Es kommt ganz dicke für Digg. Das Urgestein der Social-News-Aggregatoren schreibt rote Zahlen, ein Manager ging von Bord und mit ihm ein großer Teil der Crew. Liegt das nur am ungeliebten neuen Design oder ist die Zeit für Social-News-Seiten vorbei?
Gleich 37 Prozent seiner Belegschaft will der neue Digg-CEO Matt Williams entlassen, das Team von 67 auf 42 Mitarbeiter verkleinern. Weitere kleinere Maßnahmen sollen die laufenden Kosten verringern. Damit solle Digg, das derzeit 15 Millionen US-Dollar Umsatz im Jahr macht, bis Mitte 2011 profitabel werden. Williams kündigte in einer E-Mail an die Belegschaft gleichzeitig an, künftig eine neue Strategie zu fahren, ohne sie in seinem Blogeintrag genauer vorzustellen. Was ist da passiert?
Stabile Besucherzahlen, weniger Aktivität
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Einfach auf das neue Design schieben, wollte ich die Misere eigentlich nicht. Doch die Zahlen sind eindeutig, wenn man sich Diggs Werte bei Alexa vorknöpft. Im Juli und August pendelte Digg.com noch bei rund 0,06 Prozent Page Views. Klingt erst einmal wenig, bezieht sich aber auf alle von Alexa gemessenen Pageviews weltweit. Weltweit rangiert Digg damit immerhin auf dem 120. Platz der meist besuchten Websites. Ende August stellte Digg dann ein neues Design vor und musste daraufhin eine Meuterei der eigenen Nutzer miterleben. Die Nutzer drohten, zum Konkurrenten Reddit und zu anderen Newsaggregatoren überzulaufen. Digg hatte keine Chance, so schnell darauf zu reagieren und ließ nur einige marginale Änderungen zu.
Schon Ende August ging die Zahl der Pageranks auf Digg in den Keller und pendelte sich bei weniger als 0,04 Prozent der globalen Seitenaufrufe ein. Im Dreimonats-Vergleich misst Alexa einen Rückgang der Page Impressions um 23 Prozent. Hielten die Meuterer also Wort? Nicht unbedingt, denn im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Besucher auf Digg sogar leicht gestiegen. Digger meiden die Seite nicht, sie sind nur weniger aktiv – offenbar eine direkte Folge des neuen Designs. Und doch dürfte es zum Teil daran liegen, dass Williams nun Leute entlässt. Man hat viel Geld und Zeit in ein neues Design investiert, das nun von den Usern mit Füßen getreten wird. Zeit für ein Umdenken.
Das Ende von Newsaggregatoren?
Oder sogar Zeit für einen Paradigmenwechsel. Denn schon seit geraumer Zeit vermuten Beobachter, dass die beste Zeit hinter den News-Aggregatoren liegt. Die Möglichkeit der Masse, interessante Nachrichten nach oben zu voten und damit die redaktionelle Auswahl selbst zu übernehmen, ist schön und gut. Im Endeffekt kommt dabei aber lediglich mehr Boulevardesques heraus. Die Ergebnisse von halb-maschinellen Aggregatoren wie Techmeme sind stichhaltiger und die Auswahl von menschlichen Redaktionen von New York Times bis Spiegel Online kann sich mittlerweile auch sehen lassen. Online-Redakteure haben den Trend erkannt und integriert, den Digg und Co. ausgelöst haben. Und damit haben die Newsaggregatoren eigentlich ihre Schuldigkeit getan. In letzter Zeit wurden Facebook und Twitter darüber hinaus zunehmend zu persönlichen Aggregatoren, getreu der Devise „Wenn die Information wichtig ist, wird sie mich schon finden.“ Digg? Ein Auslaufmodell.
Ironie der ganzen Sache ist, dass das neue Digg im August eigentlich genau unter dieser Prämisse gestartet war: personalisierter, relevanter, moderner. Offenbar ist es das aber nicht geworden. Und jetzt? Personalkürzungen sind meist der Anfang vom Ende. Sie gehen zu Lasten neuer Ideen und der Kreativität. Ein Team, das verkleinert wird, kann sich nur noch aufs Verwalten beschränken und lebt in ständiger Angst, der nächsten Entlassungswelle zum Opfer zu fallen. So wird Digg den Umschwung wohl nicht schaffen. Facebook und Twitter können sich freuen. Und die bei Digg Gefeuerten? Die können sich auf spannende neue Anstellungen freuen. Techcrunch hat gleich einige ernst gemeinte Stellenangebote für Ex-Digg-Mitarbeiter gefunden – auf Twitter. Das ist doppelt bitter für die Digg-Führung.
(Jürgen Vielmeier)