Derartig schadenfrohes Gepolter von den Kollegen der Print-Branche zu vernehmen, ist man ja schon gewöhnt. Nun aber auch von den Brüdern und Schwestern im Geiste ein tränengetränktes Taschentuch ins Gesicht geworfen zu bekommen – das ist mir völlig neu. Es geht um einen der letzten Artikel, der jemals bei der „Netzeitung“ online gehen wird. Er trägt den wunderbar bescheidenen Titel „Das deutsche Problem“ und soll im altbewährten Kolumnen-Stil dem Leser auf eindringliche Weise verklickern, dass die deutsche Blog-Landschaft offenbar schwer erkrankt sei: „Manchmal haben sie Schnupfen, manchmal sind sie lethargisch, aber insgesamt ist ihr Puls noch zu hören“, schreibt Malte Welding, indem er vorsichtshalber die Metaphernklaviatur eines Seniorenstifts bemüht.
Der Artikel ist als „Webschau“ aufgebaut, man erwartet also einen Rundumblick, einen erhellenden Schnappschuss des Status Quo der Vielstimmigkeit innerhalb der Blogosphäre. Doch schnell wird deutlich, dass Welding überwiegend O-Töne einiger weniger Blogger einpflegt, um eine vorgegebene Argumentationskette der gesenkten Köpfe zu unterfüttern. Ich gehe die angesprochenen Punkte nun im Einzelnen durch.
1.) Deutsche Blogger klauen Themen von US-Kollegen
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Aha. Der Überwachungsskandal der Deutschen Bahn, Premium-Profile bei Xing, das Zensursula-Fiasko, die Lokalisten, der Streit mit der GEMA, die Wikipedia-Relevanzdebatte, der Bundestagswahlkampf, die Tethering-Gelddruckmaschine der Deutschen Telekom, der SchülerVZ-Suizid, das „Und alle so: Yeah!“-Meme, die Warnungen des Bundesverbandes Verbraucherzentrale, die Hitler-App im deutschen App Store – das alles sind aufgeschnappte Nachrichten aus der neuen Welt. Das wusste ich nicht. „Die deutschen Top-Blogs durchkämmen also im Wesentlichen amerikanische Blogs und schreiben voneinander ab“, zieht Welding stellvertretend Bilanz.
Für viele Blogs im Allgemeinen und Tech-Blogs im Speziellen sind die USA eine unschätzbare Quelle: Twitter, MySpace, Windows 7, das iPhone, Android sind unsere Themen. Nennt mir einen deutschen Handy-Hersteller: Siemens? Das letzte originär-innovative deutsche Start-Up-Projekt, das mir bekannt ist, war wohl MyMüsli – und das liegt schon Jahre zurück. Noch heute bekomme ich Anrufe von kleinen Start-Ups: „Bei uns können Kunden ihre eigene Kosmetik mischen.“ oder „Bei uns gibt es individualisierbare Schokolade.“ Und wenn tatsächlich innovativ anmutende Unternehmen anklopfen, ist es fast jedes Mal der x-te US-Abklatsch. Ich habe oft den Eindruck, dass es wie bei Buchverlagen ist: Sie warten ab, was in Übersee ein Bestseller wird und lassen ihn dann übersetzen, anstatt das Risiko einzugehen, einem deutschen Autor eine kostspielige eigene Chance zu geben. Deutschland ist Exportweltmeister bei den Waren. Und Importweltmeister bei Kultur und Innovation. Film-Blogs wären schlecht beraten, wenn sie sich auf die drei Gesichter der deutschen Schauspieler-Riege verlassen würden.
Dennoch machen deutsche Blogger – wie oben beschrieben – natürlich keinen Bogen um deutsche Themen und durchstöbern deshalb auch täglich .de-Quellen. Der Leser sollte bei jedem Post im Vordergrund stehen und egal, ob ein Produkt aus den Staaten oder Deutschland kommt, sollte es ihm verständlich und vor allem greifbar erklärt werden. Das bringt uns zum nächsten Punkt.
2.) Die Redundanz-Debatte: Kein Salz im eigenen Süppchen
Der Vorwurf lautet, dass Themen bei deutschen Bloggern nicht nur kopiert, sondern auch lieblos abgefrühstückt werden: „In diesem Zuge fällt mir ein, dass ich, als ich mit dem Ding hier angefangen habe, auch mehr geschrieben habe. Also mehr Text gebracht habe und weniger Bilder… und mittlerweile ist das hier ja eher eine Linksammlung von coolem Zeug, das ich so finde. Ob das schlecht oder gut ist, ist egal. Es ist so.“ So lautet eines von Weldings bemühten Autorenzitaten. Es wird langweilig in Deutschlands Blogosphäre. Kann das jemand bestätigen? Linklisten sind eine feine Sache, Turi2 bietet zwei Mal am Tag mit seinen News-Sammlungen ein schnelles, aktuelles Update der Lage und ich würde darauf nicht verzichten wollen.
Doch dabei darf es nicht bleiben. Wenn wir beispielsweise bei der Themenjagd fündig werden, dann fungiert die Quelle als Steinbruch. Man kann ruhig das Fenster danach schließen – es bringt auf lange Sicht nichts, das Gelesene in eigenen Worten wiederzugeben oder einfach nur einen Link darauf zu platzieren. Blogger sollten niemals vergessen, dass sie ein eigenes Publikum besitzen – so groß oder klein es auch sein mag. Und das hat Anspruch auf eine zielgruppengenaue Ansprache. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Thema von immer neuen Perspektiven beleuchtet werden muss: Worum geht es überhaupt? Wieso ist es so und nicht anders? Könnte es anders sein? Was halte ich als Autor davon? Was bedeutet das für den jeweiligen Leser und wie kann er am Besten davon profitieren? Und was hält er davon? Die Erklärung eines neuen Dienstes wie beispielsweise Google Wave sollte für Business-Leute anders ausfallen, als für Schüler, für Internetneulinge, Bastelexperten, Journalisten, für Angelvereine, für Blinde. Man kann schon sagen, dass einige Blogger in dieser Hinsicht träge geworden sind. Die immergleichen Links werden per Twitter oder Mini-Posts herumgeschossen und die Analysen bleiben auf der Strecke. Wenn die Wikipedianer ihren Relevanz-Streit ausfechten, sollten wir uns vielleicht einmal Gedanken über eine Redundanz-Debatte machen.
3.) Der kleine Blogger von der Straße und „die da oben“
Ich glaube, wir können ziemlich gut beurteilen, wie kalt und zeitweise ignorant die deutsche Blogosphäre sein kann. Als wir am 15. Januar dieses Jahres das Ruder hier übernahmen, spulten die Kritiker ihr Programm ab, ehe die neue Redaktion die Zeit hatte, auch nur einen einzigen ersten Satz zu formulieren. Die aus der Anonymität heraus abgefeuerten Pfeile waren dabei nicht selten auch persönlicher Natur. „Guten Morgen, liebe Leser!“ riefen wir, „Feed gelöscht!“ wurde zurückgerufen. Ich habe mir all die Zeit auf die Unterlippe gebissen und die Klappe gehalten, aber wie gerne hätte ich all den Motzköpfen entgegengerufen, dass bei eBay noch andere Unternehmen im Rennen waren. Und einige von denen hätten Basic Thinking liebend gerne in eine blinkende Kirmes aus Display-Ads und Partnerprogrammen verwandelt, und so lange tatenlos abgewartet, bis das Blog röchelnd und kraftlos am Boden liegt. Dann hätten sie ihre Sachen (und ihre Schecks) gepackt und wären zum nächsten Projekt gesprungen.
Wir haben Basic Thinking von Anfang an ernst genommen und die Redaktion, die völlig unabhängig von dem dahinterstehenden Betreiber arbeitet, ist sich auch seiner Verantwortung bewusst. Eine solche Reichweite und Popularität (und diese auch noch ausbauen zu dürfen) war für uns Schreiber ein Geschenk, denn wir konnten bei 100 anfangen. Die mühsame Ochsentour vieler guter Blogger, die heute respektiert werden, blieb uns erspart. Die Kritik dafür verständlicherweise nicht. Für uns war die Lage also von Anfang eine andere: Es waren einige aus dem Pool von „die da unten“, die uns das Leben schwer machten. Doch es gab auch eine Reihe von neuen Kollegen (Freshzweinull aka Yuccatree, Zweipunktnull, Alles2Null und viele mehr), die uns bei den ersten Schritten geholfen haben. Und dafür bin ich ihnen auch heute noch sehr dankbar.
Doch zurück zum Unmut der selbstdeklarierten Ungehörten. Ich zitiere im Folgenden den ganzen Absatz eines Kritikers, den Welding ebenfalls zu Wort hat kommen lassen:
– Entweder man hat Glück, wird entdeckt und kann sich dann (wenn man den Wünschen der Leser folgt) schnell eine ausreichende Zahl an Mitlesern “sein” nennen.
– Man macht alles wie bisher und dümpelt so sein Undergroundblogleben.
– Oder aber große Blogs “lassen sich herab” und organisieren Blogaktionen, um kleineren Blogs eine Chance zu geben, dadurch entdeckt zu werden. (Wie gnädig!)
Den ersten Punkt möchte ich überspringen, denn der Autor hat das Rezept für höhere Reichweiten schon selbst genannt: folgt den Wünschen des Lesers. Auch Punkt zwei spielt in die Richtung: „Man macht alles wie bisher“ ist offenbar die Freikarte für die Untergrund-Bahn. Ich kenne keine Anleitung für den Weg nach oben, Robert hatte hingegen schon eine Menge über Möglichkeiten geschrieben, die dabei helfen, das eigene Blog bekannter zu machen. Ich lese dort nichts von Zufall, von Rahmenbedingungen, die stimmen müssen, damit der Stein ins Rollen gerät. Vielleicht ist es wie mit guten Musikern, bei denen jahrelang Auftrittsroutine angesagt ist, ehe jemand im Publikum applaudierend aufsteht und mit einem Vertrag wedelt.
Unser Angebot
Ich weiß, dass die Zeiten für Blogger nicht einfach sind. Backlinks bleiben aus, soziale Netzwerke reißen sich die Themendiskussionen unter den Nagel, das dezentrale Netzwerk der Blogger wird in der Tat oberflächlich instabiler. Doch das ist kein Grund, um aufzugeben. Wer sich nervös machen lässt, stimmt in das große Requiem vom „Blog-Sterben“ mit ein, das für mich derart schief klingt, dass es mir unbegreiflich ist, wie die Teilnehmer selbst daran glauben können. Der deutsche dpa-Journalismus liegt am Boden, gespart wird an allen Ecken und Enden, Redakteure werden gefeuert, die Menschen bekommen heute lediglich nackte Informationen geboten – aber immer seltener eine Orientierung. Wo sind die Kommentare? Wo ist die Meinungsvielfalt? Wer interpretiert die Entwicklungen? Und dann die zentrale Frage: Wo ist der Enthusiasmus der Blogger, um genau in diese Lücken zu springen?
Kommen wir zum dritten Vorschlag: Die „großen Blogs“ sollen sich herablassen, „wie gnädig“. Genau das ist der Punkt. Wir werden in den kommenden Tagen in der Redaktion darüber beratschlagen, wie wir einige von euch hin und wieder ins Rampenlicht stellen können: Blogroll, Blog-Verzeichnis, Blog-Portraits, Interviews mit Bloggern – wenn ihr mehr Ideen habt, immer her damit. Vereinzelt haben wir ja solche Aktionen schon gestartet. Ich habe oben über die Verantwortung geschrieben, derer wir uns absolut bewusst sind. Deshalb wünsche ich mir von euch, dass ihr ebenso fair seid. Das ist kein populistisches Herablassen der arroganten Alpha-Blogger. Das ist ein Angebot, um den Leuten zu zeigen, dass sowohl oben, in der Mitte als auch im „Untergrund“ unserer Branche die Menschen hervorragende Arbeit leisten. Und sich die deutsche Blogosphäre bester Gesundheit erfreut. Hören wir endlich auf zu jammern. Das ist nämlich das eigentliche „deutsche Problem“.
(André Vatter / Foto: Pixelio, Fotografin: Gabi Schoenemann)