trage ich einen Anzug, bin frisch rasiert. Ich bin ein gebildeter Mann.
Die Aussichten sind düster
Das bestreitet doch niemand. Doch Ihre Unterlagen sagen etwas vollkommen Anderes. Sie haben ein schweres Trauma erlitten. Erzählen Sie mir doch noch einmal von Anfang an, woran Sie sich erinnern können.
Ich weiß nicht mehr als das, was Sie schon wissen. Ich bin mit dem Flugzeug hier in Berlin angekommen und bin mit dem Taxi in die Innenstadt gefahren. Es war spät und scheinbar bin ich eingeschlafen. Als mich der Taxifahrer geweckt hat, war ich noch vollständig in Gedanken versunken, habe bezahlt und bin ausgestiegen. Dann fuhr das Taxi davon. Als ich mich umsah, wusste ich nicht, wo ich war. Es war stockdunkel – schließlich war es mitten in der Nacht und ich inmitten einer Industrie-Gegend. Ich griff nach meinem Handy doch fand es nicht. Scheinbar hatte ich es irgendwo verloren. Und meine Geldbörse war auch weg. Wahrscheinlich geklaut von diesem miesen Taxifahrer. Nun stand ich da – mit meinem Gepäck in einer Straße im Nirgendwo . Tolle Aussichten, nicht wahr?
Die falsche Entscheidung
Was haben Sie danach getan?
Nun, was sollte ich tun? Ich habe mir mein Gepäck geschnappt und bin an der Straße entlanggelaufen. Irgendwann musste doch ein Auto kommen an diesem Ort, um diese Uhrzeit – keine Chance. Nicht einmal ein Münztelefon war zu sehen. Wenn es die überhaupt noch gibt. Jetzt wo ich darüber nachdenke: Ich habe schon jahrelang keine Münztelefone mehr gesehen. Lustig, nicht wahr? Über so etwas macht man sich keinerlei Gedanken mehr bis man sich irgendwann in die Situation begibt, dass man wohl alles dafür tun würde, um wieder eines zu Gesicht zu bekommen. Naja – zusätzliches Geld hatte ich ja noch in meinem Koffer. Einige Tausend Euro lagen im Innenfach, weil ich am nächsten Tag eine Barzahlung tätigen wollte. Aber ohne Münzen… sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen. Nun – ich bin halt weitergegangen und irgendwann kam mir doch tatsächlich ein Mann entgegen.
Was meinen Sie, was das für eine Erleichterung war. Bis ich sah, dass es sich um einen Obdachlosen gehandelt hat. Aus der Traum. Als ich an ihm vorbeiging, fragte er mich nach einer Zigarette, die ich ihm natürlich nicht gegeben habe. Als er mich dann als „Arschloch“ beschimpft hat, langte es mir. Einem heftigen Wortwechsel folgte ein Schlag in mein Gesicht, doch auch ich konnte ihm ordentlich eine verpassen. Das Letzte woran ich mich erinnern kann war, dass wir beide zu Boden gingen und auf dem Asphalt aufschlugen. Als ich aufgewacht bin, war alles weg. Und zu allem Überfluss fand ich mich in einer Einzelzelle wieder. Wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen so etwas passiert?
Die Situation eskaliert
Sie haben die Polizisten beschimpft und sich heftigst zur Wehr gesetzt. Also hat man Sie zunächst ruhig gestellt. Das war nur zu Ihrem besonderen Schutz, Herr Schmidt. Im übrigen fand man Sie alleine vor. Es war niemand in Ihrer Nähe, der Ihre Aussagen bezeugen könnte.
Verdammt – ich habe doch nichts getan. Ich bin in einer fremden Stadt gelandet, bin überfallen worden und werde dann auch noch eingesperrt. Und zu allem Überfluss sagen Sie mir seit Wochen, dass ich jemand Anderes sei. Das macht mich noch wahnsinnig. Sie kotzen mich an – all das hier kotzt mich an. Diese scheiß Lampe kotzt mich an und wissen Sie was? Ich habe keine Lust mehr hier auf diesen Schrott. Ich will raus hier – ich will nach Hause. Gehen Sie mir aus dem Weg.
Wieder ein Ausbruch, wieder Gewalt. Und wieder blieb mir nichts Anderes übrig, als ihn ruhig zu stellen. Danach wurde er wieder in sein Zimmer gebracht. Für die nächsten Stunden haben wir ihn fixiert, damit er sich keinen Schaden zufügen kann.
Zeit für einen persönlichen Austausch
Es ist Zeit für eine Kurze Pause. Mit meinen Kollegen sitze ich in der Kantine und nehme mein Essen zu mir. Dr. Paul, spezialisiert auf Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, klopft mir auf die Schulter.
Das neue System ist echt fantastisch. Was meinst du, wie wir sonst diesen Herrn Schmidt – so hieß er doch – hätten identifizieren können? Fingerabdrücke, Sprachcomputer und all diese technischen Raffinessen. Heute kann sich niemand mehr vor der Wahrheit verstecken. Die Wahrheit steckt in diesem wundersamen System. Kaum zu glauben, dass sich einige Ärzte und Anwälte so sehr davor verschließen wollten. Von wegen Datenschutz und Übergehung der Persönlichkeitsrechte und so weiter. Wir sehen ja, wozu das führt. Irgendwelche Irren würden sich einfach neue Identitäten zulegen und was könnten wir dagegen tun? Überhaupt nichts. Doch dem ist nun ein Riegel vorgeschoben.
Alleine in den letzten sieben Tagen hatte ich drei neue Fälle von Persönlichkeitsproblemfällen. Und weißt du, was das Lustigste dabei ist? Sie alle haben genau das gleiche Problem wie dein „Herr Schmidt“. Ein Patient von mir behauptet steif und fest, er würde Schmidt heißen. Lustiger Zufall, oder? Irgendsoein Obdachloser von der Straße. Hatte mehrere Tausend Euro dabei und kann sich angeblich an nichts mehr erinnern. Dazu noch einen Einkaufswagen voller Schrott – dazwischen aber die feinsten Anzüge. Und man glaubt es kaum: Läuft er doch in feinsten Lederschuhen herum, aber trägt sonst nur zerrissene, alte, stinkende Klamotten. Kaum zu fassen.
Schmidt und Müller – wenn es diese Namen nicht millionenfach geben würde, könnte man fast an einen Fehler im System glauben.
Ein Fehler im System?
Meine Kollegen und ich lachen. Hier wird es eben doch nie langweilig. Fehler im System – was für ein Spaßvogel. Wenn ich an all die Pannen in der Vergangenheit denke, dann bin ich richtig froh, dass uns das heute nicht mehr passieren kann. Seit einiger Zeit ist die neue Software schon im Einsatz und sie hat sich nie geirrt. Wie kann man denn auch Fingerabdrücke verwechseln. Absolut unmöglich. Eine solche Software sieht entweder „richtig“ oder „falsch“. Und wenn sie der Ansicht ist, dass es keine Alternativen gibt, dann halte ich mich daran.
Endlich wieder pünktlich Feierabend. Die Technologie hat unser Leben wirklich einfacher gemacht und unseren Patienten – denen geht es besser denn je. Ich werde morgen mit einer massiven medikamentösen Therapie bei Herrn Schmidt beginnen. Die hat noch jeden zur Vernunft gebracht. Und wenn wir fertig sind, kann er wieder dahin, wo er hergekommen ist. Wo das ist? Nicht mein Problem. Ich habe meine Schuldigkeit getan – den Rest muss jeder für sich selbst herausfinden.
(Alper Iseri / meetinx.de )
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Persönlicher Nachtrag:
Diese Veröffentlichung war meine vorerst letzte für Basic Thinking. Seit über einem halben Jahr habe ich hier als Gastautor mit meiner Reihe „Basic Sunday“ versucht, euren Sonntag ein wenig unterhaltsamer zu machen. Ob nun mit meinen eigenen, extra für diesen Veröffentlichung geschriebenen Kurzgeschichten oder mit detaillierten Aus- und Ansichten über spezielle Themen, die mich in dem Moment bewegt haben.
Ob oder wie „Basic Sunday“ unter diesem oder einem ähnlichen Namen hier auf Basic Thinking von jemand Anderem weitergeführt wird, wird derzeit diskutiert. Ich jedenfalls werde diese wöchentliche Reihe künftig auf meinem eigenen Blog weiterführen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich den einen oder anderen Leser meiner Reihe auch dort begrüßen darf.
Wir lesen uns künftig bei „MEETINX am Sonntag“ – meiner neuen sonntäglichen Veröffentlichung auf www.meetinx.de.
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