Wahrscheinlich wissen es die meisten hier nicht, aber ich bin seit den frühen Achtzigern der Band Depeche Mode verfallen. Die Musik und die Texte, die sich für mich schon damals wohltuend vom Charts-Einerlei abhoben, das Auftreten und Styling der Band – all das sind Dinge, die mich heute noch zu den Konzerten rennen lassen und zum Plattendealer meines Vertrauens. Es ist vermutlich nicht zuletzt die Melancholie, die aus den Songs des Martin Gore spricht, und die diese Band für mich so außergewöhnlich macht.
Genau diese Melancholie soll Martin Gore nun in den Zeugenstand des Gerichtes von Santa Clara, Kalifornien bringen, wenn es nach Erik Estavillo geht.
Estavillo spielt leidenschaftlich gern World of Warcraft. Mit „leidenschaftlich“ meine ich nicht das nach-der-Arbeit-sitze-ich-gern-drei-Stunden-am-Rechner-leidenschaftlich, sondern eine schon eher kranke Begeisterung für ein Computerspiel. Er hat festgestellt, dass er durch das Spiel und dessen „gesundheitsschädliche virtuelle Umgebung“ völlig vereinsamt ist und sich von der wirklichen Welt völlig entfremdet hat.
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Da er die Entwickler mit ihren „heimlichen und betrügerischen Praktiken“ dafür verantwortlich macht, hat er die Softwareschmiede Blizzard nun konsequenterweise verklagt. Nicht ganz so konsequent ist er jedoch bei seinen Forderungen: Er fordert nicht etwa, dass das Spiel aus dem Verkehr gezogen wird. Da er nämlich seit seiner WoW-Sucht nur noch im Spiel Glück empfinden könne, fordert er stattdessen günstigere Spielepreise.
Was das Ganze nun mit dem Songwriter von Depeche Mode zu tun hat? Wartet ab, Leute – da wird die Geschichte nämlich nun komplett verrückt…
Gefühlspezialist Gore
Martin Gore ist für Estavillo aufgrund seiner Texte nämlich ein ausgemachter Experte auf dem Gebiet der Melancholie und des Entfremdetseins und als solcher – neben der von ihm ebenfalls genannten Winona Ryder – der perfekte Kronzeuge, um vor Gericht zum Thema „Alienation“ auszusagen.
Man darf davon ausgehen, dass weder Martin Gore noch Winona Ryder nun wirklich vor Gericht erscheinen müssen, aber dass Erik Estavillo nicht mehr ganz in „unserer“ Welt klar kommt, hat er mit dem Ersuchen auf Vorladung dieser beiden Stars natürlich eindrucksvoll untermauert. Seine bereits gescheiterten Klagen gegen Microsoft, Sony und Nintendo lassen nun auch nicht wirklich auf mehr Erfolg in diesem Fall hoffen, selbst im Land der unbegrenzten Klage-Möglichkeiten.
Als Depeche Mode-Fan und Digital Native nehme ich eine solch krude Geschichte eher lächelnd zur Kenntnis, aber faktisch ist der Sucht-Charakter eines solchen Spieles natürlich nicht von der Hand zu weisen. Gibt man „Wow“ und „Sucht“ bei Google ein, erhält man über 600.000 (!) Ergebnisse, bei „WoW“ und „addict“ sind es sogar über 15 Millionen und hinter den meisten von ihnen verbergen sich die gleichen Geschichten.
Ich glaube nicht daran, dass ein Gamer ein potentieller Amok-Kandidat ist, nur weil er gerne Counter Strike zockt, aber ich sehe durchaus einen Zusammenhang zwischen vielen Online-Games und dem Suchtverhalten von potentiell gefährdeten Personen. Wenn man diesbezüglich sowieso anfällig ist, wird dieses Verhalten von Spielen wie World of Warcraft natürlich bestens bedient. Wie bei einem guten Essen handelt es sich auch bei einem Game um eine Komposition aus verschiedensten Zutaten, die es für uns so schwierig machen, dem zu widerstehen. Bei WoW sind es Faktoren wie ansprechende Grafik und Gameplay, die ständig neuen Herausforderungen, seltene Items, das Erreichen des nächsten Levels und nicht zuletzt die große Gemeinschaft.
Man tut sich in Clans und Gilden zusammen, geht zusammen „raiden“, geht dabei auch oftmals äußerst strategisch vor, schließt dort Bekannt- oder gar Freundschaften. Bin ich gesellschaftlich gefestigt, kann ich sogar argumentieren, dass mich so ein strategisch ausgerichtetes Spiel unter Umständen im Umgang mit meinem Umfeld schult und vielleicht sogar im Endeffekt beruflich weiterbringen kann. Bin ich allerdings in dieser Beziehung eher ein wenig labil, kann mir das widerfahren, was unseren Freund in San Jose dazu brachte, Blizzard zu verklagen.
Auch andere Bereiche des Internet betroffen
Es wäre jetzt nicht fair, alle Onlinesüchtigen Spielen wie WoW zuzuordnen. Onlinesüchtige findet man ebenso in Chat-Räumen, auf den einschlägigen Poker- und Wettseiten und – immer häufiger – natürlich auch bei Social Networks wie Facebook.
Gerade Facebook ist ein perfekter Nährboden für dieses Suchtverhalten. Ich schaue nur mal eben schnell, was Freundin A für Fotos hochgeladen hat, bekomme unterdessen eine Meldung, dass Freund B derweil einen Link von mir kommentiert hat, und zwischen Fotos-Anschauen und Kommentar-Lesen schaue ich noch schnell auf meiner Farm/in meinem Restaurant/bei meinem Aquarium vorbei, um dort mit ein paar Klicks an meinem nächsten Level zu arbeiten.
Derzeit findet in Deutschland – gerade in der Politik – eine Debatte statt, wie wir uns im Internet zu verhalten haben. In Ehren ergraute Politiker ohne Macht über ihren eigenen E-Mail-Account möchten festlegen, was wir im Netz zu sehen haben und was nicht. Wenn ihr mich fragt, sollte man nicht beratschlagen, wie man nun doch noch die angedrohten Internetsperren einführt, sondern eher ein Programm auf die Beine stellen, welches die Kids, die heute die Schulbank drücken, in die Lage versetzt, sich die nötige Web-Kompetenz anzueignen.
Die Kurvendiskussion in Mathematik lässt mich manchmal noch heute schlecht schlafen und ich habe mittlerweile – Jahrzehnte später – die traurige Gewissheit erlangt, dass ich das damals zu dem Thema Gelernte in diesem Leben nicht mehr verwenden werde. Vielleicht sollte man den heutigen Schülern nicht nur Theoriewissen vermitteln, sondern auch praktisch Anwendbares: wie man sich im Netz bewegt und auf was man zu achten hat. Die möglichen Suchtgefahren bei Online-Games stellen dabei nur eine einzige Facette von vielen dar.
(Carsten Drees / Foto: martingore.com)